Oldenburger STACHEL Nr. 237 / Ausgabe 9/02      Seite 15
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Hartzige Szenen auf dem Arbeitsamt

oder: Jetzt beginnt der Ernst des Lebens?

Früher...

Früher ist der Arbeitslose zum Arbeitsamt gegangen, hat auf seinem Flur eine Nummer gezogen und in der Regel erst mal zwei Stunden gewartet. Wenn er Glück hatte, wurde ihm nach den zwei Stunden mitgeteilt, daß er auf dem falschen Flur gewartet hätte, weil das hier die Leistungsabteilung sei, sein Anliegen aber in die Vermittlungsabteilung gehöre. Nachdem er auf dem Flur der Vermittlungsabteilung eine Nummer gezogen und weitere zwei Stunden gewartet hat, begrüßt ihn der zuständige Vermittler. "Name, Stammnummer. (Blick in den Computer.) Und, hat sich bei Ihnen etwas getan?" "Nein, bei Ihnen denn?" "Wie meinen Sie das?" "Na ja, gibt es eine Stelle?" "Nein." "Kann ich denn eine Umschulung machen?" "Nein, kein Geld mehr im Topf." "Und ABM?" "Nein, Sie hatten doch schon eine. Sonst noch was?" "Nein." "Na dann bis zum nächsten Mal. Auf Wiedersehen." "Auf Wiedersehen."

....und heute

Heute gehe ich zum Job-Center, meinem lokalen Zentrum für alle Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, einem one-stop-center. Anlaufpunkt ist die Clearingstelle, ein front-office, dessen Kundenstrommanagement nach dem Prinzip one-face-to-the-customer die Kundensteuerung organisiert und administrative Arbeiten zur Entlastung der Fachkräfte durchführt.

Ein verbessertes Matching ergibt sich durch Job-Familien und Profiling. Durch ein Eingangsprofiling wird festgestellt, ob ein Beratungs- und Betreuungsbedarf vorliegt. Im Rahmen des weiteren, bedarfsweise durchgeführten Tiefenprofiling werden neben den harten Kriterien (z.B. Fakten zu Jobhistorie) insbesondere auch weiche Faktoren (z.B. Motivation, Soft Skills wie Teamfähigkeit und Flexibilität) ermittelt. Dieses Vorgehen ermöglicht ein Matching zwischen benachbarten Qualifikations- und Branchenbereichen und öffnet auf diese Weise Migrations- und Besetzungspfade innerhalb der Jobfamilien. Das systematische Identifizieren der Förderungsbedürftigkeit auf der Basis von Profiling und Eingliederungsvereinbarung macht zielgruppen- und segmentspezifische Instrumente überflüssig.

Je nachdem also, ob ich ein Informationskunde, ein Beratungskunde oder Betreuungskunde bin, werde ich zu den Selbstinformationseinrichtungen geführt, bekomme passgenaue Angebote durch einen Vermittler oder meine erheblichen Vermittlungshemmnisse werden von einem speziell ausgebildeten Fallmanager betreut, indem auf mein integrationsförderliches Verhalten gedrängt wird, wenn ich zu den Arbeitslosen mit instabiler Integrationsorientierung zähle...

Der Handlungsspielraum meines Vermittlers für die Pflege der Betriebskontakte und die Akquisition offener Stellen des zugewiesenen Branchensegments wird durch eigene Aktionsbudgets und IT-Services erweitert. Die Erreichbarkeit des JobCenter durch Arbeitgeber wie Arbeitsuchende wird durch ServiceLines sichergestellt. Ein "Kodex guter Kundenpraktiken" garantiert die Service-Qualität gegenüber beiden Marktseiten. Mit der Integration der Dienstleistungen der unterschiedlichen Träger im Front-Office geht eine klare Trennung der Finanzierungsverantwortlichkeit im Back-Office einher.

Wenn alles nichts hilft, werde ich in die PSA, die Personal-Service-Agentur vermittelt, in der Hoffnung, daß der Klebeeffekt mich temp-to-perm in einem Ausleihbetrieb hängen läßt, oder ich gründe eine Ich-AG in einer Clusterbildung des regionalen Wirtschaftsraumes, verabschiede mich in einen Mini-Job aus der Job-Boutique oder werde mit dem Job-Floater in einen atmenden Betrieb gehustet. Sollte ich immer noch arbeitslos sein, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder ich bin zu alt, dann greift das Bridge-System. Oder ich bin zu jung, dann greift das AZWP (AusbildungsZeit-Wertpapier).

Für die Motivation der Mitarbeiter bei der Reform der inneren Verwaltung gilt der Leitspruch: Beschäftigungsfähigkeit statt Arbeitsplatzsicherheit.

Das Controlling der örtlichen Ebene ist das operative Controlling. Eine besondere Herausforderung des operativen Controlling besteht darin, sicher zu stellen, daß die Geschäftspolitik und Rahmenvorgaben der Zentrale auf der örtlichen Ebene durch einen spezifischen Maßnahme-Mix umgesetzt werden. Das operative Controlling muß in der Lage sein, die zentralen Indikatoren mit Kennzahlen, die die Besonderheiten bei der Umsetzung der Geschäftspolitik auf örtlicher Ebene abbilden, zu untermauern. Die nötigen IT-gestützten Erhebungsroutinen und Maßnahmen zur Beschaffung der Daten werden danach ausgerichtet.

Und insgesamt: "Der durch die Vision eingeleitete Wandel und die Neuorientierung der [BA-neu] bedarf eines neuen Leitbildes als Handlungsleitfaden für jeden Mitarbeiter bei der täglichen Arbeit."

Möge die Macht mit uns sein! - Noch Fragen zum Hartz-Konzept?

Das Hartz-Konzept ist das hinter einer aufgeblasenen Managersprache versteckte Eingeständnis absoluter Hilflosigkeit bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Es gibt keine einzige durchgreifende Maßnahme auf Seiten der Unternehmen zur Verhinderung von Entlassungen oder Schaffung von Arbeitsplätzen, aber dafür ein bombastisches Instrumentarium an Verwaltungstechnokratie, um den MitarbeiterInnen der Arbeitsämter und den Erwerbslosen das Leben zur Hölle zu machen.

Michael Bättig

 

 
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