Oldenburger STACHEL Ausgabe 7/00      Seite 14
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Josef Kubot - ein Zwangsarbeiterschicksal in Oldenburg 1940

Der neunzehnjährige Josef Kubot aus Klodnitz arbeitete im Frühjahr 1940 bei dem Bauern Hermann Dählmann an der Schützenhofstr. 137. In eigenem Entschluß wechselt er zum Bauern Georg Wilkens am Denkmalsweg. Nach einem Aufenthalt von zwei Tagen zieht er weiter zu dessen Nachbarn Johann Wilkens, Bümmersteder Straße. Als er auch diesen wieder verläßt, wird er in der Stadt von der Gestapo aufgegriffen. Diese weist ihn am 5. März in die Heil- und Pflegeanstalt Wehnen ein.

Er war einer der ersten Zwangsarbeiter in Wehnen. Im Aufnahmebericht heißt es, daß er kaum Deutsch spreche und immer wieder riefe: "Meister, Meister, soll ich tot?" Der ärztliche Befund lautet auf Schizophrenie, also Persönlichkeitsspaltung, die sich in endlosen Gesprächen mit fiktiven Personen und häufigen apathischen Zuständen ausdrückt. Im Krankenbericht ist die Rede von "starker motorischer Unruhe". Da er die Nahrungsaufnahme verweigert, wird ihm mit der Nasensonde sogenannte "Füttersuppe" aus Ei und Milch zugeführt.

Im April/Mai bessert sich sein Befinden, er wird selbständiger und nimmt freiwillig Nahrung zu sich. Ende Mai verfällt er jedoch wieder in den alten Zustand. Am 1. August tritt wiederum eine Besserung ein, er wird "wieder selbständig" und muß anscheinend nicht mehr im Bett fixiert werden. Kurz darauf jedoch scheint sich sein Zustand endgültig zu verschlechtern:

"22.August 1940: K. zeigt große motorische Unruhe, muß ständig zu Bett gehalten werden. 15. September: K. liegt noch immer zu Bett. Steht nach wie vor völlig unter dem Einfluß seiner krankhaften Wahnideen und Sinnestäuschungen.

22.September: Dem ganzen äußeren Bild nach besteht an der Diagnose S c h i z o p h r e n i e kein Zweifel. K. wird heute nach Haus C verlegt.

12.Oktober: Der körperliche Zustand hat sich in der letzten Zeit verschlechtert, obwohl K. ganz gut ißt.

13. November: Weiterhin Verschlechterung des Zustandes. K. ist völlig unansprechbar, scheint sehr stark gehemmt zu sein. 10.12.: Untersuchungen auf Tbc. in Stuhl und Urin laufen noch. 15.12.: Unter dem Bilde einer Herz- und Kreislaufschwäche um 14,30 Uhr verstorben1 ."

Die unspezifische Todesursache "Herz- und Kreislaufschwäche" ist typisch für die Befunde bei den ermordeten Patienten. Auch die amtliche Todesanzeige, die der Gemeinde Bad Zwischenahn zugeht, nennt diese Todesursache.

Ganz anders beurteilt der behandelnde Arzt, der SS-Obersturmführer Dr. Moorahrend, die Todesursache in einem Trostbrief an die Mutter des Patienten vom 22. Februar 1941:

"Es handelte sich bei Ihrem Sohn um eine Lungentuberkulose. Ein auftretender Blutsturz führte plötzlich zum Tode. Von dem Tod selbst hat Ihr Sohn nichts gemerkt"2.

Der Beginn der letzten, endgültigen Verschlechterung in Josef Kubots Gesundheitszustand am 22. August folgte unmittelbar der Bearbeitung des "Meldebogen 1" am 21. August.

Die Einträge bejahen die Bettlägerigkeit und verneinen die Arbeitsfähigkeit sowie die Aussicht auf Therapie und erfüllen damit die Aussonderungskriterien des "Euthanasie"-Programms3. Der Tod Josef Kubots scheint also mit dem Ausfüllen seines Euthanasie-Meldebogens am 21. August beschlossene Sache geworden zu sein.

Die nun folgenden Eintragungen in der Krankenakte sind manipuliert. Sie folgen in ihren stereotypen Wendungen der unerbittlichen Routine des Euthanasieprogramms, das in Wehnen durch die Perfektionierung der Hungermethode seinen ganz eigenen Verlauf nahm. Der Patient wird durch Verlegung nach Station C ausgesondert. Dort wird er am Bett festgeschnallt und auf Hungerdiät gesetzt. Von der damit verbundenen Schwächung erhofft man sich eine Infektion, an der er möglichst rasch sterben soll. Die Konsequenz aus dieser Methode ist besonders perfide, denn je stärker die Konstitution des Patienten, desto mehr verlängert sich seine Leidenszeit.

Die Manipulation der Krankengeschichte erkennt man unter anderem daran, daß alle Eintragungen in einem Zug nach dem Tod des Patienten am 15.12.1940 erfolgten. Ein anderes Indiz ist die Bemerkung vom 12. Oktober, daß der Patient ganz gut esse. Sie paßt nicht in die Krankengeschichte, denn immer, wenn sich das Krankheitsbild verschlechtert hatte, war auch wieder die Sondenfütterung nötig geworden, wie man den bis zum 22. August glaubwürdigen Einträgen entnehmen kann. Die dann eintretende Verschlechterung findet vermutlich nur auf dem Papier statt. Eine eintretende Selbständigkeit beim Essen wäre nicht nur als Zeichen einer Besserung, sondern auch der Entlastung des Klinikbetriebes von einer personalaufwendigen Pflegemaßnahme begrüßt worden. Der Arzt lügt, wenn er betont, daß der Patient gut verpflegt werde. Das Gegenteil ist der Fall: Josef Kubot bekommt keine ausreichende Nahrung mehr, er ist auf Hungerkost gesetzt. Unabhängig von der Frage, ob er gefüttert werden muß oder selbst essen kann, wird ihm die Nahrung systematisch entzogen.

Im Oktober scheint er erwartungsgemäß zu erkranken, und zwar, wie man offenkundig hofft, an Tuberkulose. Doch der Befund des Landeshygiene-Instituts vom 7. Oktober ist negativ. Dessen ungeachtet, bereitet Moorahrend die Mutter am 12. Dezember brieflich auf den Tod ihres Sohnes vor4:

"Wehnen bei Bloh, den 12. Dezember 1940. Frau Wladislawa Kubot, Klodnitz Krs. Kattowitz: (ohne Anrede) Der Zustand Ihres Sohnes hat sich in körperlicher Hinsicht in letzter Zeit erheblich verschlechtert. Obwohl die Nahrungsaufnahme ausreichend und gut ist, geht Ihr Sohn körperlich ganz erheblich zurück. Es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen tuberkulösen Prozeß der Lungen. Unsere Untersuchungen sind allerdings noch nicht abgeschlossen. Der Zustand ist ernst."

Einen Tbc-Nachweis hat Moorahrend nicht. Die Akte, in der sonst akribisch alles gesammelt wurde, weist keine weiteren Untersuchungen nach. Moorahrend lügt also ein weiteres Mal, diesmal gegenüber der Mutter. Er wähnt sich sicher, daß ihm die Eltern, die als Polen in seinen Augen nur Menschen zweiter Klasse sind, keinen rechtlichen Schaden zufügen können. Einer deutschen Mutter hätte er dies nicht zu schreiben gewagt, denn zum System der dezentralen Euthanasie, von den Mordärzten selbst "wilde Euthanasie" genannt, gehört es, den Krankengeschichten der Ermordeten den überprüfbaren Anschein medizinischer Korrektheit zu verleihen.

Josef Kubots Krankengeschichte ist eine von über 130 von Zwangsarbeitern in Wehnen. Davon endeten 49 tödlich. Die meisten waren in seinem Alter. Durch die Trennung von Daheim, die zumeist gewaltsam erfolgt war, verfielen sie in Depressionen oder Traumgesichte. Wurden sie dann der Psychiatrie zugeführt, so gab es nur eine Überlebenschance, wenn sie genasen. Erhielten sie eine ungünstige Prognose, dann fielen sie der Euthanasie anheim. Die ungünstige Prognose war bei Zwangsarbeitern wesentlich rascher gestellt als bei deutschen "Volksgenossen", was man allein an der Statistik erkennt. Starben aus dem Durchschnitt der deutschen Patienten im Laufe der Jahre rund 25 Prozent, so waren es von den Zwangsarbeitern mehr als ein Drittel.

Dem Leiden und Sterben der Zwangsarbeiter(innen) wurde bisher wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Mit der geplanten Entschädigung von 10 Milliarden, wie sie die Bundesregierung und die deutschen Konzerne vorsehen, stehlen sich diese Vorteilnehmer billig aus der Affäre. Das Mindeste, was sie an Entschädigung zahlen müßten, und darin wäre noch nicht einmal eine Art Schmerzensgeld für die erlittenen Leiden oder gar den Tod enthalten, das wäre der ihnen entgangene Lohn.

In Oldenburg profitierten die Stadtverwaltung und die Landesregierung von der Sklavenarbeit sowie zahllose Bauernfamilien, kinderreiche Familien und kleingewerbliche Unternehmer. Dieser Kreis kann vielleicht nicht direkt zu den Profiteuren gerechnet werden, da ihnen das Dritte Reich die Männer genommen hatte und mit den Zwangsarbeitern nur die Lücken füllte. Dies ändert natürlich nichts am Unrecht. Dennoch müssen diese Fälle von den Sklaven- und Kriegsgewinnlern, den Konzernen und großen Unternehmen, getrennt werden, die sich an der Sklavenarbeit gesund stießen. In Oldenburg zählten dazu:

EWE, Höfers, Schuhfabrik Varel, Kalkhoff Fahrräder, Cloppenburg, Ziegelei Dinklage (heute Braas Dachbedeckungen), Husmann Baugeschäft, Kammgarn-Fabrik Delmenhorst, das Torfwerk Dittmer & Kybritz in Klein Scharrel, der Landesfürsorgeverband (die Verwaltung des Pflegeheims Kloster Blankenburg und der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen), Otto Lieke Tiefbau (Oldenburg). Diese zufällige Liste ist bei weitem nicht vollständig. Es wäre zu fordern, daß die Stadt und die Universität hier einen Forschungsauftrag erteilten, um die einschlägigen Akten durchzuforsten - solange sie noch nicht, wie bei der "Euthanasieforschung", im Reißwolf gelandet sind.

Ingo Harms

1 LWA-P 9470, Krankenblatt.

2 LWA-P 9470, Brief der Heilanstalt an Frau Kubot in Klodnitz, 22.2.1941.

3 LWA-P 9470, Meldebogen 1 vom 21.8.1940, Nr. 150, Unterschrift: Petri.

4 Moohrahrend an die Mutter, 12.12.1940, ebd.

 

 
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