Oldenburger STACHEL Ausgabe 2/97      Seite 6
 
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Zwischen Bangen und Hoffen

Besuch aus Palästina

Am 25. Januar informierte die Professorin Dr. Smuya Farhat-Naser von der Birzeit- Universität der Westbank im PFL über die aktuelle Situation in Palästina und Israel. Wir drucken im Folgenden einen kurzen Auszug aus ihrem frei gehaltenen Bericht und aus dem Gespräch mit den ZuhörerInnen ab.

"Ich habe lange genug während meines Studiums - zehn Jahre in Hamburg - (hier) gelebt, um zu wissen, woher die Information über den Nahostkonflikt kommt. Ich kenne auch die Sensibilität der deutsch-jüdischen Geschichte und auch die Verantwortung dieser Geschichte. Und ich verstehe es und ich kann mir vorstellen, was es für Sie bedeutet, sich damit auseinanderzusetzen, und wie schwer es ist, aber ich kann keine Rechtfertigung finden, die Augen zu verschließen. Die Augen verschließen bedeutet, ein neues Unrecht gegenüber anderen zu begehen. (...) Gerade Sie in Deutschland neigen dazu, sich auf die eine Seite zu stellen, auf die Seite, die die Opfer waren. Und zu sagen, diese Seite muß nun endlich Ruhe und Sicherheit haben.

Aber solange man nur an die eine Seite dachte - auch wir beiden Völker in Israel und Palästina sagten fünfzig Jahre lang: "Nur die eine Seite hat recht, das Recht auf Leben, auf Existenz und Sicherheit, auf Überleben!" Jede Seite wollte dies nur für sich allein - solange wir darauf beharrten, so lange haben wir beide verloren.

Menschlichkeit verloren

Wir haben Land verloren, Menschen verloren, die Glaubwürdigkeit verloren, weil wir die Schwachen waren. Die andere Seite, die stark ist und die diktierte, die alle Macht in der Hand hat, hat alle ihre Ziele verwirklicht, und sie verfolgt weiterhin ihre Ziele mit Großisrael. Trotzdem haben die Menschen verloren, sie haben an Menschlichkeit verloren, und das Gefühl der Sicherheit. Sie haben sich noch nie so voller Ängste gefühlt wie jetzt, und das wird immer schlimmer. Sie haben keine Ruhe.

Endlich sind die meisten Menschen auf beiden Seiten zu der Einsicht gekommen: Es hat keinen Zweck, daß wir uns gegenseitig mit Gewalt bekriegen! Mit Gewalt, Krieg gibt es immer nur einen Sieger und einen Besiegten. Von menschlichem Verständnis her sind beide Besiegte. Beide Seiten haben viele Opfer gebracht.

Wir mußten uns über die Realität unterhalten: Zwei Völker beanspruchen ein und dasselbe Land. "Man müßte das eine Volk vernichten," sagten einige; geklappt hat dies Gott sei Dank nicht. Endlich ist es soweit, daß wir alle es wagen, miteinander zu leben, also den anderen überleben zu lassen.

Opfer der Opfer

Es war für unser Volk ein schweres Opfer; denn Palästina ist ja unser Land, doch müssen wir es teilen. Was haben wir denn mit den in Europa verfolgten Juden zu tun? Warum sollten wir sie aufnehmen? Das war für uns schwer begreiflich. Wir haben nichts mit dem Holocaust zu tun. Wir aber sind die letzten Opfer, wir sind die Opfer der Opfer geworden. Wir haben also auch etwas mit der deutschen Geschichte zu tun. (...) Hätte es nicht die schreckliche Geschichte in Europa gegeben, hätten wir heute nicht eine solche Misere, in der unser Volk heute steckt.

Und deshalb muß man sehr genau dahinschauen und sagen: "Beide Seiten haben ein Recht auf Leben und Existenz, auf eine Heimat, ein Zuhause und auf einen Staat!" Wenn man von der Sicherheit Israels spricht, muß man auch an die Sicherheit der Palästinenser denken, an alle Menschen, die dort leben. Es kann für Israel keine Sicherheit geben, wenn dieses das andere Volk unterdrückt und entrechtet. Man bringt die Leute nur dahin, sich wieder zu erheben.

Zuerst Euphorie

Dann begann der Friedenprozeß. Wir freuten uns, daß die Politiker mitmachten und nicht nur die Menschen an der Basis. Daß die Politiker sich vornahmen, die Probleme endlich politisch-diplomatisch anzugehen. Zum ersten Mal in unserer Geschichte saßen Palästinenser und Israelis an einem Tisch gegenüber, um gemeinsam die Probleme zu diskutieren. 45 Jahre lang haben nur andere über uns gesprochen. (...) Wir haben einige schöne Sachen erlebt, wir wurden auf einmal wie Menschen behandelt. Wir haben nun palästinensische Pässe, phantastisch! Wir haben unsere Briefmarken, unsere Polizisten. Auch wenn unser Paß nicht hundertprozentig ein Paß ist, denn darunter steht Traveldokument - es macht nichts, es ist ein Anfang. Dem größten Teil unseres Volkes ist der Paß aber immer noch verweigert. Wer den Paß ausstellt, das ist Israel. Zuerst geht der Antrag an die palästinensische Behörde, dann geht er an die israelische Behörde, und die genehmigt letztendlich, wer einen Paß erhält. Die Palästinenser kleben dann noch eine Seite in den Paß ein, den wir von Deutschland geschenkt bekommen haben.

Wir haben auch palästinensische Autonummern, Beamten, eine Regierung, und eine palästinensische Fahne hängt nun überall. 254 junge Menschen sind erschossen worden, weil sie diese Fahne in der Hand gehabt haben. Mein Sohn bekam 13 Monate Haft, weil er mit 14 Jahren die Fahne bei einer Demo angeblich in der Hand gehabt hatte. Und jetzt ist die Fahne da. (...)

Rückschläge

Vor einem Jahr war ich euphorisch, und ich glaubte, nun geht es vorwärts. Wirtschaftlich e Entwicklung ist wichtig. Daß die Menschen sich bewegen können. Daß die Universitäten nicht mehr geschlossen sind - d.h. die Hebron-Universität wurde eben erst wieder geöffnet, die Jerusalem-Universität ist noch immer geschlossen. Es gab weitere Rückschläge, und die Menschen fragen sich, was ist eigentlich geschehen. 1996 war eines der schwersten Jahre der Besatzungszeit, und das in einer Zeit, wo alle Welt sagt: "Das ist der Friedensprozeß!" (...) Es ist keine Friedenszeit. Es gab Gründe: schreckliche Akte, den Libanonkrieg, wo Peres den Befehl gegeben hat, wo 100 Menschen im Südlibanon durch einen Bombenanschlag zu Tode kamen. Das hat die Glaubwürdigkeit des Friedens ins Schwanken gebracht, auch gerade bei den israelischen Menschen. (...) Vieles ist kaputtgegangen in unseren Hoffnungen. Dann kamen die Wahlen in Israel, und nun haben wir diese radikale Regierung, die den Friedensprozeß kaputt macht. Ich hoffe, das gelingt ihr nicht. Die ersten zwei Jahre waren schwierig - aber (...) wir spürten langsam einen Respekt für die andere Seite, (...) wir wurden Partner, wir haben Shalom gesagt, das uns vorher sehr schwer gefallen ist. Wir haben uns angelächelt und gefragt: "Was meinst du über den Frieden?" Dann kam die neue Regierung...

Hebron

Das Hebronabkommen war unnötig, denn das Hebronabkommen war längst unterschrieben 1995. Es wäre nur nötig gewesen, das Unterschriebene in die Tat umzusetzen. Das lehnt die heutige Regierung ab. Es wurde wieder zu Ungunsten der Palästinenser verändert. Es ist schwer für uns, aber es war gut, daß die Politiker sich an einen Tisch setzten. Wo aber blieb die Glaubwürdigkeit dieser Rewgierung? Wir können uns nicht auf sie verlassen. Wir brauchen die Garantien von internationaler Seite her. (...) Man hat sich auf folgendes geeinigt: Hebron wird in mehrere Teile geteilt. Hebron ist eine Stadt von 130 000 moslemischen Palästinensern, und in der Altstadt wohnen 400 israelische Siedler, die mit Gewalt in die Häuser der Altstadt gekommen sind. (...) In Hebron aber ist das Grab Abrahams, der Ahne der Juden, aber auch der Moslems und Christen. Abraham darf nicht konfisziert werden. Eigentlich darf an einem Grab nach jüdischer Tradition gar nicht gebetet werden. Ein Grab darf nicht zu einer Gebetsstelle gemacht werden - aber Politik macht das möglich. So ist das auch mit den anderen Gräbern, Josephs und Rahels Grab. Wir sind nicht zugelassen.

Hier sind die Gefühle zu stark. Man denkt nicht mehr logisch. Hier provoziert man sich gegenseitig, und das wäre gar nicht nötig. Man sollte dies als eine gemeinsame Sache sehen, und eigentlich sind diese Religionen miteinander verbunden - aber die Politik macht daraus eine Sache der Juden. (...) Für diese 400 jüdischen Siedler werden die Straßen der Altstadt extra für sie miteinander verbunden und 2 000 Soldaten stationiert, um diese Siedler zu schützen. D.h. alle zwei Meter steht ein Soldat mit einem Maschinengewehr. Die wichtigste Straße in Hebron war acht Jahre gesperrt, damit die Siedler frei und sicher zur Abrahamsmoschee laufen können. Wenn die Siedler ein Fest hatten, gab es für die palästinensiche Bevölkerung Hebrons eine Ausgangssperre. Im Hebronabkommen wird nun diese Straße geteilt. Die eine Seite ist für die Siedler, die andere für die palästinensische Bevölkerung. Das ist eine Einladung für Extremisten beider Seiten, auf die andere Seite einen Terroranschlag zu machen. Wäre es nicht besser, diese Siedler für eine Zeitlang außerhalb von Hebron unterzubringen, bis etwas Vertrauen aufgebaut worden ist? So, wie es jetzt ist, kann es nur für eine vorübergehende Zeit sein.

So, wie es jetzt ist, kann es nicht zum Frieden führen. 20 % der Stadt ist noch immer unter israelischer Herrschaft, und 20 000 palästinensische Menschen auch. Sie unterliegen den Behörden in Jerusalem, nicht der palästinensischen Behörde in Hebron."


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