Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/97      Seite 15
 
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St. Pauli probt den Aufstand

Zur Besetzung des Hafenkrankenhauses in Hamburg

"Seit nunmehr zwei Monaten ist das traditionsreiche Hafenkrankenhaus im Hamburger Stadtteil St. Pauli besetzt. Am Abend des 3. Februar '97 riefen Mitglieder der Stadtteilinitiative "Ein Stadtteil steht auf" den Beginn der Aktion aus. Ursprüngliches Ziel war, die vom Hamburger Senat und vom LBK (Landesbetrieb der Krankenhäuser - ein Zusammenschluß der städtischen Krankenhäuser in Hamburg, somit also auch der Träger des Hafenkrankenhauses) geplante Schließung des Hauses zu verhindern. Die offizielle Begründung für dieses Vorhaben: notwendige Einsparungsmaßnahmen des LBKs in einer Gesamthöhe von DM 200 Mio. Dieses Defizit soll zu einem wesentlichen Teil durch die Schließung des kleinsten zum Landesbetrieb gehörigen Hauses - der Kiezklinik mit ihren 203 Betten - gesenkt werden. Weitere Maßnahmen sind u. a. der geplante Abbau von 1800 Arbeitsplätzen im Bereich des gesamten LBK; dementsprechend existiert in allen zum Betrieb gehörigen Häusern ein fast absoluter Einstellungsstop für externe ArbeitnehmerInnen mit der Folge, daß freiwerdende Stellen oft nicht wiederbesetzt werden. Daher fürchteten viele der rund 430 Beschäftigten des Hafenkrankenhauses in den letzten Wochen und Monaten vor der Schließung um ihre Arbietsplätze und sahen sich existentiell bedroht. Eine wesentliche Ursache des LBK-Defizits ist die Kürzung der Pflegesätze im Krankenhausbereich durch die gesetzlichen Krankenversicherungen. Durch die Kürzung der unverzichtbaren Finanzierungsquelle sollen die Mindereinnahmen der Krankenversicherungen, die maßgeblich aus der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit und der deshalb zu geringen Zahl von BeitragszahlerInnen resultieren, auf den Krankenhaussektor abgewälzt werden. Damit treffen die Einschnitte gerade auch die Schwächsten in der Gesellschaft.

Der Kampf für den Erhalt des Hafenkrankenhauses ist seit seinem Beginn auch ein Symbol für den Kampf gegen den zunehmenden Sozialabbau in St. Pauli und anderswo. Die Kiezklinik ist eine zentrale Anlaufstelle für die Stadtteilbewohner. Auf St. Pauli leben viele Arbeitslose, AusländerInnen, SozialhilfeempfängerInnen sowie Obdachlose und Drogenabhängige.

Mittlerweile haben sich die Ziele der BesetzerInnen gewandelt: Man kämpft nun für ein alternatives Gesundheitszentrum. Im Mittelpunkt diese Zentrums soll ein Krankenhaus mit mindestens 160 Betten stehen, dem unterschiedlichste Einrichtungen aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich angegliedert sind, so z. B. eine Kindertagesstätte und eine Drogenberatungsstelle. Allerdings haben die Verhandlungen der BesetzerInnen mit dem LBK und der Stadtentwicklungsbehörde bisher noch zu keinem Ergebnis geführt, so daß sowohl Finanzierung und Rechtsform als auch das sonstige genaue Aussehen des Zentrums ungeklärt sind.

Stattdessen hat der LBK gleich zu Beginn der Besetzung auch die Notfallambulanz des Hauses geschlossen mit der Begründung, daß die Durchführung einer derartigen Aktion ein unkalkulierbares Risiko bei der Behandlung von PatientInnen darstellen würde. Um dies zu widerlegen, haben einige ÄrztInnen aus dem Stadtteil Mitte März eine provisorische Ambulanz in der "Zentrale der BesetzerInnen" (der Station D) eingerichtet, die in den Abendstunden geöffnet ist. Hier werden unentgeltlich und auf unbürokratische Art und Weise kleinere Verletzungen behandelt.

Die Zukunft des Hafenkrankenhauses ist also noch nicht endgültig geklärt, obwohl das Haus offiziell seit dem 1. März '97 geschlossen ist. Trotzdem läßt sich mit Sicherheit sagen: Was sich derzeit hier in Hamburg abspielt und auf erbitterten Widerstand der Bevölkerung stößt - nämlich die Schließung eines ganzen Krankenhauses - kann sich schon morgen anderswo ereignen.

Britta Everding

(Hamburg)


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