Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/97      Seite 6
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Radio-Frequenzen für Oldenburg

Wohnen ohne Auto

Eine verkehrspolitische und städtebauliche Idee auch für Oldenburg

Daß der motorisierte Individualverkehr (MIV) so, wie wir ihn heute kennen, auf Dauer nicht die Lösung unserer Mobilitätsprobleme liefert, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Energieverbrauch und CO2-Freisetzung, Lärm und Flächenverbrauch beschränken die Erweiterbarkeit des bestehenden Systems. Es scheint trotzdem unmöglich zu sein, auf das eigene Auto zu verzichten. Kommt in Deutschland auf je zwei Menschen doch ein Auto. Kinder und Greise mitgerechnet.

Um so erstaunter nimmt man zur Kenntnis, daß jeder vierte Haushalt in Deutschland kein Auto besitzt. In Großstädten sind es gar mehr als 30 % aller Haushalte und in bestimmten Gebieten Berlins lebt sogar eine autofreie Mehrheit (bis zu 55 %).

Normalerweise fallen sie nicht besonders auf, die Autofreien. Weder muß sich jemand über einen dauernd ungenutzten Parkplatz ärgern, noch wird im Stau auf der Alexanderstraße nach je zwei Autos ein Lücke für den hier fehlenden autofreien Mitmenschen freigehalten. Obwohl viele meinen, es sei unmöglich, ohne ein Auto eine Wasserkiste einzukaufen, tut ein Drittel aller Oldenburger Haushalte genau das, ohne es irgendwie besonders zu finden.

Anschub aus Bremen

Die Idee, diese Leute zu bündeln, und zusammen ein autofreies Wohngebiet zu schaffen, wurde zum ersten Mal in Bremen formuliert. Wie sich herumgesprochen hat, wird es dieses Wohngebiet im Hollerland nun aber gar nicht geben. Autofreies Wohnen im Hollerland scheiterte genauso, wie "herkömmliches" Wohnen im Hollerland: Wo Werften Pleite gehen und die Zahl der Arbeitslosen sprunghaft steigt, da fängt kaum jemand an zu bauen. Doch die Idee von autofreien Wohngebieten war geboren und heute gibt es in über 20 Städten Initiativen, die diese "ungewohnte" Wohnform vorantreiben wollen.

Eigensinn ...

Die Idee hat zunächst ihren Reiz für die, die in so ein Wohngebiet einziehen. Sie verzichten vielleicht schon heute auf ein Auto oder würden es gerne tun, wenn da nicht dies oder das dagegen spräche. Die Vorteile des Autoverzichts erleben sie jedoch nicht.

In einem autofreien Wohngebiet werden sie erfahrbar: Die Ruhe vor dem Straßenlärm. Der Platz, auf dem Kinder spielen können, ohne daß die Eltern sich permanent Sorgen machen müssen. Die bessere Luft, frei von Autoabgasen. Die geringeren Bau- und Mietkosten, weil keine asphaltierten Straßen das Wohngebiet durchziehen müssen. (In einer vor kurzem in der Frankfurter Rundschau veröffentlichten Studie zeigte sich, daß Firmen für einen ebenerdigen Parkplatz auf dem Firmengelände monatlich durchschnittlich recht genau DM 100 aufwenden müssen. Ich las, sah aus dem Fenster und seufzte.)

Auch die umliegenden Geschäfte haben ihre Vorteile, denn RadfahrerInnen fahren nicht auf die grüne Wiese, um ihre Lebensmittel einzukaufen. Sie kaufen in der Nachbarschaft.

Eine gute Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist für ein autofreies Wohngebiet selbstverständlich. Eine gemeinsam zu nutzende Fahrradwerkstatt, bei der man auch mal ein Rad oder einen Anhänger leihen kann, wäre wünschenswert. Für den berühmten Notfall steht auf dem kleinen Restparkplatz, der auch für BesucherInnen notwendig ist, ein Fahrzeug des Stadtteilautos.

Aus den in einer autozentrierten Stadt eher Benachteiligten werden hier Privilegierte. Einzige Bedingung ist, kein eigenes KFZ zu besitzen.

... und Gemeinsinn

Ein solches autofreies Wohngebiet macht sie sichtbar, die Autofreien. Es wird für NachbarInnen, BesucherInnen und Interessierte deutlich, daß es auch anders geht, als man bisher immer geglaubt hat. Es wird erlebbar, daß dieses andere Leben mindestens ebenso lustvoll und erlebnisreich ist wie das gewohnte. Und deshalb wird es NachahmerInnen geben. Die Zahl der autofrei Lebenden wird steigen.

Gemeinsam können die BewohnerInnen eines autofreien Wohngebiets eher daraufhin wirken, daß Fahrrad und Bus in der Verkehrspolitik eine größere Rolle spielen. Sie treten nicht mehr vereinzelt auf, wo sie oft als ExotInnen angesehen werden, sondern gemeinsam als Repräsentanten einer sehr großen Minderheit.

Zukunftsfähige Entwicklung

Natürlich bleibt ein solches Projekt nicht bei der Autofreiheit stehen. Beim Bau des neuen Wohngebietes spielen soziale und ökologische Aspekte eine große Rolle. Die Struktur der Einwohner soll so gemischt wie möglich sein: Alte und junge, arme und reiche, Singles und Großfamilien finden hier eine Bleibe. Entsprechend wird es sozialen Wohnungsbau ebenso geben, wie die Möglichkeit, ein eigenes Haus oder eine Wohnung zu kaufen. Wer gerne sein Geld ökologisch sinnvoll investieren will, darf auch gerne mehrere Wohnungen kaufen und vermieten.

Bezüglich der Ökologie steht an oberster Stelle der Wunsch, verdichtet zu bauen. Freistehende Einzelhäuser, um die "der Oldenburger" herumlaufen kann, wird es nicht geben. Vielmehr werden Reihenhäuser und Geschosswohnungsbau (ja, ja, so heißt das nun mal) entstehen. Dabei muß man nicht gleich an quadratisch, praktisch, gut denken. Als positives Vorbild für eine verdichtete Bauweise in Oldenburg kann z.B. das Dobbenviertel herangezogen werden.

Der Energieverbrauch wird schon durch die dichtere Bauweise reduziert. Daneben versteht sich, daß die Gebäude überdurchschnittlich gut isoliert werden. Bei der Auswahl der Baumaterialien wird auf Umweltverträglichkeit geachtet.

Die Öko-Wunschliste ist lang. Auf der anderen Seite darf das Projekt nicht an zu hohen Ansprüchen scheitern. Welche Kompromisse notwendig sind, ist heute noch nicht zu sehen. Das wird sich erst in der eigentlichen Bauvorbereitung zeigen.

Eigentlich müßte sich die Stadt bei einem solchen Projekt die Hände reiben, hatte sie doch die Aufgabe, bis zum vergangenen Jahresende eine lokale Agenda 21 zur nachhaltigen Entwicklung in der Kommune zu entwerfen. Das autofreie Wohngebiet bietet sich als Vorzeigeobjekt geradezu an.

Die Clausewitz-Kaserne

Als möglicher Standort für dieses Gebiet wird zur Zeit die Clausewitz-Kaserne in Ohmstede diskutiert. Sie umfaßt insgesamt rund 11 Hektar, wovon etwa 2 Hektar genutzt werden könnten, um die bis zu 100 Wohneinheiten für die Autofreien zu bauen. Die Entfernung zur Innenstadt (ca. 3,5 km) ist zwar nicht optimal aber erträglich. Dafür ist die Kaserne gut an den ÖPNV angeschlossen (was vielleicht sogar noch besser werden wird) und es findet sich praktisch alles, was man zum täglichen Leben braucht, in der näheren Umgebung.

Allerdings läuft uns die Zeit davon. Die Nileg (Nds. Landesentwicklungs-Gesellschaft) möchte schon sehr bald ihre Flächen verkaufen und es ist fraglich, ob wir so schnell eine Finanzierung auf die Beine bekommen.

Doch noch ist nicht alles gelaufen: Es gibt auch andere Gebiete, die für eine autofreie Nutzung interessant sind. Vielleicht sogar interessanter als die Clausewitz-Kaserne. Das wird sich zeigen müssen.

Wie geht es weiter?

Im vergangenen Jahr hat sich in Oldenburg der Verein "Wohnen ohne Auto" gegründet. Die Eintragung ins Vereinsregister erfolgt zur Zeit. Jeden zweiten und vierten Montag im Monat treffen wir uns um 20 Uhr im Umwelthaus. Wer sich dafür interessiert, am autofreien Wohnen teilzunehmen, kann Mitglied werden. Je mehr Mitglieder wir sind, desto mehr Chancen hat das autofreie Wohnen. Auch praktische Mitarbeit ist herzlich willkommen.

Wer erst einmal noch Fragen hat, kann gerne zu den Vereinstreffen kommen oder einfach anrufen: Tel 664423.


Diese Veröffentlichung unterliegt dem Impressum des Oldenburger Stachel. Differenzen zur gedruckten Fassung sind nicht auszuschließen.
Nachdruck nur mit Quellenangabe, Belegexemplar erbeten.

 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum