Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/00      Seite 4
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Serbische Impressionen

Im Herbst 1999 verbrachten wir, drei StudentInnen aus Oldenburg, etwa zwei Wochen in Serbien. Auf unsere Anfrage hin waren wir von verschiedenen StudentInnenorganisationen eingeladen worden. Eine regierungsnahe Vereinigung hatte für unseren Aufenthalt ein komplettes Programm nach ihren Kriterien ausgearbeitet. Durch "Aiesec", eine regimekritischen Verbindung, mit deren Mitgliedern wir einen großen Teil unserer Zeit verbrachten, wurden uns kostenlose Übernachtungsmöglichkeiten vermittelt. Diese Organisation hat recht großen Zulauf, da sie für Studierende oft die einzige Möglichkeit bietet, internationalen Kontakt aufzubauen und zu pflegen. Durch den Kontakt mit diesen beiden sehr unterschielichen Gruppen konnten wir ebenso verschiedene Sichtweisen kennenlernen.

Die Fahrt, die mit finanzieller Unterstützung der "Deutschen Friedensgesellschaft/vereinigte KriegsdienstgegnerInnen" realisiert werden konnte, sollte dazu dienen, uns ein Bild von der politischen und gesellschaftlichen Situation zu machen und einen StudentInnenaustausch anzuregen.

Sprechchöre in Kragujevac

Es ist bereits dunkel, als wir Kragujevac erreichen. Nach dreitätiger Autofahrt sind wir an der ersten Etappe unserer Reise angekommen. In der Stadt kommt uns eine große Menschenmenge entgegen. Sprechchöre sind zu hören. Ein alter Mann auf Krücken hat Mühe, mit den Demonstrierenden Schritt zu halten. Drei Frauen gehen eingehakt, mit Trillerpfeifen, an uns vorbei. Kein einziger Polizist zu sehen. Die Stimmung wirkt friedlich und entspannt. Wir sind unsicher, wie wir - am Auto eindeutig als Deutsche zu erkennen - uns verhalten sollen. Das klischeehafte Bild des milosevictreuen Serben mit nationalistischen Ideologien und - bedingt durch die Rolle Deutschlands in der Geschichte des Balkans - starken antideutschen Gefühlen, das in westlichen Medien verbreitet wird, ist auch bei uns nicht ohne Wirkung geblieben. Wir parken und warten, bis die Menschenmenge vorüber ist.

Beeindruckende Gastfreundschaft

Zwei Tage später ist von dieser Unsicherheit nichts mehr geblieben. Die Gastfreundschaft, mit der wir in einem 1-Zimmer-Appartement genauso herzlich wie in einem komfortablen Haus aufgenommen werden, ist beeindruckend. Den meisten Menschen geht es nach dem letzten Krieg wirtschaftlich noch schlechter als vorher. Viele besitzen außerhalb ihres Wohnortes ein Stück Land, auf dem Obst und Gemüse angebaut und Nutzvieh gehalten wird, um ihre Situation etwas aufzubessern. Von den ökonomischen Mißständen sind vor allem Städte wie Kragujevac, in der durch die Bombardierung der Autofabrik Zastava durch die Nato 22000 Menschen ihre Arbeitsplätze verloren haben, besonders betroffen. Die Beschädigung des Museums in dem Ort, zu der eine Gedenkstätte für die Ermordung von 7000 Menschen durch die deutsche Wehrmacht gehört, ist einer von den sogenannten Kollateralschäden.

Hoffen auf den Aufschwung

In Cacak können wir eine von drei zerstörten Fabriken besichtigen, in der Maschinen zum Trocknen von Früchten, Ventilatoren und Heizlüfter hergestellt worden sind. In dieser Stadt hofft man durch etliche Privatunternehmen und vor allem eine britische Fabrik, die den Krieg unbeschadet überstanden hat, auf wirtschaftlichen Aufschwung. "Wir brauchen ausländische Impulse", faßt Marko*, ein Student aus Belgrad, die Hoffnung vieler SerbInnen nicht nur auf eine wirtschaftliche, sondern vor allem eine politische Öffnung ihres Landes gen Westen und eine europäische Integration zusammen. Allerdings stehen etliche SerbInnen versuchen von Nato-Staaten skeptisch gegenüber, ihrem Staat westlich verstandene Demokratie aufzuzwingen. Nationalistische Überzeugungen werden sichtbar, versärkt durch ein Isolationsgefühl der meisten Menschen gegenüber der restlichen Welt. "Der Wiederaufbau sollte allein durch unsere Regierung finanziert werden, um nicht in westliche Abhängigkeit zu geraten", betont ein Mitglied einer Regierungspartei. Und manchmal wird von GesprächspartnerInnen darauf hingewiesen, daß der Kosovo untrennbarer Bestandteil Serbiens sei und aus historischen und religiösen Gründen bleiben müsse.

"Es ist schwieriger für uns, nach all dem zu arbeiten", beschreibt Katarina* von der Menschenrechtsorganisation "The Belgrade Centre for Human Rights" die Probleme ihrer Arbeit. "Wir verlieren Argumente. Wenn wir versuchen, Menschenrechte und westliche Werte zu vermitteln, werden wir gefragt: Was sind das für Werte, auf deren Grundlage wir völkerrechtswidrig bombardiert wurden?" Die Erinnerungen an die Nächte im Luftschutzbunker, das ständige Bangen vor dem nächsten Angriff und die Angst um Angehörige und FreundInnen sitzen tief.

Kein Platz für Flüchtlinge

Diejenigen, die am meisten unter der jetzigen wirtschaftlichen Misere Jugoslawiens zu leiden haben, sind die IDP's (internal displaced peopleinternal displaced people), wie die - vor allem serbischen und Romaflüchtlinge - aus dem Kosovo von offizieller Seite genannt werden. "Die Situation ist hoffnungslos. Für Flüchtlinge ist kein Platz. Sie sind teilweise in Privathäusern untergebracht mit sechzig bis siebzig Personen unter einem Dach oder in den sogenannten Collective Centres. Das sind Ruinen, ohne Dächer und Fenster", berichtet Katarina*. "Der Winter kommt und keineR weiß, was mit diesen Menschen passieren soll. Es fühlt sich niemand für sie verantwortlich. Wir vermissen hinreichende Hilfe der eigenen Regierung und auch ausländischer Staaten." Die Beziehung zwischen Einheimischen und Flüchtlingen beschreibt Stefan* von einer von der Schweiz unterstützten Flüchtlingsorganisation in Kragujevac: "Die Menschen hier haben Angst, daß ihr Lebensstandard, der sowieso schon niedrig ist, durch die Anwesenheit der Flüchtlinge noch mehr sinkt." Wir bekommen Zweifel an der Wirksamkeit der Sanktionen gegen Jugoslawien. "Viele wünschen sich, die Flüchtlinge würden schnell wieder zurückkehren." Aber dies ist angesichts der politischen Lage im Kosovo unmöglich. Die meisten sind stark traumatisiert. "Wir sind häufig Psychotherapeuten, Freund und Berater in einem", umreißt Stefan* seine Aufgabe in der Organisation, in der Flüchtlinge vor allem bei behördlichen Fragen Unterstützung bekommen.

Ohnmacht

Es herrscht eine Atmosphäre der Apathie. Obwohl sich vor allem in Belgrad noch etliche Menschen den Demonstrationen gegen die Regierung anschließen, die in allen größeren Städten Serbiens und der Vojvodina stattfinden, ist das Ohnmachtsgefühl, das die meisten Menschen hier gegenüber der Politik empfinden, vor allem auf diesen Protestmärschen spürbar. Viele stehen den Oppositionsparteien skeptisch gegenüber. Es herrschen Zweifel, ob die Reformkräfte eine wirkliche Alternative sind, ob die politischen Ziele des Oppositionsbündnisses "Zajedno" (,Allianz für den Wandel") sich maßgeblich von denen der Regierung unterscheiden. Auch die Erfahrungen mit Vuc Draskovic, der vor zwei Jahren gegen Milosevic auf die Straße ging und später jugoslawischer Vizepremier wurde, haben das Mißtrauen wachsen lassen. "Ich habe Angst, daß sich Milosevic bei den nächsten Wahlen wieder Politiker kauft und diese so gewinnt", beschreibt ein Student aus Belgrad seine Befürchtungen. Doch trotz dieser Ängste scheint die Teilnahme an den Demonstrationen für viele die einzige Möglichkeit, ihren Unmut gegenüber der Regierung und der wirtschaftlichen Situation zum Ausdruck zu bringen. "Ich habe Ärger mit meinen Eltern wegen der Demos", erzählt uns ein junger Mann auf einer der Kundgebungen. "Sie wollen nicht, daß ich dort hingehe; sie meinen, es sei zu gefährlich." Immer wieder gibt es Verletzte. Die zum Teil schwer bewaffneten Polizisten und Soldaten sind bei den Protesten vor allem in Belgrad in großer Zahl präsent. "Sie schlagen auf die Menschen ein, überprüfen Pässe und durchsuchen Wohnungen", beschreibt Katarina* die Repressionen.

Trotz der Schwierigkeiten, sich politisch zu betätigen, treffen wir immer wieder Menschen, die die Hoffnung auf Veränderung nicht aufgegeben haben und sich auf verschiedenste Weise dafür einsetzen. Sei es durch die Aufnahme oder Unterstützung von Flüchtlingen, die Mitarbeit in Hilfsprojekten oder die Aufklärung im privaten Umfeld. Zu diesen Menschen gehört auch Maria*, eine Studentin aus Novi Sad. "Wir dürfen die Hoffnung auf eine Wandlung dieses Landes nicht aufgeben", sagt sie, als wir uns von ihr verabschieden, um uns wieder auf den Weg in Richtung Deutschland zu machen.

Nach vielfach ausgesprochenen Hoffnungen, sich im nächsten Jahr in Deutschland wiederzusehen, fahren wir ein letztes Mal an den zerstörten Brücken von Novi Sad vorbei und erreichen wenig später die jugoslawisch-ungarische Grenze. Der erste Schritt zu einem Austausch ist getan.

Kari Steuernagel

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*Name geändert


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