Oldenburger STACHEL Ausgabe 12/97      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Aktiver Streik an der Universität Oldenburg

"Seit dem 1.12.1997 befinden sich die Studierenden der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Streik." Damit beginnt die Resolution der Studierenden der oldenburger Universität. Seitdem bewegt sich so viel wie schon lange nicht mehr an der Uni.

Die Studierenden marschieren: 4000 waren es bei der Demo am 2. Dezember in Oldenburg. Am 3. Dezember liefen 250 Studierenden acht Stunden lang bei einem Staffellauf in der oldenburger Innenstadt unter dem Motto "Wir haben den längeren Atem". Am 4.Dezember beteiligten sich 400 Studierende aus Oldenburg an der Großdemo von 15000 Menschen in Hannover.

Information und Diskussion

Aber nicht nur körperlich nutzen die Studierenden den durch den aktiven Streik geschaffenen Freiraum. In über 50 Aktionskreisen ringen sie mit der Organisation des Streiks und Informieren, Diskutieren und Streiten sich über die hochschulpolitische Situation und deren Einbettung in die Gesellschaft, manchmal bis zur völligen körperlichen Erschöpfung. Das Spannende dieser Bewegung ist, daß die Studierenden aus allen Teilen der Gesellschaft kommen. Über viele Themen gibt es Kontroversen, doch diese sind nötig, da sie vor diesem Streik von einem großem Teil der Studierenden nicht geführt wurden. Inzwischen verbindet jedoch das große Thema Bildungssituation die Studierenden und Schüler über alle gesellschaftlichen Grenzen hinweg. Viele Studierende sind der Meinung, in einer Woche Streik mehr gelernt, mehr "studiert" zu haben, als in einem ganzen Semester regulärem Studium.

Dieser Lernprozeß zeigt sich in der Resolution, die auf der studentischen Vollversammlung am 5. Dezember beschlossen wurde. Darin heißt es zum Streik: "Wir protestieren damit gegen die Umgestaltung gesellschaftlicher Bereiche, die sich an der bloßen ökonomischen Verwertbarkeit menschlicher Fähigkeiten orientiert." In diesem Streik geht es also nicht nur um Geld, wie es gerne in der Presse verkürzt dargestellt wird. Die Forderungen vieler Resolutionen enthalten nicht nur finanzielle Aspekte, sondern gehen auch auf die gesellschaftliche Situation ein, die für die Bildungsmisere verantwortlich ist.

Entwicklung an den Hochschulen

Der Streik an den Universitäten in Deutschland, der sich in Gießen an den konkreten, unzumutbaren Studienbedingungen entzündet hat, wo sich 4000 PädagogInnen zehn Professoren teilen müssen, führte schnell zur Ablehnung des neuen Hochschulrahmengesetzes, das die Situation an den Hochschulen weiter verschlechtern wird.

Die Studierenden sehen deutlich, daß die Entwicklung an den Hochschulen Teil ist einer "Politik, die soziale Verantwortlichkeiten privatisiert und somit das Ende der Sozialpartnerschaft herbeiführt Ä. SieÜ fördert die Entsolidarisierung und Spaltung der Gesellschaft."

In der oldenburger Resolution stellen die Studierenden dieser Politik ihre Solidarität miteinander und mit den durch diese Politik benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen entgegen.

Solidarität zu den über 100 streikenden Schulen und Hochschulen war ein Grund, daß sich die Studierenden der Universität Oldenburg zum Streik entschlossen. Denn auch hier haben viele Fachbereiche schon ohne die Einführung des neuen Hochschulrahmengesetz mit existentiellen Problemen zu kämpfen:

* Die ehemals Pädagogische Hochschule will 10 Professuren im Fachbereich Pädagogik streichen, was der Hälfte aller Lehrstühle entspricht.

* Der Fachbereich Musik mußte im letzten Semester einige Flügel verkaufen um die anderen Stimmen lassen zu können.

* Der Fachbereich Biologie kann dieses Semester die Abonnementkosten für die Fachzeitschriften in der Universitätsbibliothek nicht mehr bezahlen.

* Der Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften kann die Lose - blattsammlungen der Gesetze nicht mehr aktualisieren.

Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen, da keiner der elf Fachbereiche von Mittelkürzungen verschont blieb. Dadurch brodelt schon lange die Unzufriedenheit unter den Studierenden. Der aktuelle Stein des Anstoßes in Oldenburg war allerdings die geplante Einführung von Hochschul- und Leitungsräten, die zu einem Verlust von Demokratie führen würden, da diese Instanzen ganz ohne studentische Beteiligung arbeiten. Ihre Funktion entspricht vielmehr einer Mischung aus Vorstand und Aufsichtsrat, jedoch ohne Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Außerdem besteht kein Rechtfertigungszwang für getroffene Entscheidungen.

Globalhaushalt und andere Versuche

Diese Vorhaben werden durch den Globalhaushalt ermöglicht, der an der Carl-von-Ossietzky Universität als Modellversuch eingeführt wurde. Der Globalhaushalt überläßt der Universität die interne Verteilung der Gelder aus Hannover. Angepriesen als Befreiung der Universität von bürokratischen Zwängen, nutzte die Landesregierung ihn vor allem zum Kürzen, da sie jetzt anonym den gesamten Haushalt zusammenstreichen kann statt vieler einzelner Haushaltsposten.

Diese Erfahrung zeigt, daß auch die neuen Reformen dazu benutzt werden sollen, Bildung noch billiger zu machen. Vielleicht wird dieses Ziel durch solche Experimente erreicht, doch die Studierenden wollen nicht, daß sie und ihre Universität als Versuchskaninchen verenden.

Oldenburg ist nicht der einzige Testballon dieser Art. In seiner Rede auf der Vollversammlung am 5. Dezember wies Daniel Manwire, ein Vertreter der streikenden Studierenden Marburgs, in diesem Zusammenhang darauf hin, daß auch an anderen Hochschulen Deutschlands Neuerungen eingeführt wurden. Wir erinnern uns alle an die neuen Studiengebühren in Berlin und in Baden-Württemberg. In unterschiedlichen Teilen Deutschlands gibt es unterschiedliche neue Modelle. Aus diesen kann später mit der Argumentation der "Gleichbehandlung" der Universitäten ein Paket für alle geschnürt werden. Das verleiht dem Streik an der Carl-von-Ossietzky Universität eine Bedeutung, die über den Protest gegen schlechte Studienbedingungen hinausgeht.

"Unternehmen Universität"

Sicher existiert bereits in den Köpfen von Politikern und Wirtschaftsvertretern dieses weltweit konkurrenzfähige Unternehmen Universität, das die Ware "Gut Qualifizierte Arbeitskraft" zu Niedrigstpreisen auf den Weltmarkt wirft. Die auf ökonomische Belange fixierte Gesellschaft übersieht dabei mit Absicht, daß Wirtschaftlichkeit nur einen kleinen Teil des menschlichen Wesens ausmacht.

Die zentrale Forderung lautet "Bildung für alle". Dieser Streik ist somit ein klares Votum der Studierenden gegen ein solches Unternehmen Universität und für eine allumfassende Forschung und Lehre. Die Studierenden wenden sich gegen jede Beschränkung des Zugangs zur Bildung, er muß unabhängig sein von Geschlecht, Behinderungen, nationaler und sozialer Herkunft. Wenn diese Forderungen durchgesetzt werden können, führt dies zu einer Änderung der Gesellschaft.

David und Andreas


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