Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/97      Seite 16
 
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Radio-Frequenzen für Oldenburg

"Wie klingt der Schnee, wenn er auf die Wiese fällt?"

Nach langer Zeit läuft im Kino wieder einmal ein bezaubernder und romantischer Film, abgerundet mit der schönsten Kinomusik des vergangenen Jahres. Das Kinodebüt von Caroline Link ist ein hinreißend charmanter Film, der aus dem deutschen Komödieneinerlei ausschert.

"Jenseits der Stille" erzählt die berührende Geschichte der jungen Lara, die als Tochter gehörloser Eltern aufwächst. Sie ist die einzige in der Familie, die hören und sprechen kann und ist schon früh Vermittlerin nach außen. Sie erledigt als Kind souverän Bankgeschäfte und übersetzt sogar - äußerst kess - Ermahnungen ihrer Lehrer in Gebärdensprache.

Lara wächst geborgen in dieser Welt auf. In der Welt ihrer Mitschüler hingegen fühlt sie sich ein wenig fremd. "Man sagt, daß der Schnee die Geräusche schluckt. Schnee ist eigentlich ganz leise." Diese Antwort gibt sie ihrem Vater, zu dem sie ein sehr inniges Verhältnis hat und der sie für seine stumme Welt zu begeistern versucht.

Eine Wendung nimmt ihre Kindheit als sie während einer Weihnachtsfeier bei ihren Großeltern ihre Tante Clarissa, eine schöne Frau und erfolgreiche Jazz-Klarinettistin, kennenlernt. Lara ist fasziniert von der seltsamen Musik und der Wirkung auf sie.

Von ihrer Tante bekommt sie am gleichen Abend eine Klarinette geschenkt, allerdings zum Leidwesen ihres Vaters. Er kann kein Verständnis für Laras neues Hobby aufbringen, sie interessiert sich zudem teilweise mehr für das Klarinettenspiel als für die Schule - ein ewiges Streitthema, wer kennt das nicht?

Zehn Jahre später, Lara ist inzwischen eine gutaussehende junge Frau geworden und spielt so gut Klarinette, daß ihr Musiklehrer zu einer professionellen Ausbildung rät. Ihre Tante Clarissa möchte sie zu sich nach Berlin holen und sie auf das Kuratorium vorbereiten.

Aus dem Unverständnis des Vaters für ihre Musik kommt es auf einer Familienfeier zum Eklat als er von den Plänen der Tochter erfährt. Im Streit verläßt sie später das Elternhaus und zieht nach Berlin. Dort kommt sie zum ersten Mal richtig mit dem Leben "Jenseits der Stille" in Berührung und macht ganz neue Erfahrungen.

Dort lernt sie auch Tom kennen, der eine ähnliche Kindheit wie sie verbracht hat. Lara erkennt auf bezaubernde Weise, daß sie keine dunkle Vergangenheit hat, dessen sie sich schämen muß, sondern nur eine außergewöhnliche Lebensgeschichte.

Im Kuratorium trifft sie auf den Klarinettenvirtuosen Giora Feidman (von sich selbst gespielt) und ist erneut vom Klarinettenspiel fasziniert. Seine beeindruckende und geheimnisvolle Klezmer-Musik läßt sie fortan nicht mehr los. Lara nimmt die Musik mit ihrem Herzen auf und erfaßt, daß sie nach außen melancholisch und traurig wirkt, jedoch im Inneren sehr fröhlich ist.

Nach dem Tod ihrer Mutter fährt Lara für kurze Zeit zurück nach Hause, wo die Entfremdung zwischen Vater und Tochter deutlich wird. Beide scheinen nicht mehr das Verständnis für die Welt des anderen zu haben. Die Folge ist ein heftiger Streit, nach dem sie das elterliche Haus endgültig verläßt.

In Berlin nimmt die dann an der Aufnahmeprüfung zum Konservatorium teil. Dort erscheint völig unerwartet ihr Vater, um zum ersten mal seine Tochter auf einer Bühne spielen zu sehen.

Der Film erzählt auf beeindruckende Art und Weise das Erwachsenwerden dieses außergewöhnlichen Mädchens. Übertragbar sind die Probleme, ihren eigenen Weg zu finden und auch zu gehen, der vom Vater in keiner Weise verstanden wird. Die Geschichte wird auf eine ganz eigene und bezaubernde Art dargestellt. Ein wahrer Genuß für Augen und Ohren und ein absolutes Muß für den Kinogänger.

Martin Schulze


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