Oldenburger STACHEL Ausgabe 8/01      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Prügel in Genua

Bericht einer Oldenburgerin vom G8-Gipfel

Mir ist es nicht leicht gefallen, einen Artikel über die Ereignisse in Genua zu schreiben, weil mein Kopf noch voller unterschiedlicher Bilder und ungeordneter Eindrücke ist, die unterschiedliche Themen betreffen.

Zu meiner Person:

Ich bin 1989 nach Oldenburg gezogen, habe dort das Pädagogik studiert. Während meines Studiums habe ich begonnen, mich mit der Situation von Flüchtlingen in Oldenburg auseinanderzusetzen. Ich arbeite seit etwa fünf Jahren in der "Ini für Offene Grenzen/Gegen Abschiebung und Sondergesetze" mit. Nach dem Studium arbeitete ich u.a. bei Pro Asyl im Landkreis Diepholz. Flucht und Migration sind nur ein Aspekt der Folgen der Globalisierungspolitik.

Gedächnisprotokoll

zum Schlagstockeinsatz der Polizei Freitag, 21.7.01 circa 16 Uhr auf dem Piazza Manin und der »In Gewahrsamnahme« außerhalb Genuas in einer Polizeistation.

Am Freitag, habe ich, Dorothee Bruch, an der Demonstration im "pink silver bloc" teilgenommen. Festzuhalten ist, daß ich mich gegen 16 Uhr auf der Piazza Manin aufgehalten habe. Dort wurde von unserer Gruppe ein SprecherInnenrat abgehalten, um sich zu sammeln, zu beratschlagen und auszutauschen, wie/ob wir als bloc gemeinsam weiter agieren wollen, etc.

Piazza Manin war ein Platz, auf dem sich viele "gewaltfreie" DemonstrantInnen aufgehalten haben, erkenntlich an den weiß angemalten Händen. Eine Musikband spielte, Leute tanzten auf der Straße, verschiedene NGO's hatten Stellwände, Infotische aufgebaut, für Wasser zum Trinken war gesorgt - der Charakter auf dem Platz war friedlich außerordentlich entspannt. Gegen 16 Uhr liefen ca. 20 Menschen des sogenannten schwarzen Blocks, fahnenschwingend, in einer formierten Parade/Umzug auf. Keine Steine, keine Provokationen, soweit ich das wahrnehmen konnte.

Angriff der Polizei

Innerhalb von wenigen Minuten hatte sich die Polizei zusammengezogen, (für mich war zuerst gar nicht klar erkennbar, daß alle Straßenzüge abgeriegelt worden sind). Die PazifistInnen standen zusammen, die weißen Hände hochhaltend, einige die Leute liefen zusammen und versuchen über einen Treppenweg der Einkesselung zu entkommen. Binnen Kürze war der Platz voller Gas - es war fast nicht möglich zu atmen, bzw. etwas zu sehen/erkennen. Und dann stürmte die Polizei den Platz, rannte in die Menge hinein, schlug los - willkürlich, auf Menschen, die die Hände erhoben hatten, auf Menschen, die mit den Rücken an Häuserwände gedrängt wurden und keine Ausweichmöglichkeit hatten, auf Menschen, die gestolpert waren und am Boden lagen. Ich lag auf dem Boden, erhobene Arme, den Kopf zu schützend. (Platzwunde am Kopf. Gebrochene Elle am rechten Arm.) Mir ist es gelungen, über besagten Treppenabgang von dem Platz zu gelangen und mich mit einigen Menschen zurück zu ziehen.

Die Situation: Unmittelbarer Schock, orientieren, wo sind wir hier, meine FreundInnen suchend. Angst, die Polizei greift Leute raus, prügelt willkürlich in Kleingruppen hinein, die Angriffsstrategie war anscheinend die willkürliche Gewalt. (Vermutung: Durch diese Strategie Panik verbreiten, disziplinierte geordnete SprecherInnenkollektive zerschlagen, in Kleingruppen verstreuen, um besser zu jagen, herausgreifen zu können und zugleich wenig öffentliche Kontrolle über die eigenen (Polizei-) Vergehen zu erfahren, etc.)

Im Krankenhaus

In meinem Fall: ItalienerInnen verständigten die Ambulanz, ich wurde ins Krankenhaus gebracht - dort wurde mein Arm geröntgt, gegipst. Im Krankenhaus schien das Chaos zu herrschen, innerhalb kurzer Zeit (zwischen 17 Uhr und 18.30 Uhr) wurden ganz viele Leute eingewiesen, mit Platzwunden, Brüchen. Eine OP wollte ich erst in Deutschland durchführen lassen. (Zu viele Verletzte; Angst vor nicht-adäquater Behandlung, überfordertes Klinikpersonal, ...).

Zu sechst wurden wir vom Krankenhaus ins Polizeigewahrsam genommen d.h. wir wurden dazu gezwungen, uns von der Polizei abführen zu lassen, zwecks ED-Behandlung. (Trotz Kontaktaufnahme mit dem Genua Social Forum, trotz Gesprächs mit dem Chefarzt und eines Anwaltes, der ins Krankenhaus gerufen wurde.) Die Bitte: das Krankenhaus so verlassen zu dürfen, FreundInnen verständigen zu dürfen; Anfragen, warum die Polizei nicht - wenn schon Daten verfaßt werden sollten - dies im Krankenhaus tun könne; das Krankenhaus war in unseren Augen ein öffentlicher und somit einigermaßen geschützter Raum. Der Chefarzt meinte noch auf meine Bedenken und meine Angst vor der Polizei hin, daß die ED-Behandlung ja lediglich eine Prozedur von fünf Minuten sei.

Die Polizei hatte in diesem Krankenhaus einen eigenen Raum eingerichtet. Dort waren ungefähr fünf Männer, für die Bewachung der Kranken, schätzungsweise auch fünf PolizistInnen. Uns wurde untersagt, das Krankenhaus zu verlassen, um Kontakt zu Menschen, Freundinnen, unabhängigen AnwältInnen, Presse außerhalb des Krankenhauses aufzunehmen.

In der Zelle:

Aus den 5 Minuten wurden für mich 5 Stunden ... So wurden wir, 6 Menschen, jeweils einzeln, in Polizeiautos in eine Polizeistation ca. 1 Stunde außerhalb von Genua gebracht. Ich weiß nicht, wie groß die Polizeikaserne/-station war, in die wir eingeliefert wurden. Bei der Aufnahme wurden unsere Taschen durchsucht, Schreibmaterial und Feuerzeug abgenommen. Die Zelle, in die ich gebracht worden bin, war vielleicht 5 auf 5 m klein. Eine Gittertür, weißgekachelt, leer, kein Stuhl, kein Bett, keine Decken.

Vier Frauen in der Zelle: Eine Französin, zwei Italienerinnen, ich. Als wir eingeliefert wurden, versuchten wir uns auszutauschen, Name, Adresse, wo, bzw. warum wir ausgeliefert worden sind ..., bis zu vier PolizistInnen bewachten/beobachteten uns vor der Tür. Sie schüchterten uns erfolgreich ein, drohten mit Schlägen bei falschen Regungen (z.B. Sprechen, den Kopf nicht zur Wand gedreht halten, etc.). Diese Kontaktaufnahme (Austausch von Namen, Adressen, Umstände der Inhaftierung, Anklagepunkte, Erfahrungen in der Zelle bzgl. des Verhaltens der Polizei) wurde also ganz schnell unterbunden. Wir mußten auf den Boden sitzen, die weiße Wand anschauen, sprechen verboten, uns wurde nicht erklärt, wo wir sind, warum wir hier sind, wie lange wir hier bleiben werden, was uns vorgeworfen wird, ...

Keine Frage wurde uns beantwortet - kein Anwalt durfte angerufen werden, wir durften nicht auf Toilette, die 17jährige Italienerin mußte sich übergeben, weil sie nicht auf Toilette durfte in der Ecke der Zelle, kein Arzt wurde benachrichtigt, wir durften nicht trösten, beruhigen, etc. 5 Stunden Schweigen, ansatzweise zu verstehen, was innerhalb des Gefängnisses vor sich geht, Schläge hören, Schreie hören, hoffen das der Alptraum vorübergeht.

ED-Behandlung und Unterschriftenfälschung

Gegen 23 Uhr wurden die Französin und ich zur ID Behandlung in eine Turnhalle geführt. Zwei Fotos wurden von uns gemacht, PC-Scan-Aufnahme, Fingerabdrücke. Außerdem wurde von uns verlangt, mehrere Dokumente zu unterzeichnen. Auch hier weigerte ich mich, weil ich zum einen nicht erkennen konnte, um welche Art von Dokumenten (italienisch, keine Übersetzung) es sich handelte, ein Papier war für eine (politische?) Kriminalerfassung. Die Dokumente wurden jedoch von der Beamtin an meiner Stelle unterschrieben. Hier gilt es unbedingt aufzuklären, um welche Art von Papieren mit meinem Namen an meiner statt unterzeichnet wurden. Um Mitternacht sind wir aus der Polizeistation entlassen worden. Von dort mußten wir zurück trampen. Um 2 Uhr sind wir zurück nach Genua gekommen.

Die Nachricht von den Schwerverletzen, dem Toten, wurde mir dann auf dem Camp erzählt.

Der Tag danach

Die Demo am Samstag, an der bis zu 300 000 Menschen teilgenommen haben, war eine Wiederholung von den Ereignissen des Vortages. Menschenmassen, gut organisiert, diszipliniert, und bereit, sich von den Ausschreitungen des Vortages nicht einschüchtern zu lassen. Der Demozug setzte sich gegen 12 Uhr in Bewegung. Wie auch immer eskalierte die Situation aufs neue, ob die Polizei sich provoziert fühlte, d.h. von der Demoseite (sog. Schwarzer Block, wie die Medien uns Glauben machen wollen) ist mir egal. Es kam erneut zu unberechenbaren Polizeiübergriffen, Tränengas wurde aus den Hochhäusern in Menschenmassen hineingeschossen, auf den großen Versammlungsplatz, in Seitenstraßen, in die sich die Menschen zurückziehen wollten, hinein, vom Meer aus wurde von Marinebooten vereinzelt mit Gas auf Menschen geschossen ...

Es war Krieg - und trotzdem so irreal, unwirklich und inszeniert. Es schien, daß der ganze Demozug zwischen 13.30 und 17 Uhr an der Küste entlang gejagt werden sollte. Es war ein Wunder, daß nicht noch mehr Menschen durch die unberechenbare Polizeistrategie starben.

Samstagabend war bei mir der Wunsch: nur noch raus aus Genua zu wollen. Es war unklar, welche Gruppen wann Italien verlassen wollten. Ich persönlich habe die Bremer Gruppe, mit der ich mit dem Bus nach Deutschland wollte, nicht gefunden. So blieb ich zur Übernachtung in einem von der Stadt zu Verfügung gestellten Stadion zu Übernachtung, circa 8 km außerhalb des Zentrums. Gegen Mitternacht stand die Polizei vor dem Stadion, es sollte durchsucht und geräumt werden. Viele Menschen hatten mittlerweile Genua verlassen. Es befanden sich immer noch ca. 200 Menschen auf dem Gelände. Dann erreichten uns die Nachrichten von der unvorstellbar brutalen Räumung der Indymediacentrums. Leute weinten. Presse und Kommunalpolitiker kamen ins Camp - und - warum auch immer - gegen 3 Uhr nachts wurde das Verhandlungsergebnis mit der Polizei bekanntgegeben, daß von einer Räumung abgesehen wurde.

Was bleibt, ist Fassungslosigkeit und Sprachlosigkeit angesichts einer derartigen Gewalt, jeder Tote ist zu viel.

Nachtrag: Politische Bewertung zur Repression

Eine solche Politik kann nur die Spaltung der Antiglobalisierungsbewegung beabsichtigen. Daß man eine Situation bewußt anheizt und eskalieren läßt, Tote in Kauf nimmt, der Sachschaden immens ist, das soll angesichts der unverhältnismäßigen Repressionen zu einer Distanzierung der nicht-militanten Teile der Bewegung zum sog. Schwarzen Block führen.

Die Hoffnung: Diskussionen werden geführt, nie waren wir so viele wie in Genua!

Dorothee Bruch

0.5em Die Autorin ist der Redaktion seit vielen Jahren persönlich bekannt und wird von uns für politisch erfahren und absolut glaubwürdig gehalten. Was sie berichtet, ist, so unglaublich es auch klingen mag, wahr und deckt sich mit den Aussagen anderer Betroffener. Wir haben ihren Bericht aus Platzgründen um zwei Drittel gekürzt.

Die Red.

0.5em Weitere Informationen über http://www.indymedia.org.

Die ausführliche Fassung dieses Berichtes ist ab Ende August über http://www.stachel.de abzurufen.

 

 
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