Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/97      Seite 1
 
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Unternehmen Zukunft?

Wer fährt auf Nahverkehrsstrecken ab?

Die Deutsche Bahn AG bekommt Konkurrenz: Im März teilte die niedersächsische Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG) mit, sie wolle den Nahverkehr auf einem 320 Kilometer langen Streckennetz ausschreiben und bis Ende des Jahres aus den Angeboten den wirtschaftlichsten Betreiber auswählen. Auf den Strecken Esens-Sande, Wilhelmshaven-Oldenburg, Oldenburg-Osnabrück und Delmenhorst-Hesepe-Osnabrück könnte zum Fahrplanwechsel 1998 also ein privater Betreiber an die Stelle der Bahn AG treten. Welches Gerangel sich dahinter verbirgt, ahnen allerdings die Wenigsten.

Bund, Land, Bahn - wem gehört eigentlich was oder wer zu wem ?

Die gute alte Bundesbahn -- was bis zur "Regionalisierung" schön übersichtlich in einem Hause zusammengefaßt war, verteilt sich heute auf mehrere selbständig rechnende Unternehmenseinheiten. Die Bahn AG hat ihre Tätigkeiten aufgegliedert in Geschäftsbereiche für Nah-, Fern- und Güterverkehre, Personenbahnhöfe sowie in einen Geschäftsbereich "Netz", der als Besitz die verschiedenen Trassen, also sämtliche Gleiskörper der Bahn AG, hält. In der Praxis bedeutet das: Der Geschäftsbereich "Nahverkehr" hat für die Nutzung der Trassen an den Geschäftsbereich "Netz" zu zahlen -- bisher findet diese Transaktion nur auf dem Papier statt, weil beide zur DB AG gehören; geplant ist aber eine rechtliche Verselbständigung der Unternehmensbereiche wie heute schon bei der früheren Bundespost.

Um überhaupt einen Schienennahverkehr zwischen Esens und Sande oder zwischen Oldenburg und Osnabrück stattfinden zu lassen, müssen entsprechende Leistungen "bestellt" werden. Für diese Bestellung ist die landeseigene Nahverkehrsgesellschaft in Hannover zuständig. "Zuständig sein" heißt in diesem Fall aber nicht, selbst bezahlen zu müssen. Das notwendige Geld stellt der Bund dem Land zur Verfügung, und das Land leitet das Geld dann an die Nahverkehrsgesellschaft weiter. Diese bezahlt damit die Nahverkehre, die bisher nahezu ausschließlich von der Bahn AG betrieben werden.

Gibt es eine Konkurrenz zur Bahn AG ?

Um das Geld des Bestellers, der LNVG also, rangeln nun, bisher nur theoretisch, verschiedene Leistungsanbieter. Es ist dies der Wettbewerbsgedanke, den der Bundesgesetzgeber anreizen wollte. Mit der jetzigen Ausschreibung wird die Bahn AG quasi erstmals gezwungen, in Konkurrenz zu anderen Anbietern zu treten. In Frage kommen hier in allererster Linie Gesellschaften, die schon bisher im Personennahverkehr tätig sind. Hierzu gehören in Niedersachsen die "Elbe-Weser Verkehrsbetriebe", ein mit Landesmitteln gefördertes Unternehmen, das neben Personen- auch Güterverkehre zwischen Hamburg und Cuxhaven betreibt, sowie Wettbewerber aus angrenzenden europäischen Nachbarstaaten. Als Anreiz hat das Land zugesagt, dem künftigen Betreiber 22 Leichttriebwagen für den Nahverkehr auf dem 320 Kilometer langen Streckennetz zwischen Esens und Osnabrück zur Verfügung zu stellen.

Aus vielerlei Gründen ist die Bahn AG im Betrieb des Schienenpersonennahverkehrs unverhältnismäßig teuer -- Unternehmen wie die EVB dürften also gute Karten besitzen, aus der Ausschreibung als Sieger hervorzugehen. Eine Garantie für die Fortführung des Nahverkehrs auch auf den Nebenstrecken wie Esens-Sande und Delmenhorst-Hesepe-Osnabrück ist damit jedoch noch nicht verbunden.

Werden Züge bestellt, aber Gleise abgebaut ?

Geld verdient die Bahn AG vor allem im Fern- und Güterverkehr sowie im Nahverkehr der Ballungsräume. Nebenstrecken machen betriebswirtschaftlich gesehen zwar keinen Verlust im Betrieb, weil der Bund den Ausgleich dauerhaft garantiert (Daseinsvorsorge), verursachen aber Kosten im Unterhalt. Bei der Bahn AG gibt es deshalb Überlegungen sich auf ein Kernnetz zurückzuziehen; jüngst bekanntgewordene Pläne gehen von der beabsichtigten Stillegung eines Viertels des heutigen Schienennetzes aus.

Zur Rechtslage: Solange die LNVG Leistungen bei der Bahn AG bestellt und einen Defizitausgleich zahlt, ist der Geschäftsbereich "Nahverkehr" der Bahn verpflichtet, die gewünschten Strecken zu bedienen. Davon nicht erfaßt sind die einzelnen Trassen, also die Gleise, und die Bahnhöfe. Will der Geschäftsbereich "Netz" sich aus dem Unterhalt einer Trasse zurückziehen, gibt es keine gesetzliche Vorschrift, die das verhindert. Klar ist lediglich das Verfahren:

Die Trasse wird zunächst Dritten zur Übernahme angeboten. Dieser Dritte könnten das Land, Landkreise, Zweckverbände oder Private sein. Findet sich ein Übernehmer, so ist ihm die Trasse inklusive aller bahnnotwendigen Liegenschaften und Aufbauten (auch Bahnhöfe) zu überlassen. Für den anderen Fall schließt sich ein Stillegungsverfahren nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz an.

Natürlich wird sich die Bahn AG nicht aus dem Unterhalt der Trassen Wilhelmshaven-Oldenburg oder Oldenburg-Osnabrück zurückziehen, soll hier doch jeweils mit erheblichem Mitteleinsatz auch der Bahn in eine Verbesserung der Infrastruktur investiert werden. Außerdem betreibt die Bahn auf diesen Trassen noch Fern- bzw. Güterverkehre, und die Neigung bei der DB AG dürfte nicht allzu groß sein, künftig Trassenpreise an einen Dritten für die Nutzung der Gleiskörper zu zahlen. Ganz anders aber sieht es mit den Nebenstrecken aus.

Inhalt der Ausschreibung der LNVG ist lediglich der Schienenpersonennahverkehr auf den vier erwähnten Strecken, nicht eine Übernahme der Infrastruktur. Es ist wahrscheinlich, daß das Land im Falle eines (für Esens-Sande bereits angedrohten) Rückzugs der Bahn (Geschäftsbereich "Netz") aus dem Trassenunterhalt mit dem künftigen Nahverkehrsbetreiber über eine Übernahme auch der Infrastruktur verhandeln wird. Dieser wird hierzu -- wenn überhaupt -- aber nur dann bereit sein, wenn sich das Land zu notwendigen Sicherungs- und Modernisierungsinvestitionen in die jeweiligen Trassen bekennt. In dieser entscheidenden Frage aber hält sich das Land bisher bedeckt.

Erst nach Abgleich aller Nahverkehrsstrecken im Land, will das Wirtschaftsministerium sich zur Rangfolge seiner geplanten Investitionen äußern. Erschwerend kommt hinzu, daß der Großteil der für die Bahninvestitionen zur Verfügung stehenden Gelder, immerhin mehrere hundert Millionen Mark jährlich allein in Niedersachsen, für die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur zur Weltausstellung "Expo" in Hannover bis ins Jahr 2001 verplant ist. Das heißt, wenn das Land in Nahverkehrsstrecken im ländlichen Raum investiert, dann erst ab diesem Zeitpunkt; bestimmte Strecken sind aber derart heruntergewirtschaftet, daß bereits in den kommenden Jahren eine Stillegung aus Verkehrssicherheitsgründen droht, wenn nicht schleunigst Ausbesserungen vorgenommen werden. Auf der Strecke Esens-Sande etwa beläuft sich dieses Finanzierungsvolumen auf bis zu zehn Millionen Mark.

Landeseigene Infrastrukturgesellschaft als Zwischenlösung

Unterm Strich ist die Ausschreibung des Nahverkehrs auf den Schienen um Oldenburg ein positives Signal, weil damit für weniger Geld mehr Nahverkehr realisiert werden könnte. Gleichwohl zeigen sich auch hier die schädlichen Folgen der Privatisierung: Während die Bahn AG die lukrativen Strecken nie herausrücken wird, zieht sie sich aus den zuschußbedürftigen Nebenstrecken zurück, eine Quersubventionierung schwacher durch starke Strecken wird damit künftig entfallen -- die öffentlichen Haushalte bleiben auf den schwachen Strecken sitzen. Ursächlich hierfür ist die fehlende Infrastrukturverantwortung bei Bund bzw. Bahn AG. Sollen auch die Nebenstrecken gesichert und ausgebaut werden, bedarf es einer Gesetzesänderung im Bund oder einer Infrastrukturgesellschaft im Land. Der Oldenburger Raum ist nämlich nur der Beginn des beginnenden Preiskampfes auf der Schiene -- mittelfristig will die LNVG den gesamten Nahverkehr in Niedersachsen ausschreiben.

Michel Golibrzuch,

wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion


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