Oldenburger STACHEL Ausgabe 6/01      Seite 12
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Therapeut zu sein, ist nicht schwer?

Alkoholiker dagegen sehr!

Wenn ein Chirurg über achtzig Prozent seiner Operationen so ausführt, daß sein Patienten vor die Hunde gehen, dann dürfte er nach kurzer Zeit seine Arbeit nicht weiter ausführen. Jeder würde sich die Frage stellen, was dieser Chirurg falsch machte und ob es nicht eine andere Operationsmethode gibt.

Beim Therapeuten scheint es normal zu sein, daß seine Methode kaum Erfolg hat, und nur wenige stellen die Therapieform in Frage. Es wird an alten Zöpfen festgehalten, da ja ein ganzer Berufszweig davon lebt, und es Mühe macht, mit den Klienten Neues zu entwickeln. Arme Alkoholiker, auf deren Kosten andere ihr Leben finanzieren, oder sich durch den Steuerzahler finanzieren lassen.

In vier bis sechs Monaten Therapie wird mit 0-8-15-Mitteln die psychosoziale Scheiße der Vergangenheit durchgekaut. Doch das Heute und die psychosoziale Gestaltung der Zukunft kommen zu kurz. Die meisten Alkoholiker sind hoch verschuldet, arbeitslos und haben kaum (noch) intakte soziale Bindungen. Hier sollten meiner Erfahrung nach Sozialarbeiter und Schuldner- wie Eheberater den Schwerpunkt einer Therapie bilden. Wenn Schulden auf ein erträgliches Maß umgeschuldet sind, kaputte Ehen und Beziehungen beraten, Wohnungen und Arbeitsplätze vermittelt werden und ein neues soziales Umfeld entstehen kann, dann hat der suchtkranke Mensch eine bessere Chance für sie Zukunft. Leider ist es eine Tatsache, daß Therapieeinrichtungen nur den Zweck erfüllen, daß ein Alkoholiker für eine bestimmte Zeit trocken ist, sich von seinem Saufvrrhalten ausruhen und erholen wie einem geregelten Tagesablauf nachkommen kann. Das reicht aber nicht aus, um für die Zukunft ein trockenes Leben zu führen.

Tatsache ist es auch, daß jeder Suchtkranke die Therapie beeinflussen kann, wie es ihm angenehm ist. Durch falsche Angaben oder Verschweigen von Fakten wird so eine Therapie zum Laienschauspiel und ist zum Scheitern verurteilt. Vom Patienten, dem Alkoholiker, kann nicht erwartet werden, daß er offen und ehrlich ist, denn er versucht in einer solchen Scheintherapie nur seinen Vorteil zu nutzen, um über die Runden zu kommen. (Was vom Süchtigen oder der Süchtigen erwartet werden kann, scheint mir nicht so wichtig wie die Erwartung, welche die süchtige Person an sich selbst hat. D. suchterfahrene Tipper.) Anders wäre es, wenn er tatsächlich gefordert würde, etwas für seine Zukunft (Entlassung) zu tun, sich um Schulden, den ganzen sozialen Müll usw. zu kümmern. (Bei allem Respekt: Da spüre ich jetzt eine typisch süchtige Ausflucht vor der eigenen Verantwortung. D. suchterfahrene Tipper) Das hätte zur Folge, daß er tatsächlich entstandene Probleme bearbeitet und allein dadurch eine bessere Zukunftsprognose hätte.

Leider werden Therapieeinrichtungen von Medizinern und Psychotherapeuten geführt, die auch die Form der Therapie bestimmen, und diese Berufsgruppe läßt sich von Sozialarbeitern usw. nicht ans Bein pissen. Dann gibt es noch eine Menge sogenannter Therapeuten. Das sind Menschen, die oftmals eine handwerkliche Ausbildung haben und nun durch ein veraltetes Therapiekonzept auf die Suchtkranken losgelassen werden und glauben, daß sie mit Pinsel, Hammer und Hauklotz in der Psyche eines suchtkranken Menschen rumschlagen können. Das Ganze wird dann Ergo- oder Beschäftigungstherapie genannt.

Mir geht es nicht darum, Therapeuten und anderes Personal zu verurteilen, doch mußte ich die Erfahrung machen, daß ein nicht geringer Teil der Angestellten heimlich säuft, Probleme in der Partnerschaft und wie auch so mancher Alkoholiker, enorme Schulden hat. Solche selbst angeknacksten therapeutisch tätigen Menschen werten oft ihre Klienten ab, behandeln sie sogar als saufende Arschlöcher, stellen sich über ihn statt hilfreich an seine Seite. Sie erkennen nicht, daß sie nur durch Glück oder Zufall noch nicht auf der anderen Seite gelandet sind. (Ich dachte immer, die Hölle wäre der Alkohol. D. suchterfahrene Tipper)

Eine Therapie verursacht enorme Kosten. Helfen bedeutet für mich, nicht von einem Psychotrip zum anderen geschoben zu werden, sondern den Suchtkranken unter fachlicher Anleitung bei der Bewältigung sozialer Probleme unterstützend zu begleiten.

Jürgen Saupe

Anmerkung der Redaktion:

In dem Beitrag wird eine wichtige Frage angesprochen: Im sogenannten Gesundheitssystem wird mit mindestens zweierlei Maß gemessen. Naturheilmittel (geringe Nebenwirkungen) werden massiv auf Wirksamkeit kontrolliert, während in anderen Bereichen vieles möglich ist, was wenig wirkt und zugleich starke Nebenwirkungen entfaltet.

Doch hinsichtlich der Frage der Alkoholsucht ist anzumerken, daß in den vergangenen Jahren eine Menge positiver Ansätze entwickelt wurden. Als erstes und wichtigstes Stichwort sei das oftmals lebensrettende Programm der Anonymen Alkoholiker genannt. Kontakt in Oldenburg: Tel. 0441,19295. Da es sich um Selbsthilfe handelt - übrigens mit der höchsten Erfolgsquote - sind die Kosten hier irrelevant. Wichtig ist, daß die Betroffenen ihre Eigenverantwortung am Krankheitsgeschehen erkennen und in den Prozeß der "Trocknung" mit einbringen.

Das gilt für alle Therapieformen. Kontakte hierzu sind z.B. über die Krankenkassen, das Gesundheitsamt usw. zu bekommen. Eine gute Adresse ist auch die Klinik Rastede (SozioPsychoSomatischer-Ansatz), Tel. 04402,937-0. Dort gibt es jeweils am Sonnabend um 10 Uhr einen Vortrag im Themenbereich mit anschließender Aussprache. Der Eintritt ist frei.

Im Zeitalter der Kürzungen kann sich mensch sicher sein, daß niemand "von einem Psychotrip zum anderen geschoben wird". Richtig ist, daß die "Entgiftung" von der Krankenkasse finanziert wird. Eentuell folgende Kurz- oder Langzeittherapie werden als Rehabilitationsmaßnahme über die Rentenversicherungsträger bezahlt. Das bedarf eines selbstgestellten Antrages sowie eines Sozialberichtes einer anerkannten Suchtberatungseinrichtung mit positiver Prognose. Dieser Prozeß dauert seine Zeit, selbst die Wartezeit kann als Qual empfunden werden.

Wenn auch die Eigenverantwortung eine große Rolle spielt bei der Chance auf Trockenheit - Alkoholismus wird von vielen als unheilbar betrachtet - so ist richtig, daß in dem Artikel angemerkt wird, daß es viel zu wenige Möglichkeiten der ambulanten Betreuung gibt, z.B. Unterstützung bei Problemen mit den Ämtern und vielem mehr. Dadurch entstehende Überlastungen des Kranken mindern die Erfolgsaussichten erheblich. Hier wird oft an der falschen Stelle gespart.

f.d.R. Gerold Korbus

 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum