Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/96      Seite 6
 
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Sparen - der einzige Ausweg ?

Inwieweit Kommunalhaushalte heutzutage von der Bundespolitik beeinflußt werden, zeigt sich nicht zuletzt an zwei neuen Rand- Erscheinungen in Oldenburg: Die SPD- Stadtmitte und die örtlichen Grünen informierten in ihren Veröffentlichungen zum ersten Mal recht ausführlich über die Steuerpolitik der Bundesregierung. In der Tat: Ohne einen Blick über den Tellerrand des Ortes kann der städtische Haushalt nicht richtig bewertet werden. Es besteht sonst die Gefahr, sich durch den Druck, den die Bundesregierung durch ihre Verschuldungspolit ik ausübt, vorschnell zu fatalen Verkaufs- und Sparbeschlüssen verleiten zu lassen. Doch leider scheint die SPD-Ortsspitze wieder einmal nichts aus den Hinweisen ihrer Ortsvereine gelernt zu haben.

Wohin mensch blickt: Defizite in staatlichen Kassen. Auch die Stadt Oldenburg plant für 1996 ein Minus von 40 bis 50 Millionen DM ein, Tendenz steigend. Und niemand weiß, wie die Kommunen solch riesige Fehlbeträge abbauen können: Oldenburg könnte durch schärfste Maßnahmen kurzfristig höchstens sechs Millionen einsparen, die "restlichen" Ausgaben sind gesetzlich vorgegeben oder vertraglich festgelegt.

Die Bundesregierung sowie Landes- und Kommunalpolitiker geben vor, die Schuldigen für dieses "Schlamassel" gefunden zu haben: "Wir haben zu hohe Sozialausgaben!" verkündet jeden Tag ein anderer Politiker. Wie an den AsylbewerberInnen vorgemacht, soll den Ärmsten jetzt auch noch das Lebensnotwendige weggekürzt werden: "In Oldenburg stehen sämtliche sogenannten "freiwilligen Leistungen" des Sozialamtes wie z. B. die 50prozentige Ermäßigung fürs Busfahren und die bekleidungshilfe auf der Abschußliste. Die Finanzierung der ALSO als einziger unabhängiger Beratungsstelle für SozialhilfeempfängerInnen ist massiv gefährdet, und auch die Weiterführung von Projekten zur Unterstützung besonders betroffener Gruppen wie zum Beispiel Donna 45 ist völlig ungesichert." (Infoblatt Grüne) Langfristig - muß jetzt nach der Haushaltseinigung von SPD und CDU ergänzt werden. Die beiden Fraktionen verständigten sich erst einmal darauf, vorerst "nur" die Bekleidungsbeihilfe um 20 DM auf 490 DM zu kürzen (Einsparung: 220 000 DM), aber bis zum 31.3.96 sämtliche (!) vertraglich festgelegten "freiwilligen Leistungen" der Stadt "zu überprüfen" und evtl. kündigen zu lassen. Die CDU äußerte schon ihre Absicht, ALLE Verträge kündigen zu lassen.

Wie der Schuldendruck und die damit einhergehende Sparpropaganda Politiker zu absurden Schlüssen verleiten, demonstrierte dabei die SPD-Spitze Schütz-Jacobs: Sie begründete ihre Zustimmung zum CDU- Haushaltsentwurf und zum Verkauf eines Teils der Hausbäke damit, daß so die CDU 1996 für den Fortbestand der ALSO gewonnen werden konnte.

Bund sorgt für mehr Armut in OL

Während sich Kommunalpolitiker mühen, durch Ausverkauf und Sozialsparen das örtliche Defizit möglichst klein zu halten, dreht Blüm den Arbeitslosen weiter den Hahn zu. Die Industrieverbände geben dabei immer unverschämter das Tempo vor:"Reduzierung der Sozialhilfe auf eine Grundversorgung für die wirklich Bedürftigen!" "Senkung der Renten! Jeder soll sich privat versichern!" "Befreiung der Unternehmer von den Lohnnebenkosten!" Die sollen allein Staat, Beschäftigte und Arbeitslose bezahlen...

Konkret soll das dann so aussehen: Eine ledige Erwerbslose, die 1008 DM Arbeitslosenhilfe bezieht, soll ab 1997 nur noch 975 DM und 1998 noch ca. 940 DM erhalten. Originäre Arbeitslosenhilfe vor Erhalt von Arbeitslosengeld ist längst gestrichen, die verbliebene Hilfe wird auf zwei Jahre begrenzt. ABM-Maßnahmen sollen erst nach zwölf statt sechs Monaten Arbeitslosigkeit genehmigt werden... Kein Wunder, daß bei den steigenden Arbeitslosenza hlen immer mehr Menschen in die Sozialhilfe absacken. Doch auch hier weiß sich die Bundesregierung zu helfen:

Wahrscheinlich weniger als die Hälfte der Anspruchsberechtigten hat einen Antrag auf Sozialhilfe gestellt. Damit nicht genug, sollen noch mehr abgeschreckt und ausgegrenzt werden; SozialhilfeempfängerInnen sollen zu unbezahlten Zwangsarbeiten verpflichtet werden, bei Nichtausführung droht ihnen völlige Streichung der Sozialhilfe. AsylbewerberInnen sollen nur Sachleistungen oder um 15 bis 20 Prozent reduzierte Sozialhilfe bekommen (Rassismus pur!).

Trotzdem erhielten in Oldenburg 1994 bereits mehr als 11 000 Personen Hilfe zum Lebensunterhalt, jährlich wurden es fünf bis acht Prozent mehr. "Am stärksten betroffen sind die Kinder im Kindergarten- bis Grundschulalter bis zehn Jahre, von denen bereits jedes fünfte Sozialhilfe erhält." (Bericht zur Sozialhilfebedürftigkeit in Oldenburg). "Über 70 % der langzeitsozialhilf ebedürftigen Haushalte des Jahres 1994 haben einen weiblichen Haushaltsvorstand." "Alleinerziehende und Witwen mit geringem Rentenanspruch beziehen langfristig Sozialhilfe." Oldenburg hat außerdem den landesweit höchsten Anteil an Wohngeldempfäng erInnen, nämlich 40 von 1000 EinwohnerInnen (1992: neben den SozialhilfeempfängerInnen noch 5904 Personen - die nächsten Kandidaten für den Sozialhilfeantrag). Alle diese Zahlen werden sich nach den Blümschen Maßnahmen noch einmal um einen zweistelligen Bereich erhöhen. Die Sozialkürzungen treffen besonders die Städte mit großer Armut, und dazu gehört auch Oldenurg.

Woher die Defizite ?

Sind also die Steigerungen der Sozialkosten an den Defiziten der öffentlichen Haushalte schuld ? Die nackten Zahlen sprechen eindeutig dagegen: Die Kommunen werden an der bundesweiten Einkommenssteuer beteiligt, die von den Personen mit hohem und höchstem Einkommen an den Staat gezahlt wird; diese Steuer hat sich dramatisch reduziert: in den letzten fünf Jahren von 37 auf 15 Milliarden DM (= minus 60 % - laut "Oldenburger Presse" von dem SPD-OV Stadtmitte Oldenburg)! Der Anteil von Körperschafts- und Einkommenssteue r am westdeutschen Steueraufkommen verminderte sich von 17,4 Prozent 1980 auf 6,8 Prozent 1995 - auf ein Drittel ! Hätten die Reichen genauso viel Steuern wie früher oder genauso viel mehr wie die anderen Menschen gezahlt, hätte Oldenburg keine Probleme mit der Sozialhilfe und kein Defizit. Die bundesweite Lohnsteuer der Lohnabhängigen erhöhte sich in den letzten fünf Jahren um 57 Prozent von 181 auf 284 Milliarden DM.

Die Gründe für die drastische Reduzierung der von den Reichen gezahlten Steuern sind allein in den Steuerbefreiungen durch die Bundesregierung zu suchen: 1994 gab es an Steuerausfällen u.a. durch Vereinigungsentlas tungen in Form von Sonderabschreibungen-Ost 9,1 Milliarden DM weniger, durch Entlastungen aus dem Standortsicherungsgestz 14 Milliarden DM weniger, durch Abschreibungen für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und durch Scheinverluste mindestens 25 Milliarden DM weniger... (laut Info Grüne). Viele Unternehmen zahlen ganz einfach ihre Steuern nicht - fast ohne Risiko, denn der Staat knausert bei Betriebsprüfern des Finanzamtes. In Ostdeutschland sind sogar 80 Prozent der Betriebsprüferstellen unbesetzt - und hier werden die meisten Steuern eingespart.

Ein deutsches Märchen: Standortprobleme

Landauf, landab tönt in allen Medien die Klage von den hohen deutschen Lohnkosten und den armen in der Konkurrenz gebeutelten Unternehmern, mit ernster Miene wird die Abwanderung in Länder mit niedrigsten Löhnen und die Schwäche des "Standortes Deutschland" beklagt... Reine Propaganda, die Zahlen sprechen eine andere Sprache:

Seitdem Kohl Kanzler ist, verdreifachten sich die privaten Einkünfte aus Zinsen und Dividenden - auf 208,8 Milliarden DM. Laut CDU-Geißler ist das Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen 1994 um 15,8 Prozent gestiegen, 1995 um 7,75 Prozent. Die Abgaben von Selbständigen an Staat und Versicherungen dagegen reduzierten sich seit 1982 um ein Viertel (laut WSI, Düsseldorf).

Deutschland ist auch 1995 mit einem Anteil von zehn Prozent an den weltweiten Exporten zweitgrößter Exporteur der Welt geblieben. Trotz der Aufwertung der Mark konnte es die Ausfuhren um zehn Prozent steigern. Nur die ungleich größeren USA überrundeten es - um zwei Prozent (nach Angaben der Bayerischen Landesbank) ! Standortschwäche ?

Die hohen Gewinne der deutschen Unternehmen müssen irgendwo bleiben; sie werden z.T. im Ausland investiert und erhöhen dort den Konkurrenzdruck auf einheimische Betriebe. Doch von einer Kapitalflucht in Niedriglohnländer kann nicht die Rede sein: 90 Prozent der deutschen Auslandsinvestitione n im ersten Halbjahr 95 (28 Milliarden DM) flossen in die Europäische Union und die USA. Investitionen im Gebiet der ehemaligen SU und in China verminderten sich von 14 auf 5 Prozent. Ausländische Investitionen in Deutschland erhöhten sich gleichzeitig auf sieben Milliarden DM, die deutschen Börsen feierten 1995 Umsatzrekorde. Per Saldo fand kein Arbeitsolatzexport statt, sondern zwischen 1989 und 94 stieg die Zahl der "Erwerbstätigen" um 500.000. Standortschwäche ?

"Flexibel geht die Welt zugrunde"

hieß es im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung. Auch konservative Ökonomen haben inzwischen erkannt, daß das ständige Sozialdumping a la Thatcher der Wirtschaft langfristig nichts einbringt - im Gegensatz zu den Wirtschaftsführern und ihren Politikern, die immer noch allein den kurzfristigen Profit im Auge haben und Marx unbedingt rehabilitieren wollen. Setzt sich diese Tendenz in allen Industrieländern durch, dann bräche der wichtigste Absatzmarkt weg, ohne daß sich die Konkurrenzbedingungen grundsätzlich verändern würden. "Knapp die Hälfte der in Lohn ... stehenden Briten verdient derzeit weniger als die von der EU dekretierte "Zumutbarkeitsgrenze"... In der Stadt Leicester beläuft sich der Durchschnittslohn laut Stadtrat auf nur noch 260 DM die Woche. Tendenz sinkend. ... Selbst das mittlere Management gerät immer mehr in die Erosion der Bezüge oder wird reihenweise entlassen. ... Immer mehr Briten arbeiten neun bis zehn Stunden am Tag aus Angst vor Entlassung. ... Die zunehmende Verarmung breiter Bevölkerungskreise dürfte sich in immer mehr Bereichen als akuter Nachfrageentzug bemerkbar machen. Der Anteil von Löhnen und Gehältern am Volkseinkommen rangiert mit 62 Prozent auf seinem niedrigsten Stand seit den 50er Jahren. Bislang waren der völlig darniederliegende Häusermarkt und der Markt für Urlaubsreisen die prominentesten Opfer..." (SZ 28.12.95) Die Armen zählen offensichtlich nicht als Opfer.

CDU-Geißler sieht das ähnlich: In Großbritannien sei versucht worden, durch den Abbau von Arbeitnehmerrechten die Wirtschaft flottzumachen. Ein Erfolg dieser Therapie sei nicht zu erkennen (laut Pressekonferenz ebenfalls am 28.12.95).

Für ein Europa der sozialen Errungenschaften

Während die Spitze der IG Metall zu einem "Bündnis für Arbeit" aufrief und dafür Lohnverzicht anbot, führte Geißler, der "Theoretiker" der CDU, ein weiteres gewichtiges Argument gegen die Sozialkürzunge n in Deutschland an: "Die aktuelle Situation in Frankreich mache deutlich, daß die Sozialpartnerschaft ein entscheidender Produktionsfaktor sei." Anders ausgedrückt: Mit deutschen Gewerkschaften, die zufriedengestellt werden und stillhalten, lassen sich die Franzosen, die Unternehmen und Regierung durch erfolgreiche Streiks schwächen, in der Konkurrenz gut in die Pfanne hauen. So läßt man andere für den eigenen Vorteil kämpfen. Es sieht jedoch nicht so aus, als ob die Wirtschaftsverbände auf diesen klugen Rat hören würden. Die IG Metall erntete bisher nur weitere unverschämte Lonsenkungsforderungen und kein ernsthaftes Verhandlungsangebot. Vielleicht bleibt ihr nur die Alternative langsame Auflösung oder Kampf.

Außerhalb der Unternehmerlogik gibt es noch eine Folgerung, die aus den Streiks in Frankreich gezogen werden könnte: Verarmung unter dem Druck der Arbeitslosigkeit und der staatlichen Schulden ist kein gottgegebenes Schicksal, das einfach hingenommen werden muß! Für die staatlichen Defizite gibt es andere Lösungen als Sparen auf Kosten der Lohnabhängigen und Arbeitslosen - wenn die Menschen der einzelnen Länder sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, um die Macht und Konkurrenzfähigkeit "ihrer" Wirtschaft und "ihres" Staates gegenüber den anderen Ländern zu stärken. Andere Lösungen, die die großen Vermögen anzapfen, werden jedoch nur gefunden werden, wenn die Logik der "Standortsicherung " verlacht wird.

Zum Schluß sei der französische Soziologe Pierre Bourdieu zitiert, der in der Öffentlichkeit erfolgreich die Streikbewegung verteidigte: Er forderte die soziale Bewegung auf, "die wirtschaftlichen Notwendigkeiten zur Kenntnis zu nehmen, aber um sie zu bekämpfen und, gegebenenfalls, zu neutralisieren". Die Intellektuellen rief er auf, wissenschaftliche Zirkel zu bilden, um die soziale Bewegung mit Argumenten zu bewaffnen. Die Stärke der Neoliberalen erklärt er sich aus der Schwäche der sozialen Kräfte im politischen und intellektuellen Bereich. "Die Ökonomie verfügt über kein Wahrheitsmonopol. Die Ökonomen selbst geben zu, daß sie Dinge wie Arbeitslosigkeit oder Inflation letztlich nicht erklären können." "Nun stimmt es natürlich, daß dieses System (der Sozialversicherung) durch die internationale Konkurrenz gefährdet wird. Ja: weil man in Hongkong und anderen Ländern Kinder arbeiten läßt, wie Europa das im 19. Jahrhundert tat. Die Frage lautet jetzt also: Sollen wir uns diesen Ländern anpassen ? ... In der Tat: Wir haben das Privileg sozialer Errungenschaften in Europa." Dieses möchte er auf europäischer Ebene verteidigt wissen. Er wünscht sich eine "Europäisierung der Krise: Deutsche Gewerkschaften mit einer kritischeren Basis oder eine französische Basis mit intelligenteren Gewerkschaften." Gegen die "Tabula Rasa" auf der Linken und die Herrschaft der Neoliberalen auf der rechten Seite wünscht sich Bourdieu "soziale Kräfte, die sich artikulieren" und "unabhängige Intellektuelle, die nicht völlig auf den Markt angewiesen sind. Und zwar keine Schwätzer, sondern Intellektuelle, die arbeiten. Alles, was man tun kann, ist, Mechanismen zu schaffen, die Diversität, soziale Kontzrolle, Kritik ermöglichen. Eine Internationale von kritischen Intellektuellen und sozialen Bewegungen wäre ein vitales Bedürfnis."

achim


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