Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/00      Seite 6
 
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Das Projekt X

Im Februar 1998 begann mit dem niedersächsischen Erlaß "zur Beschaffung von Heimreisedokumenten für Ausländer mit ungeklärter Staatsangehörigkeit" das sogenannte Projekt X, ein neuer Baustein für das bald perfekte "System Abschiebung" in Niedersachsen. Seit April 1998 werden Flüchtlinge, bei denen für die Abschiebung Reisepapiere fehlen, aufgefordert, aus ihren dezentralen Unterkünften und Wohnungen in den Landkreisen wieder in die ZASt zurückzukehren, entweder nach Braunschweig oder nach Oldenburg. Jeweils 50 Plätze stehen in den beiden ZASten für das Projekt zur Verfügung. Das Projekt X hat Modellcharakter, soll es doch einen Weg finden für das von den Ausländerbehörden oft bemängelte "Problem", Flüchtlinge nicht abschieben zu können, da sie keine gültigen Ausweispapiere haben.

Den Flüchtlingen wird unterstellt vorsätzlich ihre Identität zu "verschleiern", um damit ihre Abschiebung zu verhindern. Ein "Interview" (mindestens) zweimal die Woche soll die Klärung bringen. Da natürlich schon im Asylverfahren selbst solche Verhöre zur Identitätsklärung stattgefunden haben, ist klar worum es geht: eine verstärkte Repression und Psycho-Druck pur!

Ganz abgesehen von der Tatsache, daß wohl niemandem zuzumuten ist, an seiner eigenen Abschiebung mitzuwirken, und es ausreichend Gründe für Flüchtlinge gibt, keine Papiere zu haben, bezieht sich das Projekt X auch auf Fälle, in denen die Flüchtlingen nachweislich keinerlei Handlungsmöglichkeit haben. Menschen aus Liberia können z.Zt. nicht abgeschoben werden, Kurden aus Syrien werden von der syrischen Botschaft grundsätzlich keine Papiere ausgestellt. Doch auch ihnen wird ihre Identität nicht geglaubt.

Abschieben um jeden Preis oder Illegalisierung Es ist kein Wunder, daß viele der Betroffenen beschließen, sich dem nicht mehr auszuliefern und unterzutauchen. Bis September 1999 wurden insgesamt 154 Flüchtlinge in das Projekt X eingewiesen. Bei 36 wurde die Identität geklärt, 14 sind "kontrolliert ausgereist", 62 sind untergetaucht. Das wird im Zwischenbericht zum Modellprojekt von Ende 1998 als Erfolg verbucht: "26 Personen verschwanden, jedenfalls erschienen sie nicht mehr bei der Ausländerbehörde oder beim Sozialamt".

Statistiken bereinigen, Ausgaben reduzieren, Flüchtlinge in die Illegalität zu treiben, das scheint die Politik des Projekt X zu sein. Bestätigt wird diese Vermutung durch die Praxis einiger Ausländerbehörden, die den Flüchtlingen in das Projekt X eine Anzeige wegen "mittelbarer Falschbeurkundung" mitgeben. Schließlich werden sie dort eingewiesen, weil die Echtheit ihrer Papiere oder ihrer Angaben angezweifelt wird. Ohne Geld kein Anwalt, ohne Anwalt kein Widerspruch und ohne Geld auch Möglichkeit ein Bußgeld zu bezahlen - Strafhaft wäre die Folge, Untertauchen für viele die Konsequenz.

Und das Leben in der Illegalität ist hart, denn es bedeutet eine ständige Angst vor Kontrollen, keinerlei Anspruch auf soziale Leistungen, nicht zum Arzt gehen zu können, auf mies bezahlte Arbeitsverhältnisse angewiesen zu sein und letztendlich völlig rechtlos zu sein.

System Abschiebung: in Niedersachsen bald perfekt?

Das Projekt X steht im Kontext einer immer repressiveren Politik gegen Flüchtlinge in Niedersachsen und der gesamten BRD. Sie läßt sich mit drei Stichworten beschreiben: Abschottung, Abschiebung, Illegalisierung. Eine Integration ist nur für wenige vorgesehen, aber die sucht man sich lieber selber aus.

Erst Ende Januar fand ein Treffen der berüchtigten "AG Rück" statt, an dem die Bundesregierung, das Auswärtige Amt, das Entwicklungshilfe-Ministerium und die Innenministerien der Länder beteiligt waren. Hier wurden Maßnahmen diskutiert, die alle 3 Bereiche betreffen: So soll schon in den Herkunftsländern die Visumsverteilung eingeschränkt werden oder generell die "Kooperationsbereitschaft" dieser Länder bei der Vergabe neuer finanzieller Hilfen und bei handelspolitischen Liberalisierungen stärker berücksichtigt werden. Genauso wurde ein "verstärkter Einsatz von Kleinstchartermaschinen zur Rückführung schwerstrenitenter Personen" diskutiert - es ist aber auch zu peinlich, wenn andere Fluggäste durch den Anblick von gut verschnürten und geknebelten "Abschüblingen" verschreckt werden, von den entsetzlichen Todesfällen während der Abschiebung gar nicht zu reden. Dann doch lieber alle zusammen in das Kleinflugzeug - ohne Zeugen und ohne unkalkulierbare Abschiebungshindernisse, wie Fluggäste, die sich partout nicht anschnallen wollen oder gar Flugkapitäne, die angesichts der geballten Unmenschlichkeit den Start der Maschine verweigern. Ebenfalls auf der Liste: "Nutzung von Fluggerät und Personal der Bundeswehr" und nicht zuletzt "Maßnahmen für Personen, die keine Angaben über ihre Herkunft machen oder deren Heimatstaaten die Rückführung behindern"(Der Spiegel 24.01.00).

Für Letzteres spielt Niedersachsen mit dem Modellprojekt X die Vorreiterrolle. "Ganz Deutschland schaut auf uns", brüstete sich der Leiter des niedersächsischen Dezernats für aufenthaltsrechtliche Fragen Gutzmer gegenüber Bediensteten der ZASt Braunschweig. Hat er schon Nachahmer gefunden? Zumindest in Bremen machte sich der Innensenator Schulte (CDU) für ein sogenanntes "Rückführungszentrum" stark, wo es dann denkbar wäre "Botschaftsangehörige einzuladen und ihnen "Zweifelsfälle" vorzuführen" (vgl. taz bremen, 09.02.00).

Und in Niedersachsen bleibt es nicht bei dem Projekt X allein: ab September soll das ehemalige Grenzdurchgangslager in Bramsche-Hesepe 150 Betten für "Bürgerkriegsflüchtlinge" sowie 200 Betten für "abgelehnte Asylbewer-ber, die nicht sofort abgeschoben werden können" bereitstellen. Und in Hannover soll ein flughafennahes und großzügig ausgestattetes Lager als Abschiebeknast mit geplanten 250 Plätzen ab Frühjahr 2001 in Betrieb gehen (vgl.: Flüchtlingsrat, Heft 64/65, S. 22-24).

Die Situation der Betroffenen

Die Situation der Menschen, die im Projekt X leben müssen, ist absolut untragbar, entwürdigend, unmenschlich. Sie ist gekennzeichnet durch eine weitreichende Entrechtung, entwürdigenden Bedingungen in den ZASTen, einem Ausgeliefertsein gegenüber Behördenwillkür und einem enormen psychischen Druck.

Da den Betroffenen nach §1a des Asylbewerberleistungsgesetz angelastet wird, daß aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, werden zudem die sozialen Leistungen auf das "unabweisbare Maß" beschränkt. Das bedeutet nicht mehr als 3 Mahlzeiten täglich und ein Bett! Kein Taschengeld, keine Gutscheine, keine Arztbesuche außerhalb des Lagers, kein Geld für Busfahrten, kein Geld für Telefongespräche, für Briefmarken…- somit werden die Chancen, sich wenigstens teilweise den unwürdigen Bedingungen in den ZASten zu entziehen und sich z.B. selbst mit Essen zu versorgen, auf Null reduziert. Von der Möglichkeit einen Anwalt zu bezahlen ganz zu schweigen. Eine Arbeitserlaubnis gibt es natürlich nicht und selbst die gemeinnützige Arbeit für DM 2,- die Stunde ist verboten, genauso Deutschkurse und alle anderen Maßnahmen, "die ggf. eine Verfestigung der Verweigerungshaltung zur Folge haben" (aus dem Erlaß des niedersächsischen Innenministeriums vom 28.05.99).

Hinzu kommt der Druck, der mit den sich immer gleich wiederholenden Interviews und den schlechten Bedingungen in der ZASt aufgebaut wird. "Wo kommst Du her, wie heißt Dein Präsident?" Diesen und ähnlichen Fragen müssen sich die Flüchtlinge aussetzen, damit ihre Antworten von den anwesenden SozialarbeiterInnen, MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde und den DolmetscherInnen beurteilt werden können. Diese Verhörpraxis hat zur Folge, daß es für die Flüchtlinge keinerlei Trennung mehr gibt zwischen Personen, die über ihre Abschiebung entscheiden, und z.B. SozialarbeiterInnen, die zumindest ein Stück weit bzw. wenigstens bei alltäglichen Problemen innerhalb der ZASt als "Vertrauenspersonen" fungieren könnten/sollten. Dies bedeutet eine weitere Verschärfung ihrer Isolation. - Abgesehen von der Frage, welche fachlichen Voraussetzungen z.B. DolmetscherInnen oder SozialarbeiterInnen überhaupt haben, um in der Regel schwierige Nationalitätszuweisungen vornehmen zu können …

Das schlimmste am Projekt X ist dessen unbefristeter Charakter. Alle diese Ungeheurlichkeiten geschehen ohne Perspektive auf Änderung, es sei denn der Aufenthalt im Projekt X wird durch die Abschiebung beendet. Egal wohin! Oder wie soll mensch sonst einen Brief (24.11.99) interpretieren, der Flüchtlingen im Projekt X zugestellt wurde und die Abschiebung in "Ihr Heimatland oder einen anderen Staat, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Rücknahme verpflichtet ist" ankündigt?

Aktiv werden gegen Abschiebung und Internierung!

Es gibt konkrete Ideen, um gegen das Projekt X aktiv zu werden. Hierfür ist eine Kampagne unter dem Motto "das andere Niedersachsen" geplant, die über Pfingsten vom 10.- 12. Juni am "Tag der Niedersachsen" in Peine beginnt und am 19. Juli anläßlich des EXPO "Tag der Weltenwanderung" - wir nennen es antirassistischer Aktionstag - endet. In den ersten beiden Wochen nach dem "Tag der Niedersachsen" sollen zudem dezentrale Aktionswochen stattfinden mit Aktionen und Informationsveranstaltungen in Braunschweig und Oldenburg und an anderen Orten. Es gibt hierfür ein Koordinierungstreffen am 16.04 ab 11.00 Uhr in Oldenburg, K14, Kaiserstrasse 24.

Ganz dringend suchen wir noch Leute, die Lust haben an der Kampagne mitzuarbeiten! Und genauso dringend sind wir auf Spenden angewiesen: Initiative für offene Grenzen, BfG Oldenburg, BLZ 28010111, Kto: 27 624 77800, Stichwort: Projekt X

Kontakt: Initiative für offene Grenzen Tel.: 248175, AKKU Tel.: 14402, Rundbrief der Kampagne unter www.alhambra.de

 

 
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