Oldenburger STACHEL Nr. 246 / Ausgabe 11/04      Seite 13
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Robert Jungk: Gegen die Mode der Verzweiflung

Der Zukunftsforscher: "Prognosen können aus ihrer zeitllich und sachlich begrenzten Sicht nur Mögliches erkennen, nichts Gewisses."

Dies sei allen ins Stammbuch geschrieben, die uns unvermeidbare Katastrophen an die Wange zu wünschen scheinen.

Gegen die Mode der Verzweiflung

In fünf Folgen druckte die Zeitschrift natur Auszüge aus Hoimar v. Dithfurts Buch "So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen". Titel der Serie: Sind wir noch zu retten? Robert Jungk, der Zukunftsforscher und Erfolgsautor, schickte natur eine Widerrede.

Kurz vor seinem Tode schrieb der berühmte englische Schriftsteller H. G. Wells ein schmales Buch, das niemand, der sein Werk kannte, von ihm erwartet hatte ("Mankind at the end of its tether"). Nachdem er ein ganzes Leben lang den Aufstieg der menschlichen Spezies aus dem Dunkel der Unwissenheit und Unterdrückung gepriesen hatte, sagte der Fortschrittsprophet seiner Generation nun mit gleicher Überzeugungskraft ihren unvermeidlichen Untergang voraus. Ich habe Moura Budberg, seine langjährige Gefährtin, einmal fragen können, wie es wohl zu diesem profunden Meinungswandel gekommen sei, und sie antwortete in ihrer burschikosen Art: "Das ist doch lächerlich einfach. Er war damals fertig mit dem Leben. Und weil er wußte, daß er nicht mehr viel Zeit hatte, nahm er an, daß auch wir alle ans Ende unserer Möglichkeiten gelangt seien. Und das Getöse der V-2-Raketen über unserer Wohnung am Regenten Park, das er beim Schreiben vernahm, war gerade die richtige Begleitmusik für sien Walhalla."

Seitdem bin ich stets mißtrauisch, wenn mir jemand die Unvermeidlichkeit des Weltuntergangs einreden will. Wieviel persönliches Unbehagen spielt da mit? Wieviel eigene Enttäuschung? Wieviel ohnmächtige Wut angesichts der Tatsache, daß langgehegte Erwartungen nicht in Erfüllung gingen?

Seit etwa zwei Jahren greift diese apokalyptische Stimmung immer stärker um sich. Besonders diejenigen werden von ihr angefallen, denen die Zukunft der Welt nicht gleichgültig ist. Wenn sie resignieren und den Kampf gegen das Unheil als aussichtslos aufgeben, dann finden sie täglich in den Medien hundertfache Bestätigung für ihren Pessismismus. Denn da wird ja nicht, wie manche Schönfärber behaupten, aus purer Sensationslust mit dem schwarzen Pinsel gemalt, sondern von Vorgängen und Entwicklungen berichtet, die nicht zu leugnen sind.

Nun hat Hoimar v. Ditfurth ein Buch geschrieben, das alle diese düsteren Erwartungen auch noch wissenschaftlich zu bestätigen scheint und auf einen Punkt bringt: "Es ist soweit." Der Leser soll damit getröstet werden, daß der "Artentod" ein evolutionäres Schicksal sei, vor dem wir nicht die Augen verschließen sollten, selbstverschuldet zudem, "weil wir nicht davon ablassen können, uns durch rücksichtslose Unterwerfung aller irdischen Natur die unverzichtbaren Lebensgrundlagen selbst unter den Füssen wegzuziehen ..."

Als jemand, der seit Jahren vor Umweltzerstörung und Kriegsgreueln warnt, fühle ich mich jetzt von einem der wichtigsten Weggefährten im Stich gelassen. Und wohl auch zahlreichen anderen, die trotz allem immer noch hoffen, das Schlimmste verhindern zu können, wird es wohl ähnlich gehen. Können wir der anscheinend stringenten Argumentationskette dieses hochangesehenen, weltweit ernstgenommenen Autors etwas Überzeugendes entgegensetzen?

Ich meine ja.

Da wäre zuerst der grundsätzliche methodische Einwand, daß keine Prognose, die geschichtliche Entwicklungen beschreiben will, Sicheres oder gar Unvermeidliches voraussagen kann. Sie kann aus ihrer zeitlich und sachlich begrenzten Sicht nur Mögliches erkennen, nicht Gewisses. Diese Skepsis gegenüber ihren eigenen Bemühungen hat sich bei den Zukunftsforschern im Laufe der letzten Jahre durchwegs verstärkt. Wir messen heute dem Unerwarteten, dem Unvorhersagbaren, dem Überraschenden einen viel höheren Stellenwert zu als zu Beginn unserer systematischen Beschäftigung mit den vielfachen Versuchen, die Umrisse oder gar die Einzelheiten des Kommenden möglichst früh zu erkennen. Solche selbstkritische Vorsicht ist bei Ditfurth leider nur selten festzustellen. Viel zu oft klingen seine Unheilsbotschaften so, als seien sie das Ergebnis einer unwiderlegbaren wisenschaftlichen Studie, gegen die nur "Wunschdenker" und "Verdränger" etwas einwenden könnten.

Die Einwände gegen zu selbstsichere, zu gegenwartsbefangene Prognosen - gleich ob übertrieben optimistisch oder pessimistisch - kommen aus dem Vergleich vergangener Voraussagen mit den dann tatsächlich eingetretenen Ereignissen. Dabei zeigt es sich regelmäßig, daß die große Mehrheit der Prophezeiungen, die zur Zeit ihrer Veröffentlichung herrschende Stimmung in die Zukunft hineinprojizieren und übrsteigern.

Selbst diejenigen, die "gegen den Strom schwimmen" meinen, indem sie das Gegenteil ihrer Gegenwart für "Zukunft" halten, blieben in Wahrheit ebenfalls Gefangene eines "Zeitkerns", dessen Mauern sie geistig nicht überspringen können.

Eine aus Irrtümern lernende Zukunftsforschung muß konstatieren, daß Fehlurteile vor allem aus drei Unterlassungen der Prognostiker zu erklären sind.

Erstens: dem Überhören neuartiger und daher ungewohnter "leiser Signale", die sich im Denken und Handeln von Personen und Gruppen ankündigen, welche mit dem herrschenden Zeitgeist nicht konform gehen.

Zweitens: der Annahme, daß "der Mensch sich nicht ändert", die vielleicht bei kurzfristiger Betrachtungsweise zutrifft, langfristig jedoch nicht aufrecht erhalten werden kann.

Drittens: der Unterschätzung der menschlichen Phantasie, die immer wieder unerwartete und unvorhersagbare Problemlösungen in scheinbar ausweglosen Lagen findet.

In allen drei Punkten erweist sich meiner Ansicht nach Ditfurths Buch als unbefriedigend. Er will oder kann die vielfältigen und weltweit stattfindenden Versuche, der Umweltzerstörung und Hochrüstung andere Verhaltens- und Lebensweisen entgegenzustellen, nicht ernstnehmen, weil er nur das als "real" anzusehen vermag, was sich bereits erfolgreich bewährt hat. Immer wieder hebt er hervor, daß "wir" (wer ist eigentlich damit gemeint? Die "Macher" oder die "Betroffenen"?) nicht imstande seine, Rettungsmöglichkeiten wahrzunehmen, Behauptungen, die angesichts millionenfacher persönlicher wie gemeinschaftlicher alternativer Experimente nicht mit solcher Überzeugung ausgesprochen werden dürften.

Am bedenklichsten aber erscheint mir Ditfurths mangelndes Vertrauen auf die Kräfte der Imagination und der Hoffnung. Gewiß, sie haben sich oft genug als zu schwach erwiesen, sie sind vielmals gescheitert, und doch haben sich oft genug scheinbar aussichtslose Versuche, das Bestehende zuerst in den Köpfen und dann in der Wirklichkeit zu verändern, ganz oder zumindest teilweise durchgesetzt.

Und diese Möglichkeit ist heute trotz der scheinbar übermächtigen starren Machtstrukturen vielleicht größer denn je. Gerade die Unsicherheit und Gefährdung der Welt, die Ditfurth so überzeugend darstellt, kann statt zu lähmen auch mobilisieren. Ilya Prigogine, Nobelpreisträger für Chemie, schildert in seinem letzten Werk die Situation so: "Ideen über die Instabilität und Fluktuation dringen in die Gesellschaftswissenschaften ein. Wir wissen, daß diese Gesellschaften unendlich komplexe System sind. Wir wissen, daß solche Systeme hochempfindlich für Schwankungen sind. Das bringt Hoffnung und Bedrohung. Hoffnung, weil selbst kleinste Schwankungen zunehmen und die gesamte Struktur verändern können. Das Resultat: Individuelle Aktivität ist nicht dazu verurteilt, unbedeutend zu bleiben ..."

Wer die Hoffnung erschüttert, indem er ihr Erfolglosigkeit prophezeit, lähmt jene Kräfte, die das Rettende noch ins sichere Spiel bringen. Weil dies die wohl unbeabsichtigte Wirkung des Ditfurthschen Buches sein könnte, sollte man es kritisch diskutieren und nicht, wie das zum Teil der Fall ist, als Verkündigung unumstößlicher Wahrheiten hinnehmen. Die Angst, die es verbreitet, müßte zum Antrieb werden, zur Aufforderung in einer entscheidenden, vielleicht in der Tat entscheidensten Stunde des Menschengeschlechts, dem Drohunden zu widerstehen und ihm auch ohne Erfolgsgewißheit Ansätze eines anderen Denkens, anderen Tuns entgegenzusetzen. Verzweiflung ist ein "Luxus", den wir uns in unserer Lage nicht leisten dürfen.

Robert Jungk

Gegen die Mode der Verzweiflung.

In: natur. 1986, Nr. 1, S. 40-41

 

 
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