Oldenburger STACHEL Ausgabe 10/00      Seite 6
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Konsens, Konsens über alles

Der Kompromiß zum Verkehrsentwicklungsplan - kein Schritt in Richtung nachhaltiger Entwicklung

Große Koalition von CDU bis Grün für mehr Parkplätze und Förderung des Radverkehrs

Der Verkehrsentwicklungsplan (VEP) wird für die nächsten 10-15 Jahre Grundlage der Verkehrsplanung in Oldenburg sein. Er soll Leitschnur für die konkreteren Planungen sein. Ein Novum bei der Erstellung des VEP ist der Modus seiner Verabschiedung: Um Kontroversen in der Öffentlichkeit beim heiklen Thema Verkehr zu vermeiden, wurde von der Verwaltung einvernehmlich mit der politischen Seite beschlossen, die wesentlichen Inhalte in einem begleitenden Arbeitskreis (BAK) mit Vertretern aller Stadtratsfraktionen und sonstigen Interessenvertretern dieser Stadt von CMO (City Management Oldenburg) bis zu Umweltverbänden möglichst einvernehmlich zu klären und das Ergebnis dann nur noch formal vom Stadtrat abzusegnen. So verhandelte der BAK zum Verkehrsentwicklungsplan etwa zwei Jahre abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Herausgekommen ist ein Kompromiß, bei dem die Beteiligten einen Teil ihrer Vorstellungen unterbringen konnten. Hier zunächst die wichtigsten facts:

Kraftfahrzeugverkehr bzw. motorisierter Individualverkehr (MIV)

- Neue Autobahnanschluß Krusenbusch

- Erweiterung des Parkangebots durch neues Parkhaus am Berliner Platz

- Optionen auf Erweiterung des Parkangebots bei den Krankenhäusern und beim Theater ("Machbarkeitsstudie")

- Ersatz von Bahnübergängen durch Untertunnelung/ Überbrückung

- Ausbau und Ergänzung des Vorbehaltnetzes in 5 Fällen

- Option auf Einbahnreglung mit dem Ziel der Errichtung einer Busspur zwischen Gartenstr. und Julius-Mosen-Platz

Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV)

- Dichterer Bustakt

- Nachtverkehr am Wochenende

- Förderung des bike und ride

Radverkehr

- Sanierung von Hauptrouten des Radverkehrs

- Verbesserung der Radverkehrsführung an Knotenpunkten

- Stärkung der Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn

Fußgänger

- Verbesserung von Sicherheit und Überquerungsmöglichkeiten

Diese Maßnahmenkombination wurde bei drei Enthaltungen (VCD, ASTA, ADFC) und einer Gegenstimme (OLLI-PDS) mit großer Mehrheit angenommen. Die Aufzählung macht deutlich, daß hier jeder etwas vom Kuchen abbekommen hat. Beschlossen wurde damit letztlich eine parallele Förderung aller Verkehrsarten.

Warum lehnte die PDS-OLLI diesen Kompromiß ab?

Die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Förderung des ÖPNV, des Fuß- und Radverkehrs sind im Einzelnen zu begrüßen. Gleichzeitig wird jedoch eine Förderung des fließenden und ruhenden MIV vorgenommen durch den Bau neuer Straßen und Parkplätze. Durch die gleichmäßige Förderung aller Verkehrsarten wird keine Verlagerung des Modal Split, des Anteils der einzelnen Verkehrsträger erreicht werden, die aus klima- und ressourcenpolitischer Sicht dringend geboten ist. Dadurch wird lediglich der Status Quo festgeschrieben. Auch in der Vergangenheit hat es eine parallele Förderung der verschiedenen Verkehrsarten gegeben mit der Folge eines Anstiegs des MIV.

Das Umweltbundesamt schreibt dazu:

"Durch den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel soll vor allem der Zeitnachteil des öffentlichen Verkehrs abgebaut und damit ein Anstoß zur Verkehrsverlagerung gegeben werden. Dies wird nicht erreicht, wenn die Straßeninfrastruktur ebenfalls ausgebaut wird. Vielmehr ist dann mit Verkehrsverlagerungen zur Straße hin anstatt von der Straße weg und mit straßenbauinduziertem Verkehr zu rechnen. Straßenausbaumaßnahmen stehen grundsätzlich im Widerspruch zum CO2-Minderungsziel. Neben Beschleunigungsmaßnahmen und eigenen Fahrspuren für den ÖPNV zu Lasten des MIV sind im Gegenteil ("push and pull") eher Straßen- und Parkplatzrückbau notwendig, ist der gleichzeitige Ausbau aller Verkehrsträger zu unterlassen und..." (Umweltbundesamt: "Nachhaltiges Deutschland", Berlin 1997, S.114)

Soweit ein bundesdeutsches Amt zur Zeit der Kohlregierung.....

Die Mehrheit im BAK zum VEP fällt also hinter die Forderungen des Umweltbundesamtes, mit Sicherheit kein Gremium linker Gesellschaftskritik, zurück. Dies gilt erschreckender weise (oder auch vielleicht schon nicht mehr...) für die Grünen, die vor nicht allzulanger Zeit eher weitreichendere Forderungen hatten als das UBA. Heute ist es umgekehrt. Weiterhin ist bemerkenswert, daß sich die rosa-grüne Stadtratsmehrheit gegen ihre eigene Koalitionsvereinbarung wendet, die beinhaltet: Keine Ausweitung des Stellplatzangebotes. Ein Ratsbeschluß aus dem Jahr 1996 lautet: "Weniger Belastungen durch den Autoverkehr". Aber vielleicht ist die Erwartung von derartiger Konsistenz doch etwas zu anspruchsvoll, wenn schon im VEP selber sich widersprochen wird. Ein dort von allen geteiltes Oberziel heißt: "Berücksichtigung von Umweltqualitätszielen einer nachhaltigen Entwicklung". Dies kann nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens nur bedeuten, daß Ressourcen und Emissionen drastisch reduziert werden müssen - trotzdem wird der MIV, durch seine auf absehbare Zeit unvermeidlichen CO2-Emissionen eine wesentliche Ursache des bevorstehenden Klimawandels, durch die Erweiterung des Angebots von Parkplätzen weiter gefördert. Daß die Stadt sich in einer Vereinbarung zum Klimabündnis um eine 50% (!) Reduktion von CO2-Emissionen bis zum Jahr 2010 verpflichtet hat, soll hier nicht zur Erheiterung, sondern nur der Vollständigkeit halber mit angeführt werden.

Um nicht einen falschen Eindruck aufkommen zu lassen. Die Verkehrsproblematik ist komplex und eine Emissionsminderung ist nicht durch einfache Maßnahmen in den Griff zu bekommen. Der Wettbewerb der Standorte, der Hunger nach weiterem Wirtschaftswachstum als scheinbarer Problemlöser üben Druck aus in Richtung schneller, flexibler, individueller Mobilität. Aber auch viele (sozio) - kulturelle und konsumtive Wünsche der Bevölkerung können gerade in einer zersiedelten Stadt wie Oldenburg sinnvoll nur begrenzt durch öffentlichen Verkehr abgedeckt werden. Diese nur ansatzweise Andeutung tieferer gesellschaftlicher Ursachen des Anstiegs des Individualverkehrs läßt es fraglich erscheinen, wie viel ein Verkehrsentwicklungsplan auf lokaler Ebene daran überhaupt ändern kann. Dennoch ist eine Förderung des Individualverkehrs bei gleichzeitiger emissionsmindernder Symbolik (etwa die Klimavereinbarung) ein schwer erträglicher Vorgang.

Warum ist es dazu gekommen?

Mutige Versuche in Richtung einer klaren Prioritätensetzung zuungunsten des Kraftfahrzeugverkehrs werden von der politischen Mehrheit aus SPD und Grünen nicht gegangen. Sie hätten die beim ÖPNV und beim Fahrradverkehr erreichten Verbesserungen auch ohne die Kröte Parkhausneubau beschließen können. Ihnen war der Kompromiß mit allen Vertretern wichtiger. Was dafür letztendlich den Ausschlag gegeben hat, darüber kann nur spekuliert werden: Ist es das im Trend liegende Streben nach gesellschaftlicher Harmonie, nach Streitlosigkeit im öffentlichen Raum? Oder doch eher das schnöde strategische Kalkül von Regierungsparteien, sich auf dem Feld der Verkehrspolitik jegliche Opposition - sowohl in Richtung der Umweltverbände als auch in Richtung CDU und IHK - vom Hals zu halten? Oder die Angst vor den Beißattacken eines Lokalredakteurs der örtlichen Tageszeitung mit Monopolstellung, von dem sie jetzt endlich einmal ein kräftiges Lob für ihr Vorgehen bekommen hat? Oder die Illusion, mit der Installation solcher entparlamentarisierenden Hinterzimmergespräche verständigungsorientiertes Handeln und damit intersubjektive Rationalität im Sinne der Habermasschen Diskurstheorie zu fördern? Vielleicht alles zusammen - wir wissen es nicht.

Mit Sicherheit können wir aber sagen, daß die parallele Förderung aller Verkehrsträger keinen Schritt in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung bedeutet. Nachhaltige oder dauerhaft tragfähige Entwicklung hat den Anspruch, Lösungen zu finden, in denen ökonomische Produktivität, ökologische und soziale Anforderungen integriert werden, daß heißt gleichzeitig möglich werden. Dies ist das genaue Gegenteil von Kompromissen, die immer davon leben, daß einige Anforderungen nur halb eingelöst werden und so Probleme verschoben werden. Ökologische Anforderungen sind hier jedoch nicht einmal halb umgesetzt worden. Die Gutachter von der Ingenieurgemeinschaft Schnüll Haller und Partner, die das Verfahren begleitet haben, gehen davon aus, daß bei dem jetzt beschlossenem Maßnahmenbündel die verkehrsbedingten CO2-Emissionen in den nächsten zehn Jahren um 2% steigen werden.

Ulrich Schachtschneider

Ulrich Schachtschneider, war als Vertreter für die OLLI-PDS im begleitenden Arbeitskreis zum Verkehrsentwicklungsplan. Für mit Gründen belegte Kritik bin ich immer dankbar: Ulrich.schachtschneider@uni-oldenburg.de 0441-76286

 

 
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