Oldenburger STACHEL Ausgabe 7/00      Seite 6
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Hat die Eisenbahn im Nordwesten eine Zu(g)kunft?

Am 5. November diesen Jahres beginnt im Nordwesten Niedersachsens, im Oldenburger Land, ein neues Zeitalter im Eisenbahnverkehr. Nach über 130 Jahren staatli-cher Eisenbahnen auf den Hauptstrecken übernimmt zum ersten Mal eine private Eisenbahngesellschaft den Personenverkehr auf der Schiene. Dies ist Anlaß für Manfred Terhardt (Jever), Regionalvorsitzender und gleichzeitig niedersächsischer Landesvorsitzender des Fahrgastverbandes PRO BAHN e.V., Rückblick zu halten, die gegenwärtige Entwicklung zu beschreiben und einen Ausblick in die Zukunft zu wagen.

Am 15. Juli 1867 fuhr die erste Eisenbahn im Oldenburger Land. Vorausgegangen war 1853 ein Vertrag zwischen dem Großherzogtum Oldenburg und dem Königreich Preußen über die Errichtung einer Marinebasis in Heppens (jetzt Wilhelmshaven). In dem Vertrag hatte sich Preußen verpflichtet als Gegenleistung für die Abtretung von 131 Hektar Land eine Eisenbahn von Bremen über Oldenburg an die Jade zu bauen. Nach Inbetriebnahme der Strecke ging der Bahnbau stetig weiter. Insbesondere wurde das wachsende Oldenburger Eisenbahnnetz mit dem damals hannoverschen bzw. preußischen Netz verknüpft. Die Verbindungen von Oldenburg nach Leer (1869) sowie zwischen Jever und Esens (1871) und nach Osnabrück (1876) sind Beispiele dafür. Das Großherzogtum war seinerzeit sozusagen von hannoverschen Strecken eingekreist: Bremen konnte bereits 1847 mit der Bahn erreicht werden, Emden 1854. Der Streckenausbau hielt dann bis 1913 mit der Fertigstellung der Strecke Varel - Rodenkirchen an. Das Netz der Großherzoglich Oldenburgischen Eisenbahn (G.O.E.) hatte damit seine größte Ausdehnung erhalten. Nach Übernahme des gesamten Netzes im Jahre 1920 durch die damalige Deutsche Reichsbahngesellschaft wurde nur noch die Strecke Delmenhorst - Lemwerder (1922) neu errichtet. Nach dem zweiten Weltkrieg und der Gründung der Deutschen Bundesbahn war es notwendig, zunächst das Streckennetz wieder gebrauchsfähig zu machen. Neubaustrecken gab es für den Personenverkehr nicht mehr. Lediglich ein 13 Kilometer langes Industriestammgleis bei Wilhelmshaven wurde 1972 für den Güterverkehr in Betrieb genommen. Dagegen wurden seit Ende des Krieges viele Strecken stillgelegt. Die zuletzt er-richtete Strecke Varel - Rodenkirchen wurde auch als erste im Jahre 1958 wieder au-ßer Betrieb genommen. In den sechziger bis achtziger Jahren folgten weitere. Die vorerst letzte Stilllegung erfolgte im Jahre 1987 mit der Strecke Jever - Harle. Einige Strecken fielen auch dem Ausbau des Straßennetzes zu Opfer, wie beispielsweise die Strecke Oldenburg - Brake wegen des Autobahnbaus oder die Strecke Cloppenburg - Ocholt, weil eine vorher kombinierte Straßen- und Eisenbahnbrücke durch eine reine Straßenbrücke ersetzt wurde. Ergänzend wären an außergewöhnlichen Ausbaumaßnahmen nur noch die Elektrifizierung der Strecken Oldenburg-Bremen und Hude - Nordenham (1980) sowie Oldenburg - Leer (1985) zu nennen.

Am 1. Januar 1994 ändert sich im Rahmen der Bahnreform Entscheidendes: Die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn werden als Sondervermögen des Bundes in ein privatwirtschaftliches Unternehmen überführt. Der neue Name lautet seither Deutsche Bahn Aktiengesellschaft (DB AG). Sie hat keinen Behördenstatus mehr, son-dern muß sich als Unternehmen im Verkehrsmarkt behaupten. Beim Streckennetz der Bahn bleibt zwar formal der Bund Eigentümer. Er überträgt die Eigentumsrechte jedoch auf die Deutsche Bahn AG bzw. auf das zwischenzeitlich gegründete Teilunternehmen DB Netz AG.

Der 1. Januar 1996 war ein weiteres entscheidendes Datum für den Personenverkehr auf der Schiene. Die sogenannte Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) trat in Kraft. Der Bundesgesetzgeber hatte im Rahmen der Bahnreform seine frühere Zuständigkeit für den SPNV auf die Länder übertragen. Diese wiederum übertrugen sie teilweise auf die Landkreise und kreisfreien Städte. Niedersachsen hatte sich entschieden die Aufgabe beim Land zu belassen, das eigens dafür die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen mbH (LNVG) gegründet hat. Diese privatrechtlich organisierte Gesellschaft ist damit Aufgabenträger für den SPNV in Niedersachsen mit Ausnahme in den Verkehrsverbünde Hannover und Braunschweig. Sie bestellt Leistungen des Nahverkehrs bei entsprechenden Eisen-bahnunternehmen, wie z.B. bei der Deutsche Bahn.

Ein 300 Kilometer langes Bahnnetz (Teilnetz Weser - Ems), das aus den Strecken Wilhelmshaven-Esens, Wilhelmshaven - Oldenburg - Osnabrück sowie Delmenhorst - Osnabrück besteht, schrieb die LNVG 1997 zur Betriebsführung aus. Das Ausschreibungsverfahren ging zu Gunsten der NordWestBahn GmbH aus, einem Konsortium der Deutschen Eisenbahngesellschaft in Frankfurt und der Stadtwerke Osnabrück (Die Verkehr und Wasser GmbH, Oldenburg, ist noch als weiterer Mitgesellschafter vorgesehen). Nach etlichen Terminverschiebun-gen soll diese Gesellschaft nun den Verkehr auf den genannten Strecken am 5. November 2000 aufnehmen. Mit der Aufnahme des Verkehrs werden auch neue Triebfahrzeuge eingesetzt, die als modern und innovativ gelten. 23 solcher Triebzüge hat das Land bei einem Unternehmen in Salzgitter bestellt und stellt sie dem neuen Betreiber auf Mietbasis zur Verfügung.

Im Rahmen eines SPNV-Konzeptes hatte sich die LNVG 1997 mit jeder Strecke in Nieder-sachsen beschäftigt, ob und welchem Umfang SPNV-Leistungen zukünftig zu bestellen sind. Darüber hinaus beinhaltete das Konzept auch, wo und in welchem Umfang Regionalisierungsmittel in Strecken und Bahnhöfe investiert werden sollen.

Bereits vor dem SPNV-Konzept hatte das Land mit der DB einen Vertrag über die Modernisierung der Strecke Oldenburg-Osnabrück abgeschlossen. Mit einem Investitionsaufwand von 30 Millionen Mark sollte die Strecke um ca. 20 Minuten schneller werden. Die Baumaßnahmen sind bis auf ein paar Restarbeiten erledigt. Mit Auf-nahme des Betriebs durch die NordWestBahn werden dann die schnelleren Fahrzei-ten für die Fahrgäste spürbar werden.

Zwischen Sande und Esens werden bereits höhere Geschwindigkeiten gefahren. Die Strecke wurde ebenfalls mit Unterstützung des Landes für etwa 20 Millionen Mark saniert, so daß nunmehr fast durchgehend eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h erreicht wird.

Bei der Strecke Delmenhorst-Hesepe hatte das Land ebenfalls mit der DB einen Vertrag über die Sanierung abgeschlossen. Eigentlich sollten zum Start der NordWestBahn am 5. November die Arbeiten abgeschlossen sein. Die DB ist aber bisher den Vertragsverpflichtungen nicht nachgekommen.

Was soll noch verbessert werden: Entlang der Strecken des Teilnetzes Weser-Ems beabsichtigt die LNVG die Bahnhöfe und Haltepunkte einer Modernisierung zu unterziehen.

Der niedersächsische Ministerpräsident und der Bahnchef Mehdorn haben kürzlich mündlich vereinbart, daß bis 2003 die Strecke Oldenburg-Wilhelmshaven auf durch-gehende Zweigleisigkeit ausgebaut und die Langsamfahrstellen, die zur Zeit eine Geschwindigkeitsreduzierung notwendig machen, beseitigt werden. Anschließend soll die Strecke elektrifiziert werden. Dies soll unter anderem hinsichtlich des zu erwartenden Baus des Weser-Jade-Ports, eines Containerumschlaghafens in Wilhelmshaven, erfolgen.

Einigkeit erzielten Gabriel und Mehdorn auch darüber, daß die Strecke Hude-Nordenham ebenfalls saniert wird. Ein Zeitplan steht hier für allerdings noch nicht fest.

Alle diese beabsichtigten Maßnahmen deuten darauf hin, daß die Eisenbahn im Nordwesten durchaus eine gute Zukunft hat. Viel ist bereits investiert worden, viel soll noch investiert werden. Aber mit Erreichtem will sich der Fahrgastverband PRO BAHN nicht zufrieden geben. Nach seiner Auffassung wären noch folgende Ergänzungen und Verbesserungen im Schienennetz erforderlich:

Da wäre zunächst die Verlängerung der jetzt in Esens am südlichen Stadtrand endenden Bahnstrecke bis nach Bensersiel. Hier könnte eine optimale Verknüpfung mit der Fähre zur Insel Langeoog hergestellt werden. Ein Netz öffentlicher Verkehrsmittel funktioniert immer nur dann, wenn die verschiedenen Verkehrsmittel optimal miteinander verknüpft werden. Gerade Bensersiel bietet sich an, weil die Schiffe nach Langeoog nach einem festen Fahrplan verkehren und nicht wie zu anderen ostfriesischen Inseln üblich von der Tide abhängig sind.

Eine weitere Verknüpfung zwischen verschiedenen Verkehrsträger würde sich auch bei einer Verlängerung von Nordenham nach Blexen bieten, einer Verbindung, die es bis 1980 schon einmal gab. Durch die Verknüpfung mit dem Fährverkehr könnte Bremerhaven ohne Umweg über Bremen mittels öffentlicher Verkehrsmittel erreicht werden.

Realisieren ließe sich dies ggf. im Zusammenhang mit einem Stadtbahnbetrieb, über den die Bremer Straßenbahn AG bereit öffentlich nachdenkt. Mit einem solchen System könnte auch Oldenburg besser mit dem Schienenverkehr erschlossen werden. Durch kurze Haltestellenabstände durch Reaktivierung früherer Oldenburger Bahnhöfe und durch zusätzliche Haltepunkte ließe sich die Akzeptanz des Schienenverkehrs bei den Bürgern deutlich erhöhen. So könnte z. B. durch einen Haltepunkt am Pferdemarkt die Oldenburger Fußgängerzone einen direkten Schienenanschluß aus der Region bekommen.

Denkbar wäre auch, das Wilhelmshavener lndustriestammgleis, das das Industriegebiet im Norden der Stadt erschließt, für den Personenverkehr zu nutzen. Lediglich 1,5 Kilometer neues Gleis wären nötig, und der KüstenbadeortHooksiel hätte einen Bahnan-schluß.

Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, daß in der Bahnpolitik ein Wandel eingetreten ist in der Bahnpolitik, wie auch ein Bewußtseinswandel in der Bevölkerung hinsichtlich der Benut-zung öffentlicher Verkehrsmittel. Im Verbund öffentlicher Verkehre hat die Bahn den höchsten Stellenwert. Ihn zu halten und auszubauen sollte allen, die für ge-sellschaftliche Entwicklung Verantwortung tragen, Verpflichtung sein.

Fahrgastverband Pro-Bahn

 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum