Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/97      Seite 13
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Semesterticket als sozialer Prozeß

Eine soziologische Analyse der Gruppen und ihres Handelns

Im Dezember 1996 hat an der Carl von Ossietzky Universität eine Urabstimmung der Studierenden zur Einführung eines Semestertickets stattgefunden. Es ist eine Pflichtfahrkarte mit dem Gültigkeitsbereich des VBN und weiterer DB-Strecken um Oldenburg herum. Im Vorfeld der Abstimmung wurde über das Für und Wider dieser Semesterfahrkarte in einem breiten Rahmen diskutiert, wie über kaum eine anderes Thema in den letzten Jahren. Da von keiner Gruppe der ökologische Anspruch ernstlich bestritten wurde, sondern allenfalls dessen Reichweite, versuche ich an dieser Stelle eine soziologische Analyse bei diesem den Umweltschutz betreffenden Ereignis.

Schublade auf

Werden die Teilnehmer am Diskussionsprozeß in verschiedene Gruppen eingeteilt, sind da die "Zustimmer" und zwar die "ideelen", die heute keinen wirtschaftlichen Vorteil erlangen und die "monetären" bei denen das der Fall ist. Ferner haben wir die "Ablehner". Sie teilen sich wieder in die "monetären", entsprechend den "ideellen Zustimmern" nur ablehnend und in die "verfügungssouveränen", die ausschließlich selbst über ihr Geld entscheiden wollen und Solidargemeinschaften ablehnend gegenüberstehen. Als dritte Gruppe traten die "vollkommenen Zustimmer" in Erscheinung, Sie definierten sich als originäre Befürworter, die aber für sich so große Mängel entdeckten, daß sie diese Ticket verhindern mußten.

Der Vollständigkeit halber seien noch die "doofen Propagandisten" genannt, die unter Mißachtung von Mathematik u.a. egal welche Stimmung machten. Und dann sind da noch die "Fatalisten", also die 70%, die sich an der Urabstimmung nicht beteiligten.

"Die Zustimmer"

Nach dieser Einteilung ist von Interesse, wie die einzelnen Gruppen agiert haben. Dabei sind die "Zustimmer" und die "Ablehner" jeweils beider Sorten ziemlich einfach zu beschreiben: sie haben ihre Positionen vorgetragen. Der AStA als organisierender "ideeller Zustimmer" hat sich in seiner Werbeaktion vor allem auf die "monetären Unentschlossenen" konzentriert, in dem er ihnen die Möglichkeiten außerhalb des jetzt bestehenden Lebenszusammenhanges aufzeigte. Daß dabei für zusätzliche Mobilität geworben wurde, ist angesichts der bestehenden Mobilität von Studierenden eher von geringer Rolle. Die "Guck'mal, das Wasser ist noch da!"-Fahrt mit der Bahn würde allenfalls die "Gib's schon Rababerkuchen"-Autofahrt nach Dangast ersetzen. Die Möglichkeiten für die alltägliche Verkehrsnutzungen konnte jeder für sich anhand der klaren Bedingungen des Tickets erkennen.

"Die Ablehner"

Bei den "Ablehnern" sind die "monetären" über eine Verbesserung der finanziellen Konditionen zu erreichen. Diese Gruppe wäre bei einem Preis von sagen wir mal 20.-DM gar nicht in Erscheinung getreten. Die "verfügungssouveränen Ablehner", die argumentativ mit einer gesellschaftlich unbeeinflußten persönlichen Freiheit auftraten, werden auch bei anderen sozialen Problemen gemeinsame Aktionen ablehnen. Sie versuchen mit einer individuellen Lösungstaktik Probleme für sich zu bewältigen. Damit werden sie Täter und Opfer in einem sein.

"Die vollkommenen Zustimmer"

Die letzte Gruppe, die "vollkommenen Zustimmer", die ja Ablehner sind, ist am interessantesten. Die Position etwas deswegen abzulehnen, weil es noch besser werden könnte, ist legitim, aber leider auch ewig. Diese Gruppe ist oben nicht unterteilt, jedoch ist sie die facettenreichste. Da gibt es die Personen, die aus langer Beschäftigung mit Verkehrsthemen eine verständliche resignative Ablehnung haben. Endlich gibt es noch die Gruppe, die nach reiner Vollkommenheit strebt. Ein ehrenwertes Ziel, diesmal mit Variationen. So haben die markantesten Vertreter dieser Gruppe vor kurzer Zeit noch ähnlichen oder schlechteren Konditionen ihre Zustimmung gegeben.

Kleiner Vergleichsexkurs

Hier kam mir die Taktik der AKW-Betreiber in Erinnerung. (Ich bin in der Energiewendebewegung.). Auch diese bestreiten nicht, daß die erneuerbaren Energien unverzichtbar sind. Doch ihr verhinderndes Handeln begründen sie damit, daß alles noch nicht ausgereift sei oder nur sie allein geeignet sind, diese Technik zu betreiben. Es eröffnet sich damit in beiden Fällen die Möglichkeit der Ablehnung jeglichen Fortschritts ohne Rechtfertigungsdruck, schließlich sei man doch "im Prinzip" dafür.

Resümee

Dieses moralische Hintertürchen hatte auch die Abstimmung vor zwei Jahren eingebaut: ein gravierender Fehler, der zu häufig genutzt wurde. Es zeigt, daß demokratische Handlungsentscheidungen heute für ökologische Fortschritte dringlich sind und keine ausufernde Themenzerfaserung.

(Sorry, der Text ist stark gekürzt und damit an einigen Stellen etwas holperig)

Thomas Myslik

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