Oldenburger STACHEL Ausgabe 9/97      Seite 4
 
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Rätselhafter Tod

Die Oldenburger "Initiative für offene Grenzen" erhebt schwere Vorwürde gegen Behörden und den privaten Sicherheitsdienst der ZASt Blankenburg in Zusammenhang mit dem Tode eines rumänischen Asylbewerbers Mitte Ende Juli

Am 26. Juli ertrank Mihai Sandu, ein 27jähriger Asylbewerber aus Rumänien, in der Hunte - in unmittelbarer Nähe zur Blankenburger ZASt (Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber). Auch fünf Wochen später sind die Todesumstände rätselhaft: War es wirklich nur ein bedauerlicher Unfall oder doch eher ein fahrlässig herbeigeführter Sprung in den Tod?

Während die Behörden weiterhin "keine Anzeichen für Fremdverschulden" erkennen können, wirft die Oldenburger Initiative für offene Grenzen dem für die ZASt Blankenburg zuständigem privaten Sicherheitsdienst vor, den jungen Rumänen regelrechtin die Hunte getrieben zu haben. Und den Oldenburger Behörden, daß sie eine zügige Aufklärung des Todes wenn nicht behindern, so doch ebensowenig vorantreiben.

Trotz ungeklärter Idendität drohte Abschiebung

Nach Aussagen von Wolfgang Bruch, Mitarbeiter der Initiative, stand Mihai Sandu unmittelbar vor seiner Abschiebung. Einem ersten Versuch seitens der ZASt-Bediensteten, ihn festzunehmen, konnte sich der Rumäne einen Tag vor seinem Tode durch einen Sprung aus dem Fenster im zweiten Stock entziehen. Aus über 5m Höhe. Eine Höhe, die ermessen läßt, wie groß die Angst M. Sandus vor einer Abschiebung gewesen sein mag.

Am Samstag, den 26.7., wurde er von einem Wachmann gegen Mittag auf dem ZASt-Gelände identifiziert und festgehalten. Laut Bruch konnte sich M. Sandu ein weiteres Mal befreien und lief Richtung Hunte. Verfolgt von dem Wachmann und mehreren kurdischen Asylbewerbern, denen der Wachmann zugerufen habe "Festhalten! Festhalten!". Unter ihnen befand sich auch Aram Mirza, den die Staatsanwaltschaft später als ihren Zeugen präsentierte, um zu beweisen, daß keine Verfolgung stattgefunden habe.

Mihai Sandu übersprang den 1m hohen Grenzzaun der ZASt Blankenburg, unmittelbar verfolgt von dem Wachmann und den Kurden. Erst ca. 200m hinter des Grenzzaunes wurde die Verfolgung aufgegeben. M. Sandu jedoch lief weiter, übersprang einen weiteren Zaun sowie einen Graben und rannte -wie es später Aram Mirza eindrucksvoll beschrieb- "sehr ängstlich und fliehend, als würde der Tod ihn verfolgen, (...) bis er sich in den Fluß schmeißt".

Wie Mihai Sandu in der Hunte ertrinken konnte, ist völlig ungeklärt.

Der Rumäne galt als ein guter Schwimmer, und die Strömung der Hunte als ungefährlich. Kripo-Leiter Heinz Hausenblas erklärte nur lapidar: "Der Mann ist vom ZASt-Gelände Richtung Hunte geflohen und dann ertrunken."(taz, 7.8.97). Auch sei er nicht verfolgt worden, sondern wie ZASt-Leiter Markus Kosock der Presse mitteilte, vom Wachmann mit "Hallo" angesprochen worden und dann unvermittelt geflüchtet (NWZ, 15.8. 97, taz 7.8.97). Der Oberstaatsanwalt Kayser läßt in einer Pressemitteilung vom 12. August gar mitteilen, daß "der rumänische Staatsangehörige ganz normal ans Wasser gegangen sei als, ob er schwimmen wollte" und "sei ein paar Meter geschwommen."

Trotz eingeleiteter großen Suchaktion, an der u.a. auch Taucher beteiligt waren, wurde der Leichnam von M. Sandu erst am Mittwoch, 30.Juli., in der Hunte gefunden. Die Obduktion ergab "Tod durch Ertrinken".

Damit sei der "Fall" abgeschlossen, erklärte ein Pressesprecher der Polizei (Frankfurter Rundschau, 5.8.97). Mit dieser Darstellung will sich die Initiative für offenen Grenze aber nicht zufrieden geben.

Aussagen kurdischer Asylbewerber widersprechen den behördlichen Verlautbarungen

Der Initiative liegen mittlerweile Video-Aussagen zweier an der Verfolgung Mihai Sandus beteiligter Kurden sowie zusätzlich eine schriftliche Aussage von Aram Mirza vor, die die schweren Vorwürfe, die die Initiative gegen die Oldenburger Behörden erheben, untermauern. Zeugenaussagen, die die Wiederaufnahme der Ermittlungen ermöglichen könnten.

Insbesondere das Verhalten des Wachmannes wird dabei thematisiert: inwieweit hat er, wenn sich die Verfolgung beweisen läßt, seine Kompetenzen überschritten und zumindestens fahrlässig gehandelt? Der Huntedeich befindet sich außerhalb des ZASt-Geländes, der Aufgabenbereich eines privaten Sicherheitsdienstes endet aber spätestens an der Grundstücksgrenze. Darüberhinaus sei der Sicherheitsdienst nur für die Sicherung des Gebäudes, von Sachen und Objekten zuständig und nicht ermächtigt, Menschen festzunehmen, dies sei ausschließlich Sache staatlicher Instanzen.

"Es war wirklich erschreckend, da ein Mann von den Sicherheitsleuten, die da (gemeint ist die ZASt Blankenburg, Anm. d. Autors) arbeiten, von dem ich den Namen nicht weiß, aber vom Aussehen her gut kenne (...) verfolgte. Die Person ist gelaufen, sehr ängstlich und fliehend, als würde sie der Tod verfolgen. Es war aber auch eine komische Situation, da nicht nur der Sicherheitsmann ihn allein weiterverfolgte, sondern auch mehrere Flüchtlinge, die ihn verfolgten, als würden sie eine Beute verfolgen" (Auszug aus der schriftlichen Aussage Aram Mirzas).

Unglaubwürdige, neue Zeugenaussagen?

Diese neuen Zeugenaussagen, die im krassen Gegensatz zu den Verlautbarungen der Behörden stehen, erklären sich die Initiative für offene Grenze damit, daß sie bei den Zeugen nachgefragt hätten, während sich die staatlichen Behörden, insbesondere die Kripo, nicht die Mühe machte, diejenigen Fragen zu stellen, die zur Aufklärung des Todes dienlich gewesen wären, anstatt nur eine Standardbefragung durchzuführen mit vorhersehbaren Ausgang.

"Nicht zuletzt müsse", sagte Bruch, "bedacht werden, daß die Kurden Angst hatten und nicht wußten, wie sich ihre Aussagen auf ihre eigenen Verfahren auswirken würden. Und daher ihre eigene Beteiligung an der Verfolgung, wie im Falle Aram Mirza, zunächst nicht äußerten.". Angesichts der erfolgten Abschiebungen keine unbegründete Angst.

Wolfgang Bruch betont aber, daß die Zeugen in ihren Kernaussagen übereinstimmend bestätigen, daß Mihai Sandu sehr wohl verfolgt worden sei. Angesprochen auf einige Widersprüchlickeiten in den Zeugenaussagen, denen sich die Initiative durchaus bewußt ist, sagte Bruch: "Wir sind uns dieser Widersprüchlichkeiten bewußt. Sie beschränken sich aber lediglich auf Detailfragen und seien mit der eigenen Verwicklung der Zeugen in die Geschehnisse zu erklären."

Wird das Todes-Ermittlungsverfahren neu aufgerollt?

Die Videoaussagen, die der Öffentlichkeit -und somit auch der Staatsanwaltschaft- erst nach Drucklegung dieses STACHELs präsentiert werden, sollen die schriftliche Darstellung von A. Mirza bestätigen und präzisieren. Wie die Staatsanwaltschaft dann mit dem Todes-Ermittlungsverfahren weiter umgegangen wird, bleibt abzuwarten.

Wurden Zeugen gezielt abgeschoben?

Fragen wirft auch die Abschiebung bzw. Umverteilung von mehreren Asylbewerbern Mitte August auf. Nach Informationen der Initiative befanden sich darunter mindestens zwei Personen, die bezeugen könnten, daß Mihai Sandu auf dem ZASt-Gelände von mehreren Personen verfolgt worden sei. Auch die 5 Kurden, die laut der Initiative an der Verfolgung beteiligt gewesen sein sollen, seien wie die anderen aus der ZASt ohne die üblichen vorherigen schriftlichen Ankündigungen in ihre Heimatländer abgeschoben worden oder innerhalb der BRD umverteilt worden. Wenngleich ZASt-Leiter Kosock betont, es habe keine "hektischen Abschiedeaktionen" gegeben (taz, 12.8.97), bleibt aufgrund der Art und Weise wie auch des Zeitpunktes der Abschiebung zumindestens ein schaler Beigeschmack.

"...daß seine Seele den Frieden wiederfinden kann."

Rätselhaft sind nicht nur die Umständes des Todes von Mihai Sandu, auch daß die zuständigen Behörden anscheinend nicht in der Lage waren, Kontakt mit seinen Eltern und seiner Frau in Rumänien aufzunehmen und sie über den Tod zu informieren, mutet sehr befremdlich an. Und geradezu zynisch wird es, wenn der Familie Sandu’s, angesichts eines monatlichen Einkommens von umgerechnet ca. 80.- DM, angeboten wird, die in Deutschland entstehenden Kosten für die Überführung der Leiche in Höhe von DM 3.500.- zu übernehmen, wohlwissend das die Überführung insgesamt knapp 8.000.- DM kosten werde.

Um dem Wunsch der Familie nachzukommen, ihren Sohn in Rumänien zu beerdigen, "daß seine Seele den Frieden wiederfinden wird" -wie die Famlien in einem eindringlichen Brief schreibt-, übernahm die Initiative den fehlenden Betrag.

Initiative bittet um Spenden

Neben den Bestattungs- und Überführungskosten sind u.a. für Anwälte, Übersetzungen und Telefonate mittlerweile laut Initiativensprecher Kosten von mehr als 20.000.- DM angefallen. Diese könne sie nicht aus eigenen Mitteln bestreiten und bittet daher dringend um Spenden auf das Konto 017 192 329 des Projektehaus K14 (LzO, BLZ 280 50 100, Stichwort Mihai).

Leider kein Einzelfall

Der Tod von Mihai Sandu ist kein Einzelfall, sondern "Folge der rassistischen bundesdeutschen Flüchtlingspolitik, die den Tod von Menschen bewußt in Kauf nimmt", so Wolfgang Bruch. Zum Beleg verweist er auf Zahlen, die in der Presse bekanntgeworden sind: Seit Januar 1993 haben sich mehr als 39 Flüchtlinge aus Angst vor ihrer Abschiebung in der Abschiebehaft umgebracht, 14 Flüchtlinge begingen Selbstmordversuche und überlebten zum Teil schwerverletzt. Beim Versuch, in die BRD zu gelangen, starben 73 Flüchtlinge, davon alleine 50 an der Oder-Neiße-Grenze.

W. Bruch weiter: "Und die wenigen, die nach der de facto Abschaffung des Rechts auf Asyl im Sommer 1993 es trotzdem schaffen, in die BRD zu gelangen, sind einer rassistischen Flüchtlingspolitik ausgeliefert. Ihre Unterbringung erfolgt in Lagern, ihre Bewegungsfreiheit ist auf das Gebiet der jeweiligen Kommune beschränkt. Flüchtlinge, deren Abschiebung ansteht, werden in Abschiebehaft genommen und so allein aufgrund der Tatsache, daß sie in der BRD Zuflucht gesucht haben, kriminalisiert."

So fordert die Initiative für offene Grenzen konsquenterweise nicht nur die lückenlose Aufklärung des Todes von Mihai Sandu, sondern auch die Auflösung der ZASt Blankenburg und aller anderen Lager und spricht sich vehement gegen Abschiebung und Sondergesetze aus.

Marco Klemmt


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