Oldenburger STACHEL Nr. 237 / Ausgabe 9/02      Seite 12
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

ComputerspielerInnen mit "Americas Army" im Visier

Die US-Armee entdeckt Computerspiele als Rekrutierungs- und Propagandainstrument

Die derzeitige Kriegskasse der USA umfaßt inzwischen jährlich etwa astronomische 400 Milliarden US-Dollar. Die amerikanische Bevölkerung ist seit dem 11.9.01 noch mehr in ihrem Selbstbild bestärkt, stellvertretend für die übrige Welt einen opferreichen Kampf gegen das sogenannte "Böse" führen zu müssen. Trotz dieser glänzenden Rahmenbedingungen steht der Kriegskoloß des neuen Empire auf tönernen Füßen. Die US-Armee ist in viele Gliederungen aufgeteilt, die untereinander konkurrieren, nur schlecht kooperieren und um das größte Stück im Kriegshaushalt rangeln. Ähnlich wie in Stoibers Bayern sind Politik, Militär und der Industrielle Komplex miteinander verfilzt. Über dubiose Geschäfte zahlen die SteuerzahlerInnen für überteuertes, veraltetes oder schlicht militärisch unsinniges Kriegsgerät. Eines der größten Probleme für die Kriegstreiber im Weißen Haus stellt aber, trotz allgemeiner Kriegseuphorie, eine schon länger anhaltende Unwilligkeit der jungen Menschen dar, in der US-Armee zu dienen. Die Rekrutierungsstellen haben Schwierigkeiten die Lücken zu füllen. Laut einer jüngst veröffentlichten Studie wären sogar bei der Wiedereinführung der Wehrpflicht, die mal wieder im Gespräch ist, über ein Drittel der jungen Männer nicht bereit, Uncle Sams Ruf zu folgen. Sie würden lieber den Kriegsdienst verweigern.

Neue Form der Propaganda

Um der mangelnden Kriegsmüdigkeit zu begegnen, hat die US-Armee einen neuen Weg der RekrutInnenwerbung beschritten, der gleichzeitig dazu dient, weltweit ein positives Bild von amerikanischen Kriegseinsätzen zu verbreiten: die Computerspiele. Seit dem amerikanischen Unabhängigkeitstag am 4. Juli ist weltweit via Internet und Computerzeitschriften am Kiosk kostenlos der Ego-Shooter "America's Army Operations: Defend Freedom" erhältlich. In der Ich-Perspektive schlüpft die SpielerIn in Rolle eines Rekruten der US-Armee - es wurde hier eine wieder eine reine Männerwelt erschaffen - der in der Grundausbildung den Umgang mit der Wirklichkeit nachempfundenen Waffen lernt und später durch Internet-Kämpfe mit anderen Spielern versucht, sein "Kill-Konto" zu füllen. Das Gemetzel findet jeweils auf den online Servern der US-Armee statt, die gleichzeitig auch die Punktekonten der angemeldeten Spieler verwaltet. Hierbei wird permanent das Spielverhalten analysiert. Wer zu oft Befehlsverweigerung begeht oder das Feuer auf seine eigenen Mordkumpanen eröffnet, wird früher oder später von den offiziellen Servern gesperrt.

Witzloses für Technikbegeisterte

In diesem ohne jeden Witz oder Ironie daherkommenden Propagandaprogramm - von Spiel schreibe ich lieber nicht mehr - geht es zum einen um die Vermittlung von militärischen Verhaltensweisen und Mordtechniken. In den realistischen Trainingsmissionen werden unter dem Gebrüll eines Drill-Sergeant, das aber von der beim Militär beliebten sexistischen Fäkaliensprache bereinigt wurde, taktisches Vorgehen, Gehorsam und Waffenkenntnisse vermittelt. So kann jeder technikbegeisterte Zwölfjährige bei America's Army den Umgang mit Handgranaten oder die Bedienung des M16A2 Gewehrs lernen.

Messias mit der Waffe?

Zum anderen geht es in den eigentlichen Kampfmissionen, deren dreidimensionale Umgebungen Afghanistan, Jugoslawien oder anderen Kriegsschauplätzen nachempfunden zu sein scheinen, um die Vermittlung amerikanischer Militäroperationen als "saubere" Kriege im Kampf "des Guten" gegen "das Böse". Dabei wurde völlig auf die Darstellung von Gewalt verzichtet: Die Getroffenen sinken einfach zu Boden. Vielleicht ist dies auch als eine Form der Gewaltverherrlichung anzusehen, wenn die Auswirkungen militärischer Gewalt verniedlicht werden. Die politischen Hintergründe oder Konfliktursachen spielen in den Missionen natürlich keine Rolle.

Die GegnerInnen
werden "verteufelt"

In den Aufträgen - die Feinde sind immer Terroristen - geht es meist um die Besetzung von Gebieten, die Zerstörung von Objekten oder gar die Erschießung von Zielpersonen. Die Szenarien decken sich zwar mit den Bildern von den sog. Kriegen gegen den Terror, welche CNN, George Bush oder gelegentlich Gerhard Schröder von ihnen entwerfen, aber mit der eigentlichen Kriegsrealität haben sie wenig gemeinsam. Passend nimmt das Deutsche Kinderhilfswerk Stellung: Diese Propagandasoftware diene dazu, weltweit junge Menschen zu einer unkritischen Haltung gegenüber den Angriffskriegen der USA zu bewegen. Die Kriege und ihre Folgen würden auf zynische Art und Weise verharmlost. Durch Propagandaelemente und Glorifizierung des handelnden Spielers sollen vor allem Kinder zu hochmotivierten und geschulten Soldaten erzogen werden, die keinerlei moralische Bedenken kennen.

Warum scheint Ballern
"in" zu sein?

Zumindest angesichts des Zuspruchs, den das Programm erfährt, scheinen sich die 7,6 Millionen Dollar Entwicklungskosten für das Pentagon gelohnt zu haben. Rund sieben Millionen Mal wurde America's Army aus dem Internet bis jetzt heruntergeladen, wobei noch nicht die weitere Vervielfältigung und Verbreitung über etwa PC-Zeitschriften oder Jugendzeitschriften berücksichtigt ist. Auf dem weltweiten milliardenschweren Computerspielemarkt stehen Ego- oder Taktik-Ballerprogramme wie "Soldier of Fortune" oder "Medal of Honor" ganz oben im Kurs der SpielerInnen. Die verschiedenen Ebenen des Programms sind dabei oftmals in eine erzählende Geschichte eingebunden, die zum einen Spannung in das Spiel bringen soll und zum anderen eine größere Identifikation mit dem "SpielerInnen"-Ich ermöglicht, aus dessen Sicht das Spiel gesteuert und verfolgt wird.

Vom Ballern zum Kriegsszenario

Dienten noch vor einigen Jahren Monsterjagden in Science-Fiction-Szenarien als Hintergründe für die Ballerorgien, so sind die "Spiele" heute zunehmend an realen Kriegen orientiert. Es vollzieht sich eine Militarisierung virtueller Spielewelten, in der das Spieler-Ich die Rolle eines Soldaten verkörpert, zumeist amerikanische Soldaten, da die Programme auf ein amerikanische Publikum zugeschnitten werden. Die USA beherbergen die größten Spielehersteller und weisen den wichtigsten Absatzmarkt für Computerspiele auf. In "Soldier of Fortune 2" (SOF2) ist das Selbstbild der Amerikaner als "Weltpolizist" und "Weltführer" gut zu erkennen. In SOF2 ballert sich das Spieler-Ich in der Rolle eines durchgeknallten Vietnamveteranen im Auftrag amerikanischer Militärs durch den kolumbianischen Dschungel, mit Cowboystiefeln, reaktionären Sprüchen und großkalibrigen Waffen.

Virtuell Menschenrechtsbrüche
eintrainieren

Wie in der Realität setzen sich bei dieser Jagd nach fiktiven Feinden der Freiheit der amerikanischen Marktwirtschaft die USA über Völkerrechte und Menschenrechte hinweg. Im Lauf des "Spiels" muß die TeilnehmerIn" sogar mit ansehen, wie sein "SpielerInnen"-Ich in einer selbstlaufenden Zwischensequenz scheinbar völlig rechtmäßig einen entwaffneten und gefangengenommenen "Terroristen" exekutiert. In dem in Kürze erscheinenden Ego-Shooter "Black Hawk Down", der an den gleichnamigen Kinofilm angelehnt ist, wird der Krieg in Somalia 1993 in einer unglaublichen Geschichtsverfälschung und -verdrehung in realistisch wirkenden Spielmissionen nacherzählt. Wie die neueren Kriegsfilme aus Hollywood erzählen Computerprogramme wie "Black Hawk Down" oder das im Afghanistankrieg angesiedelte "Task Force Dagger" die Geschichte, die die amerikanischen Menschen sich derzeitig selbst meinen erzählen müssen: Der Mythos einer Nation, in der sie sich selbst als Retter und gleichzeitig als Opfer der ganzen Welt darstellt, ein selbstaufopfernder Messias, auf einer Mission, um die Welt vom Bösen zu erlösen.

Menschen: Finger weg von sowas

Bei America's Army ist der Fall klar: Dieses kriegs- und militärverherrlichende Propagandaprogramm gehört nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen. Dazu muß es zunächst aus dem Internet verschwinden. Wer als ErwachseneR meint, dieses "Computerspiel" haben zu müssen, der sollte sich eine registrierte Kopie auf CD in einer Rekrutierungsstelle der US-Armee abholen müssen. Vielleicht würde ihm im Angesicht des Sternenbanners klar werden, mit wem sie es hier zu tun hat. Zum anderen gibt es bekanntlich bei uns noch keine Rekrutierungsstellen der US-Armee. Die rot-grüne Regierung macht sich unglaubwürdig, wenn sie nach den Ereignissen von Erfurt sogenannte gewaltverherrlichende Computerspiele verdammen möchte, gleichzeitig aber den Vertrieb von America's Army an jedem Kiosk gestattet.

J. I.

Weitere Infos: Deutsches Kinderhilfswerk, Leipziger Straße 116-118, 10117 Berlin, Tel.: 030/30 86 93-0, Fax: 030/2 79 56 34, E-Mail: dkhw@dkhw.de; http://www.dkhw.de

 

 
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