Oldenburger STACHEL Nr. 240 / Ausgabe 12/02      Seite 3
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Offener Brief der ALSO (Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg)

Liebe Freundinnen und Freunde!

Liebe Genossinnen und Genossen der SPD!

Die Katze ist aus dem Sack: die SPD-Fraktion hat über die zukünftige Förderung der ALSO und anderer sozialer Projekte in Oldenburg entschieden. Das Ergebnis ist bitter für uns und sicher auch für Euch: Der Gesamtzuschuß für Donna und ALSO wird von über 120.000 Euro in diesem Jahr auf 40.000 Euro in 2003 zusammen gestrichen. Und von Seiten führender Personen der SPD-Fraktion wird dieser Schritt privat mit dem Kommentar gewürzt: "Seid froh, daß ihr überhaupt etwas bekommt".

Mit Eurer Hilfe haben wir diesen Prozeß in den letzten Monaten nicht unkommentiert gelassen. 1600 Menschen haben im September für ein soziales Oldenburg demonstriert, jeweils über 150 Personen waren auf zwei Veranstaltungen zur sozialen Situation in Oldenburg, führende Gewerkschaftsgremien sind gegenüber Schütz aktiv geworden, um ALSO und Donna zu retten, und wir wissen, daß unsere Arbeit auch in der SPD viele UnterstützerInnen hat, was unter anderem in Beschlüssen von SPD-Ortsvereinen sichtbar geworden ist. Bis in die Schule und kirchlichen Projekte reichte und reicht der Widerstand gegen die Kürzung bei den sozialen Projekten. Für diese Unterstützung, für diese Beteiligung an der Auseinandersetzung um soziale Strukturen in Oldenburg wollen wir Euch mit diesem Brief herzlich danken. Und wir zählen auf Euch, daß bei unseren nächsten Schritten der Protest noch breiter und vielfältiger werden wird. Das gilt auch gerade für die SozialdemokratInnen, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben.

Nun, 40.000 Euro sind keine 120.000 Euro, und jedem dürfte klar sein, daß die Sozialberatung der ALSO und die Unterstützungsarbeit sozialhilfebeziehender Frauen bei Donna unter dieser Kürzung erheblich leiden wird (wenn sie überhaupt in dieser Form fortgesetzt werden kann). Daß dies ein politisch gewollter Schritt ist, zeigt die Aussage von Schütz, die Drittmittel der ALSO vom Land und von der EU seien von ihm nicht gewollt. Nicht nur ihn, sondern auch die anderen Ratsmitglieder der SPD, die jetzt glauben, modern sein und mitmachen zu müssen, wollen wir mit diesem Brief gar nicht an ihre früheren Äußerungen erinnern. Man wird eben älter, einige schneller andere deutlich langsamer. Und wer sollte sich sonst um die Pflasterung der Oldenburger City kümmern?

Trotzdem halten wir es an dieser Stelle, wo unsere Arbeit durch den Beschluß der SPD-Fraktion bedroht wird, für angebracht, an ein paar Grundprinzipien zu erinnern. Die ALSO war nie nur Sozialberatung, sondern neben diesem finanzierten Teil auch immer ein Projekt zur Unterstützung und wechselseitiger Hilfe im Umgang mit Ämtern. Ob heute alle von Hartz reden oder nicht, Fakt ist, daß der Gang zum Sozialamt und zum Arbeitsamt immer ein Stück strukturelle Gewalt bedeutet. Bekomme ich meine Unterstützung, macht mir mein Sachbearbeiter Ärger usw. Fakt ist weiter, daß niemand dort gerne hingeht und daß Unsicherheit, Ohnmacht, Zukunftssorgen das wahre Gesicht von Arbeitslosigkeit ausmachen. Fakt ist weiter, daß diese strukturelle Gewalt linear an alle Beschäftigten weiter gegeben wird, die Lohneinbußen, verstärkte Arbeitsanforderungen und größere Hierarchie hinnehmen, weil sie sich vor dem Gang auf die Ämter fürchten. Und Fakt ist, daß dies die meisten wissen, denn wer kennt nicht Erwerbslose oder war es einmal selbst?

Das Projekt der ALSO war und ist vor diesem Hintergrund immer der aufrechte Gang, auch in einer Situation von Erwerbslosigkeit oder anderem Lebensrisiko. Und dies heißt offensive und unabhängige Beratung über alle Rechte, die Erwerbslose in diesem Land zum Glück und nach langen sozialen Kämpfen noch haben. Das Projekt der ALSO war und ist, daß Personen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft in der Lage sind, solche Unterstützungsarbeit zu leisten, dieses auch tun, und dabei weniger an ihre Karriere denken. Und dies in Kategorien von Moral, die heute in den öffentlichen Medien keinen Ausdruck mehr findet, deren Substanz aber aus unserer Sicht nicht in Frage steht.

Diesen Weg sind wir, bei allen Unterschieden, lange Zeit gemeinsam mit der Mehrheit der SPD gegangen. Heute schert es die führenden Personen der SPD offensichtlich nicht mehr. Ihnen rufen wir durch diesen Brief zu: Wir haben es vernommen. Allen anderen: Denkt an die 1600 in Oldenburg, denkt an die Antiglobalisierungsdemonstrationen: "the times they're a changing." Und: Es sind nicht die Drittmittel der ALSO, die in Oldenburg ungewollt sind!

Freunde und Freundinnen, Genossen und Genossinnen der SPD, Gewerkschafter und Menschen, die ihr das Wissen über die realen Lebensverhältnisse noch nicht verloren habt: Beteiligt Euch an den weiteren Veranstaltungen der ALSO und diskutiert mit uns die nächsten Schritte in Richtung einer sozialpolitischen Initiative nicht nur in Oldenburg.

Eure ALSO, Oldenburg, 22.11.02

 

 
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