Oldenburger STACHEL Ausgabe 6/00      Seite 6
 
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Offener Kanal doch nicht so offen?

Sendeleitung kippte freie Redaktion - Abmahnung an Nachrichten-Redakteur

Knapp zwei Jahre bevor seine Probezeit abläuft, verabschiedet sich der Offene Kanal Oldenburg von seinem ursprünglichen Konzept. Mit der Begründung, mehr Kontinuität und Sicherheit in die Arbeit der Nachrichtenredaktion zu bringen, sollen ab Juli fest angestellte Mitarbeiter des ok ol die redaktionelle Leitung und "Koordination" Nachrichten übernehmen. Bisher bestand die Nachrichten-Redaktion aus einem lockeren Team ehrenamtlicher NutzerInnen. Diese interne Konzeptänderung ist weder auf einem Plenum des ok ol angekündigt noch mit dem kontrollierenden Förderverein besprochen worden. Die Redakteure der Nachrichten-Redaktion wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Das Vorgehen der Sendeleitung wird begleitet von harrscher Kritik an einen der engagiertesten Nutzer des ok, der mit satirischer Polemik gegen Politiker auffiel. Die Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk als staatliches Kontroll-Organ der Offenen Kanäle forderte jetzt eine Abmahnung wegen angeblicher Beleidigung eines CDU-Politikers. Der Nachrichten-Redakteur liegt im Streit mit der Sendeleitung und vermutet eine versteckte Zensur.

Zur Vorgeschichte der Offenen Kanäle

Gevatter Brecht empfahl vor 80 Jahren, als der halbstaatliche Rundfunk noch jung war, Radio müsse über sein "reines Lieferantendasein" hinausgehen und den "Hörer als Lieferanten organisieren". Erfunden wurde das Prinzip Offener Kanäle aber nicht von diesem seeligen Kommunisten, sondern in den 70er Jahren von der CDU-Regierung in Rheinland-Pfalz. (Regierungs-Chef war damals dort ein gewisser Helmut Kohl.) In Ludwigshafen wurden erstmalig in der BRD neue Rundfunkformen ausprobiert. Neben dem Kabelfernsehen wurde der private Rundfunk zugelassen. Um Kritikern des privaten Rundfunks den Wind aus den Segeln zu nehmen, ergänzten die schlauen politischen Veränderer die Medienlandschaft durch ein Novum: das Prinzip des Offenen Kanals. Nicht auf Brecht berufend waren sie der Meinung, die Öffentlich-Rechtlichen seien zu stark geworden und arbeiteten an den Bedürfnissen der Hörer und Seher vorbei. Dem sei Abhilfe zu schaffen: die Einwohner des Landes sollten Rundfunk künftig demokratisch und selbstbestimmt (mit-)nutzen können. (Die Begründung war vermutlich besonders gegen die demokratisch-paritätisch strukturierte ARD gemünzt. Noch heute würden besonders im Süden unserer Republik (auf-)rechte Politiker dieses Rundfunkprinzip gerne abschaffen.) In den 90er Jahren war es auch in Oldenburg soweit. Die extra für diesen Zweck geschaffene Landesmedienanstalt winkte mit Sendelizenzen. Drei organisierte Gruppen bewarben sich darum. Ein NWZ- und Verleger-Konsortium, linke Basisgruppen und der Förderverein des Offenen Kanals. Warum letztlich dieser den Zuschlag erhielt, sei der Interpretation der Leserschaft überlassen.

Der Oldenburger Kanal öffnet sich

Seit drei Jahren wird gesendet. Um im linken Oldenburg den Kritikern dieses privaten Projektes den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurden von Anfang an fleißig medienpädagogische Konzepte geschmiedet. Das hehre Ziel: "Allen, die sonst nicht gehört werden, eine Stimme geben". Wessen Stimme, wurde im Werbeslogan nicht gesagt. Als Zielgruppen wurden Jugendliche, Migranten, Alte und sonstwelche Ausgegrenzte bestimmt. Die aber standen irgendwann doch da wie Pik-7. Denn das von den Machern des ok ol meistgeförderte und beliebteste Projekt wurde die Fernseh-Show gleichen Namens im Stile der 70er Jahre-Quiz-Sendungen. In die Show werden regelmäßig die meiste Energie und hohe Kosten investiert. Der Show-Master ist zugleich Sendeleiter im ok ol und legitimiert den Bestand dieses Spektakels mit der Werbung um Akzeptanz in der Landbevölkerung.

Entsprechendes Niveau gewöhnt, waren eine Reihe Hörer und Seher der Meinung, daß es mit der erhofften Medienalternative und vor allem mit der Professionalität der Magazin-Produzenten nicht weit her war. Im Radio beherrschen Platten-Aufleger die Szene. Den wenigen gesellschaftlich und politisch orientierten aber galoppiert der journalistische Erfolg hinter den eigentlichen Intensionen und Anlässen hinterher. Die örtlichen Polit-Verhältnisse geben viel zu sagen auf, womit die wenigen engagierten Nutzer oft überfordert sind. Manche Redaktionsteams wie etwa "IBIS - die interkulturelle Radiowerkstatt" mit Ulrich Hartig als Moderator warfen frühzeitig das Handtuch.

Ein Kanal mit beliebigem Inhalt?

Kritiker sehen das Dilemma vornehmlich im Kernprinzip des Offenen Kanals: Dessen medien-"pädagogisches" Konzept sieht vor, daß inhaltlich nicht in Sendungen eingegriffen werden darf. Faktische Grenzen werden allerdings gesetzt durch entsprechende §§ des Landesrundfunkgesetzes: Wer sich demnach nicht an den Pressekodex hält oder politisch extrem daneben haut, fliegt raus. So konzentrieren sich die Medienpädagogen in Oldenburg faktisch auf die technische Unterstützung. In der Folge wurden allerdings bestimmte "benachteiligte" Gruppen wie Schüler oder Mädchen besonders gefördert. Die auf sich gestellten anderen Redaktionen, die zum Teil verschiedenen Basisgruppen der Stadt zugeordnet werden können und kritisches Radio machen wollten, wurden hingegen immer schwächer. Das einzig regelmäßige an den monatlichen Plenarien war, daß sie ständig mangels Beteiligung ausfielen. Im Ergebnis entwickelten die projektorientierten Medienpädagogen die Ansicht, daß eigentlich nur die von ihnen unterstützten Nutzergruppen die engagierteren seien.

Dennoch suchte die Sendeleitung um Dörte Bührmann die inhaltliche Misere zu ändern. Bevor der ok ol ganz zur Spielwiese für Plattensammler verkam und damit der Konkurrenz anderer Radiosender unterlag, versuchte man sich mit einem neuen Format. Um "die Aktualität und éBürgernähe' zu fördern" sollten regelmäßige lokale Nachrichten gesendet werden.

Heiße Nachrichten auf dem ok ol

Das ursprüngliche Konzept dafür sah täglich aktuelle Nachrichten vor. Verwirklicht wurde das nie. Es fehlte schlicht an engagierten Nutzern. Nach den ersten vorbereitendem Plenum mit 15 Interessierten blieben 3 Nutzer übrig, die zwei Nachrichten-Magazine pro Woche produzierten. Das Team flukuierte; zeitweilig arbeitete es nur zu zweit. Produziert wurde einmal die Woche für fünf Tage im Voraus und es fehlte an attraktiven Ergebnissen. Die mangelnde Aktualität konnte der hiesigen Presselandschaft nichts entgegen setzen. Entsprechend kritisch wurden die "Nachrichten" von den Hörern aufgenommen. Die Stimmung reichte von "notwendig" bis "überflüssig". Karl-Heinz Peisker, seit Sendebeginn Redakteur im Nachrichten-Team, klagte gegenüber dem Stachel, daß die Arbeit und Lust der Redaktion am meisten an fehlender Unterstützung krankte. Sogar seitens der Sendeleitung. Die Bitte um Hilfe bei einer Öffentlichkeitskampagne für mehr Zuarbeit und Aufmerksamkeit von außen wurde ein halbes Jahr lang ignoriert. Jede Nutzergruppe sei eigenverantwortlich und dürfe keiner anderen bevorzugt werden, sei ihnen entgegnet worden. Ferner verbiete das Konzept des ok ol die Einmischung in die Arbeit der Nutzer. Der Redaktion wurde die Möglichkeit verwehrt, einen Rundbrief im Namen des Offenen Kanals zu versenden. Ein Abonnement einer regionalen Nachrichten-Agentur wurde "aus Kostengründen" abgelehnt. Von diesem Abo für 50 Mark im Monat hätte, so auch das Argument der Nachrichten-Redaktion, der ganze ok profitieren können. Geschäftsführer und Ok-Showmaster Paul Michaelsen war das aber zuviel Geld von den 600.000 Mark, die er im Jahr zu verwalten hat.

Die Sendeleitung war jedoch anscheinend klüger beraten als das fordernde Redaktionsteam. Als nach einem halben Jahr kaum gewachsener Möglichkeiten doch noch 80 Rundbriefe an verschiedene Pressestellen, Initiativen und Organisationen versendet wurden, erhielt die Redaktion keine 5 % an Rückmeldungen. Besonders enttäuschend war für sie, daß so gut wie keine Oldenburgischen politischen Basisgruppen die Möglichkeiten der Nachrichten-Redaktion für sich nutzte. Lediglich der BUND schicke regelmäßig Pressematerial. Ansonsten käme sich die Redaktion vor wie der verlängerte Arm der kommunalen und regionalen Regierung, sagt Jörg Meier von der Redaktion. Deren Bedeutung erkannt hätten lediglich die Stadtverwaltung, die Bezirksregierung, die Uni und die Handwerkskammer. Nachrichten-Sprecherin Dorothee Helling-Sohmen ist der Ansicht, von Anfang an hätten die Medienberater eher eigene Interessen verfolgt und nur Prestige-Projekte unterstützt, die politisch wenig Ärger verursachen könnten.

Der Kommentar der Woche

Politischen Ärger gab es nämlich öfter. Zwar verlegte sich die Redaktion mit schlechtem Gewissen darauf, die hiesige Presse zu verwursten, d.h. vornehmlich die NWZ. Doch sie schuf sich daneben auch ein eigenes Schmankerl, daß ihr größere Aufmerksamkeit verschaffte und des öfteren fast zum Verhängnis wurde. In einem Magazin von 10 Minuten, wurde jede Woche ein Kommentar gesprochen, meist mit Bezug zu örtlichen Begebenheiten. Den Vogel schoß dabei öfter Karl-Heinz Peisker ab, der bald für seine scharfe Zunge berüchtigt wurde. Ende 1999 drohte der Hunte-Report mit einer Klage als Peisker dieses Revolverblatt ins Gericht nahm. (Auch der STACHEL, Peiskers journalistische Kinderstube, blieb nicht verschont nach Artikeln zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien.) In der Sendeleitung begann man sich Sorgen um das Ansehen zu machen. Desöfteren habe ihn Dörte Bührmann, ohne sich einer begründenden Diskussion zu stellen als "Meckerkopp" bezeichnet, erzählt Peisker, der sich eigentlich berufen fühlt, den Offenen Kanal als wohlwollenden Kritiker zu begleiten.

Vor dem jetzigen programmlich begründeten Absetzen der Redaktion habe Peisker, nach Meinung von Bührmann, "entgültig daneben geschossen". Als Niedersachsens CDU-Chef Wulff in der NWZ vom 16. März alle Ausländer über einen Kamm geschert des "Asylmißbrauchs" beschuldigte, der der Gesellschaft "Milliardenschäden" koste, erinnerte Peisker in einem Kommentar an ähnliche Vergleiche im Deutschen Faschismus. Er stellte Goebbels als Wulffs "sprachliches Vorbild" hin und nahm die Rassenlehre satirisch beim Wort, indem er vor drohender Verblödung der Gesellschaft warnte sofern "kein frisches (fremdes) Blut mehr in die Gemeinschaft fließe". Dörte Bührmann sah darin die Grenzen des journalistischen Anstandes verletzt: Wulff sei in seiner Ehre beleidigt. Außerdem verwässere Peisker ihrer Meinung nach den Faschismus, wenn er heutige Politiker mit damaligen Nazis vergleiche. Dies auch noch "mit Nazi-Argumenten" zu untermauern sei schlichtweg nur "schaurig". Peisker hingegen beruft sich auf "die Freiheit der Kunst". Nach Brecht kann es für ihn nur "jene Freiheit geben, die sie sich nimmt". Der Kommentar sei satirisch gemeint gewesen. Zum einen wolle er aber die Hörer nicht für blöder halten als sie seien und extra ansagen müssen, wann Satire erfolgt. Außerdem sei es ihm zu müßig, den "noch fruchtbaren Schoß des Faschismus" nachzuweisen mit Beispielen aus der Nazizeit, die man in jedem Geschichtsbuch nachlesen könne. Trotzdem sprach er zwei Wochen nach Bührmanns Äußerung einen zweiten Kommentar mit deutlicheren Worten sowie eine Bemerkung zu ihrer Reaktion. Die Sendeleiterin fühlte sich daraufhin hereingelegt und schaltete nach Rücksprache mit Peisker die Landesmedienanstalt ein. In einer schriftlichen Einschätzung sprach der Programmreferent Martin Wolff (!) Peiskers Kommentaren den Satire-Anspruch ab. In seiner Begründung unterschlug Wolff den Bezug auf die Polemik von Christian Wulff und Peiskers komplexe Argumentationskette. Statt dessen sah Wolff "die Bezüge zur NS-Zeit" "überzogen und ehrverletzend". Aus dem dem Stachel vorliegenden Material geht hervor, daß der Programmreferend einiges sogar falsch zitiert. Peisker sieht darin "nicht nur eine Betriebsblindheit des hannoverschen Beamten, sondern sogar vielleicht gewollte Methode". Wolff bezeichnet Peiskers polemische Spitzen als "rundfunkrechtlich bedenklich"; sie tangierten die Programmgrundsätze des § 18 des Landesrundfunkgesetzes. Der Landesmedien-Beamte empfiehlt abschließend dem ok ol, eine Abmahnung an Karl-Heinz Peisker zu erteilen.

Pikanterweise heißt es ausgerechnet in diesem § 18 LRG unter Absatz 2: "Die Programme ... sollen ... die internationale Verständigung fördern, ...zur sozialen Gerechtigkeit mahnen, demokratische Freiheiten verteidigen, zur sozialen Integration ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, ... zum Schutz von Minderheiten ... beitragen."

Genau das habe Peisker bisher mit seiner Arbeit und seinen Kommentaren intendiert und wundert sich, daß man ihm ausgerechtnet jetzt aufgrund dieses Paragrafen einen Maulkorb umhängen will. Eingentlich sei er heimlich "stolz, eben keine Kommentare zustande zu bringen, die allen gerecht würden. Besonders den Damen und Herren Funktionären, die sich gegenseitig die Karriereleitern halten möchten". Vor allem aber sieht er sich nach wie vor im Recht. Zwar erkenne er an, daß bürgerliche Medien wie auch der Offene Kanal sich "solche merkwürdigen und fraglichen Grenzen" setze, die "wenig mit tatsächlicher Mediendemokratie" zu tun hätten. Jedoch fühle er sich "mit politisch gewollter Methode mißachtet". Es sei schließlich nicht das erste Mal, daß er umstrittene Formulierungen gebraucht habe, die manches mal sogar ganz andere Kaliber gehabt hätten, wo sich auch niemand über ihn "als eigentlich unbedeutenden ok-Produzenten" aufgeregt habe. Vielleicht habe sich das ja inzwischen geändert. Vielleicht habe sich seine Bedeutung nur bedingt geändert angesichts der kritischen Phase, in die der Offene Kanal allmählich gerät, da ja bald seine Erprobungsphase ausläuft und neue Geldgeber gebauchpinselt werden müssen.

 

 
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