Oldenburger STACHEL Nr. 236 / Ausgabe 8/02      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Die Friedensbewegung traut dem Frieden nicht

Nur entschiedene KriegsgegnerInnen dürfen in den Bundestag

Die Friedensbewegung begrüßt die Absage der Bundesregierung an eine deutsche Beteiligung am US-Krieg gegen Irak. Lange schien es so, als sollten außen- und sicherheitspolitische Themen ganz aus dem Wahlkampf der konkurrierenden Parteien herausgehalten werden. Dies war aus zwei Gründen auch nicht weiter verwunderlich: Einmal gelten erfahrungsgemäß innenpolitische Themen als wahlentscheidend und zum anderen gab es in der laufenden Legislaturperiode keine wirklich relevanten Unterschiede in den großen außenpolitischen Orientierungen aller Fraktionen mit Ausnahme der PDS. Noch beim Besuch des US-Präsidenten George W. Bush in Berlin im Mai d. J. wurde die "uneingeschränkte Solidarität" mit der (Kriegs-)Politik der Vereinigten Staaten als "Konsens der demokratischen Parteien" im Bundestag zelebriert.

Begründete Warnung
vor dem Pulverfaß

Umso verwunderlicher, daß sechs Wochen vor der Wahl die Spitzenpolitiker der rot-grünen Regierungskoalition öffentlich vom "Anti-Terror"-Kurs ihres atlantischen Partners abrücken, indem sie insbesondere vor den unkalkulierbaren regionalen und weltpolitischen Risiken eines möglichen US-Krieges gegen den Irak warnen. In der Öffentlichkeit müssen die wiederholten Beteuerungen von Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer, Deutschland werde sich nicht am Irak-Krieg beteiligen, als Kehrtwende verstanden werden. In den Kommentaren vieler Medien wurde der Schwenk vor allem aus zwei Gründen kritisiert: Erstens wolle die rot-grüne Koalition mit dem Aufgreifen der Kriegsfrage von anderen Themen ablenken, insbesondere von den wenig ermutigenden Arbeitslosenzahlen und der offenbar gescheiterten Arbeitsmarkt-, Renten- und Sozialpolitik der Bundesregierung. Viele Kommentare behaupten gar, Rot-Grün wolle mit der Betonung der Irakfrage in der Bevölkerung Angst vor einem Krieg schüren und den Wahlkampf damit emotional aufheizen. Zweitens seien außenpolitische Fragen, zumal wenn sie das deutsch-amerikanische Verhältnis und die atlantische Freundschaft berühren, kein geeigneter Wahlkampfgegenstand. Differenzen zu den USA oder in der NATO müssten - so die oft gehörte Empfehlung - in vertraulichen Gesprächen, also "hinter verschlossenen Türen" verhandelt werden.

Friedensfragen
gehören in die Öffentlichkeit

Beide Argumente halten wir für wenig stichhaltig.

1.) Der geplante Krieg gegen Irak darf die Bevölkerung keineswegs "cool" lassen. Ein solcher Krieg, für den die Szenarien der Kriegsstrategen im Pentagon bis zu 250.000 US-Soldaten und ca. 30.000 britische Soldaten vorsehen, wird unabsehbare Folgen für die irakische Zivilbevölkerung, für die beteiligten Armeen und vermutlich auch für das ganze Pulverfaß Naher Osten haben. Auch dürften langfristige negative Rückwirkungen auf das Verhältnis zwischen dem "Westen" und der "islamischen Welt" zu erwarten sein. Kampf und Krieg werden die Zukunft bestimmen statt Dialog und Kooperation.

2.) Außen- und sicherheitspolitische Fragen gehören zum Kernbestand des politischen Diskurses in demokratischen Gesellschaften. Das Zeitalter der Geheimdiplomatie und der Kabinettskriege sollte doch lange überwunden sein. Auch darf man die Außenpolitik nicht den berufsmäßigen "Experten" überlassen. Eine Entscheidung über Krieg oder Frieden ist bei der Bevölkerung allemal besser aufgehoben als in der "politischen Klasse". Dies sagen wir, obwohl uns natürlich bewußt ist, daß die Bevölkerung über vielfältige Manipulationsmechanismen mitunter auch zum Krieg verführt werden kann.

Wahltaktische Manöver?

Die Friedensbewegung muß sich noch mit einem ganz anderen Einwand auseinandersetzen: Der plötzliche Schwenk von Rot-Grün sei ein rein wahltaktisches Manöver, um sowohl im Lager der Friedensbewegung und der "Linken" verlorenes Terrain wiederzugewinnen als auch der weit verbreiteten Anti-Kriegs-Stimmung der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Den Friedensbeteuerungen von Schröder und Fischer sei nicht zu trauen. Nach der Wahl gälten wieder andere Rücksichtnahmen. Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Haben wir doch schmerzhaft erlebt, wie SPD und Bündnisgrüne in den 90er Jahren von Wahl zu Wahl immer mehr friedenspolitischen "Ballast" abgeworfen und sich nach dem Wahlerfolg 1998 endgültig zu Krieg führenden Parteien gemausert haben. Und wer gesehen hat, mit welch brachialer Gewalt Bundeskanzler Schröder die Koalitionsabgeordneten über die Vertrauensfrage zur Zustimmung zum US-Krieg "Enduring Freedom" zwang, wird sich kaum Illusionen über einen grundlegenden Kurswechsel in der rot-grünen Außenpolitik machen. Dennoch: Auch Politiker sind - obwohl das zunehmend schwerer fällt - zunächst einmal bei ihrem Wort zu nehmen. Und ein klares Nein zum Irak-Krieg heute kann nicht in sechs Wochen zu einem bedingten Nein und später in ein unbedingtes Ja verwandelt werden. Dies wäre ein neuerlicher Wahlbetrug.

Die Taten müssen jetzt folgen

Die Bundesregierung kann schon heute etwas tun, um ihr Versprechen zu beweisen. Nach den Worten vom Frieden erwarten wir nun auch konkrete Taten. Wir appellieren daher an die Bundesregierung:

· im Rahmen der UNO und gegenüber den USA diplomatische Initiativen zu ergreifen, um die Kriegsbefürworter weiter zu isolieren,

· deutlich zu machen, daß von Deutschland keinerlei militärische, finanzielle und politische Unterstützung dieses Krieges zu erwarten ist,

· sofort alle deutschen Truppen aus der Krisenregion zurückzuziehen, insbesondere die ABC-Spürpanzer aus Kuwait und die Marineverbände aus der Golfregion und vor Afrika,

· und die Nutzung der militärischen Infrastruktur in Deutschland einschließlich der US-Basen wie Spangdahlem, Ramstein und Frankfurt Airport zu verweigern.

Konfliktbearbeitung mit zivilen Mitteln

Wer der irakischen Bevölkerung aus der Geiselhaft des Saddam-Regimes helfen möchte, muß zivile Mittel zu Befriedung der Region anwenden. Dazu gehört zuallererst die Aufhebung des zwölfjährigen tödlichen Embargos, dem u.a. Hunderttausende von Kindern bereits zum Opfer gefallen sind; im Gegenzug muß auf die Einhaltung der UN-Resolutionen zur Inspektion der irakischen Waffenproduktionsstätten gedrungen werden. In diesem Zusammenhang müssen auch massive politische Anstrengungen zur Entschärfung des israelisch-palästinensischen Konflikts unternommen werden.

Frieden
ist die entscheidende Frage

Der augenblickliche Wahlkampf, in dem die Bevölkerung wenigstens theoretisch die Möglichkeit hat, die Kandidatinnen und Kandidaten auf politisch-inhaltliche Profile zu befragen, könnte sich als ein Glücksfall für die demokratische Kultur unseres Landes erweisen. Dann nämlich, wenn es der Friedensbewegung gelingt, die Außen- und Sicherheitspolitik ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung zu rücken. Die Befürwortung oder Ablehnung des angekündigten US-Kriegs gegen Irak ist dabei eine entscheidende Testfrage. Es wäre gut für den Frieden in der Welt, wenn sich nach der Septemberwahl die Zahl der KriegsgegnerInnen im Bundestag über den Kreis der PDS-Fraktion und weniger Abgeordneter anderer Fraktionen hinaus bedeutend erhöhen würde. Die Friedensbewegung braucht viele verlässliche KriegsgegnerInnen im Bundestag.

Dr. Peter Strutynski

Sprecher Bundesausschuß

Friedensratschlag

 

 
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