Oldenburger STACHEL Ausgabe 8/01      Seite 3
 
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Todschicke Kleidung

Wenn Tragbares unerträglich ist

So ganz ohne ist das ja nix in unseren Breitengraden und im hiesigen Kulturkreis. Daß das alles - nämlich der Textilkonsum - nicht ohne ist, weiß ich nicht erst seit der Ausstellung im PFL "Jacke wie Hose" im vergangenen Jahr. Dennoch bin ich wohl nicht die Einzige, die sich ab und an ein neues Hemd oder der Tochter eine neue Hose außerhalb des Natur- und des Second-Hand-Handels erwirbt. Es gibt viele alltägliche (Un-)Arten, sich langsam, aber sicher zu vergiften. Da erscheint das Thema Bekleidung nebensächlich. Doch bereits bei relativ oberflächlicher Information wurde mir klar, daß wir durch unsere (kleinen) Eitelkeiten Mitweltverschmutzung und soziale Ausbeutung in gewaltigem Ausmaß vorantreiben.

"Das sieht aber gut aus"

- die für uns unsichtbare Geschichte z.B. des erworbenen T-Shirts ist leider alles andere als schick und vorzeigbar. In ungefähr siebzig Ländern der Erde wird Baumwolle in riesigen Monokulturen angebaut. In ca. einem Jahr von Aussaat bis zur Ernte werden durchschnittlich 25 mal Pestizidsprühungen vorgenommen. Insektizide und Düngemittel werden meist mittels Flugzeug verbreitet, dies oft, während die ArbeiterInnen auf dem Feld sind. Nahestehende Siedlungen werden mitbesprüht. Zur Vereinfachung der Ernte werden zusätzlich Entlaubungsmittel verwendet. (Vietnamkrieg, ick hör' dir trapsen, der entsetzte Setzer.) Viele der benutzten Chemikalien sind in den Industrieländern seit langem verboten. Die Menschen und auch die Tiere nehmen die Substanzen auf. Sie sind ohne ärztliche oder gewerkschaftliche Aufklärung, geschweige denn Unterstützung, ohne Entschädigungen bei z.B. daraus resultierender Arbeitsunfähigkeit.

Schutz für wen?

Wir wollen uns vor allergieauslösenden und hormonhaushaltsverändernden Stoffen (TBT) schützen - wer schützt die ArbeiterInnen auf den Feldern und in der Produktion? "Hundert Jahre, nachdem Friedrich Engels Erschütterndes aus frühkapitalistischen Kleidermanufakturen berichtete, sind heute in den sogenannten Entwicklungsländern den Multis sämtliche Möglichkeiten eingeräument, ungehemmt aus dem Kapital zu schlagen, was im Überfluß zur Verfügung steht: Billige Arbeitskraft." (zit. nach: "Todschicke Kleidung") In den letzten 25 Jahren sind in der Bundesrepublik Deutschland 91 % der Arbeitsplätze in der Bekleidungsindustrie beseitigt worden. 80 % unserer Kleidung (Lederwaren 95 %) wird im Ausland gefertigt, wobei die Firmen ständig auf der Suche nach immer billigeren Standorten sind. Zugekauft wird aus Fernost, Asien, Türkei, Italien, Westafrika, Osteuropa, Lateinamerika. (Z. B. Puma, Adidas, Reebok werden in Manila/Phillipinen produziert.) Die (maschinelle) Stoffherstellung findet hauptsächlich in Südkorea statt. Vor der Verarbeitung werden die Stoffe gewaschen, gebleicht, gefärbt und chemisch ausgerüstet - z.B. mit Tributylzinn (TBT) und ähnlich gefährlichen Mitteln gegen Motten und Schimmel.

Ausbeutung - aktueller denn je

Wird sich nicht schon längst um die ökologischen und besonders um die sozialen Aspekte gekümmert? Überall geistern Begriffe herum wie "Gütesiegel", "Freie Produktionszonen", "ohne Kinderarbeit", "Lohnveredelung", "Flexibilisierung"- doch Tatsache ist: genäht wird unter menschenunwürdigen und frauenverachtenden Bedingungen. Z.B. in Maquiladoras (Weltmarktfabriken), die in sogen. Freien Produktionszonen in Zentralamerika oder Asien angesiedelt sind. Solche Industrieparks sind eingerichtet worden, um ausländische Investoren anzulocken. Sie entsprechen außen wie innen Kasernen - mit Gittern und teilweise mit bewaffneten Wächtern. Hier und überall in der Textilbranche in den Billiglohnländern für den Weltmarkt sind Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung. 12- bis 28jährige arbeiten 10-14 Stunden täglich. Urlaub für Familienbesuche oder Krankmeldungen bedeuten oftmals Kündigung. Klogänge werden nicht als Arbeitszeit angerechnet oder untersagt. Schläge und sexuelle Übergriffe, Verbot von Arztkontakten, kein Tageslicht, schlechte Ernährung, Holzbänke ohne Lehne, unzureichende Frischluftzufuhr, 100-180 DM Monatslohn. Der Produktionsprozeß ist in eintönige Kleinstschritte zerlegt. Arbeitsschutz ist ein Fremdwort. Beschwerden bringen nichts: Kinder dürfen ja eh nicht arbeiten und überhaupt: man/frau kann es ja ohne Arbeit oder woanders versuchen. MitstreiterInnen zu finden ist außerdem schwierig, da die Mädchen und Frauen an die Bedingungen gewöhnt und schlichtweg erschöpft sind. "Ihre" Produkte dürfen sie nicht kaufen, die sind dem Weltmarkt vorbehalten.

Menschenverbrauch...

Wir verbrauchen nicht die Kleidung, jedoch die ArbeiterInnen. Bei uns führen schnell gewandelte Mode und Schnäppchen-Konsum dazu, daß mindestens 700.000 Tonnen Textilien jährlich aussortiert werden. Zum Teil (bes. Jeans) werden diese als "Altkleider" wiederum in "Drittweltländer" geflogen und können dann dort tatsächlich gegen teure Moneten erworben werden. ... Nochmal zurück zu den ökologischen Aspekten:

100% BW ist kein Gütesiegel!

· die Textil- bzw. Veredelungsindustrie ist ein Hauptverbraucher von Trinkwasser

· Rohstoffe, Stoffe, Einzelteile und fertige Kleidung werden kreuz und quer über den Globus geflogen und transportiert

· es werden vor, während und nach der Produktion immer noch auch hierzulande verbotene Chemikalien eingesetzt. So werden krebserregende Benzidine in schwarzen und blauen Anorakkordeln für Kinder und in Herrensocken gefunden. Dein starkes Lederoutfit wurde vielleicht mit Pentachlorphenol (PCP) haltbar gemacht - dann kommen Husten und Atemnot nicht vom Alter... (Der Ersatzstoff "Chlorkresole" ist laut Ökotest auch nicht besser). Zu Verbotenem gehören auch Azofarben. Statt dessen wird mit erlaubten Aminen gefärbt, die lediglich im Verdacht stehen Krebs zu erregen.

Kontrolliert da jemand?

Es gibt für den Import von" Vergiftetem" nach Deutschland natürlich Grenzwerte und Verbote, doch im Grunde keinerlei Zollkontrollen. Zitat des Hamburger Zolls: "Wir sind nicht für den Verbraucherschutz zuständig, sondern nur dafür, ob die Ware mit den Einfuhrdokumenten übereinstimmt. Wir verlassen uns auf die Deklaration des Herstellungslandes." Na prima... Das dt. Wollsiegel beinhaltet übrigens eine sehr umstrittene chemische Ausrüstung gegen Schimmel- und Mottenbefall. Ökostoffe kommen mit einer mechanischen Ausrüstung aus. Die Leinenfasern (wie auch Hanf) nehmen am wenigsten Schadstoffe auf, und brauchen auch im Anbau weniger Düngung und Schädlingsbekämpfungsmittel als z.B. Baumwolle.

Was tun?

· die Kleidung "aufbrauchen" und den Konsum reduzieren

· Neuwaren zu unserem Schutz gründlich waschen (wobei sich trotz Aufbereitung in unserem Trinkwasser Reste ebensolcher Chemikalien finden die nicht deshalb ungefährlich sind, weil etwas weniger davon vorhanden ist)

· Nutzen von Second-Hand-Läden, Tauschbörsen, Flohmärkten

· "ethisch" einkaufen, sich informieren, Firmenleitungen und VerkäuferInnen mit Fragen löchern

· in Naturwarenläden stöbern

· Möglichkeiten des "Transfair" nutzen (Eine-Welt-Läden)

· Kontaktaufnahme zu Gruppen, die in diesem Bereich helle sind

· andere durch Gespräche und Aktionen aufmerksam machen

Ulrike Rau

Literatur und Adressen:

Dritte Welt Laden Oldenburg, Auguststraße 50, Tel./Fax: 04 41/77 67 77

· PAN ( Pestizid - Aktions- Netzwerk) e.V., Cotton Connection, Nernstweg32, 22765 Hamburg, Tel.: 0 40/3 99 19 10-0 Fax: 0 40/3 90 75 20, Email pan-germany@t-online.de

· "Todschicke" Kleidung - zu welchem Preis? (Broschüre) Weltweite Bekleidungsproduktion und unser Kleiderkonsum, Christliche Initiative Romero, Kardinal von Galen Ring 45, 48149 Münster, Tel.: 02 51/8 95 03, Fax: -8 25 41 (Die CIR-Leute wissen auch über Aktion saubere Kleidung Bescheid!)

· Vamos e.V., Informations- und Kulturbüro "Solidarische Welt", Achtermannstr. 10-12, 48143 Münster, Tel.: 02 51/4 54 31, Fax: 02 51/5 79 63: Broschüre und Ausstellung "Jacke wie Hose" sowie weiteres Info-Material

· http://www.saubere-kleidung.de

· http://www.oekotest.de

Aktivitäten in Oldenburg:

Im Rahmen der Lokalen Agenda gibt es eine Kampagne für nachhaltige Textilien, in deren Rahmen Konsumalternativen für Kleidung und Heimtextilien aufgezeigt werden sollen. Es gilt, VerbraucherInnen zu informieren, sensibilisieren und zum bewußteren Textilkonsum zu motivieren. Kontakt über: Agenda-Büro der Stadt Oldenburg, Tel.: 235-32 46, Fax: 235-21 10.

Außerdem gibt es ein Projekt an der Carl-von-Ossietzky-Universität mit dem Ziel, Ökotextilien für Massenmärkte zu produzieren. Ökologische Textilien sollen kostengünstiger produziert werden - das ist das Hauptziel des Forschungsprojektes, das bis zum Jahr 2002 mit etwa 4 Millionen DM vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Beteiligt sind auch der Otto-Versand und die Klaus Stallmann GmbH & Co.. Kontakt: Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Tel. 04 41/7 98-82 55, Emil: schneidewind.uwe@uni-oldenburg.de

 

 
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