Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/98      Seite 1
 
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"Kein Elchtest für Arbeitslose"

Der Versuch, "die Arbeitslosen zu halbieren", indem viele aus dem Bezug der Unterstützung geekelt werden sollen, war bereits im Oktober-STACHEL Thema. Helferhelfer von Wirtschaft, Kohl & Co. hierzu sitzen auch im Oldenburger Arbeitsamt. Dort wird den Menschen weniger geholfen, jedoch mehr Druck gemacht. Was nicht Wunder nimmt, da es derzeit keine Stellen gibt, um ca. 7 Mio Erwerbslose (oder nach offizieller Lesart 4,5 Mio) in Arbeit zu bringen. Zynisch: So sind nur Arbeitslose ohne Unterstützung gute Arbeitslose.

Abgeschreckt schon vor dem Test

"Trainingsmaßnahmen" sind das "Zaubermittel" zur Überprüfung der "Arbeitswilligkeit" der Menschen. Obgleich ein "Teilnehmer-Informationsblatt" existieren soll, wurde auf dem Arbeitsamt weder ein solches ausgehändigt, noch wollten die Mitarbeiter des Arbeitsamtes irgendwelche Informationen geben. Die in die Trainingsmaßnahmen Gezwungenen wurden unter Druck gesetzt: Entweder eine Unterschrift, oder kein Geld mehr! Üblicherweise wird so etwas Nötigung genannt - in diesem Fall wurden Unterschriften erzwungen, ohne daß die Menschen genau über das aufgeklärt waren, was sie zu erwarten hatten. So haben einige bereits vor Beginn der jeweiligen Maßnahme die Flucht angetreten.

Die eigentliche Tortur

Laut Gesetz ist es seit April 1997 möglich, mit Erwerbslosen noch härter umzugehen. In zwei Jahren können sie bis zu drei Monate in "Trainings", "Praktika" und anderes gedrängt werden. In Oldenburg gibt es derzeit vor allem vierwöchige "Trainingsmaßnahmen". Hier beginnt die eigentliche Tortur, bei der geprüft werden soll, welche "Defizite" zwischen den "Anforderungen" und der "aktuellen Leistungsfähigkeit" der Erwerbslosen vorliegen. Es wird auch darüber gesprochen, "ob es sonst noch bei Ihnen vermittlungshemmende Probleme gibt, um die wir uns gemeinsam kümmern können." Für die Handlanger des Arbeitsamtes gibt es offensichtlich ausschließlich "persönliche Ursachen" für Arbeitslosigkeit. Gleich zu Beginn des "Kurses" wird erklärt, daß anderes im "Kurs" nicht zur Disposition steht. Die Defizite werden nicht in den fast sieben Millionen fehlenden Arbeitsplätzen und der gegen Erwerbslose gerichteten Politik gesehen, sondern die Arbeitslosen hätten aus "persönlichen" Gründen den Zugang zum Arbeitsmarkt noch nicht erreicht.

Konkretes Erleben eines "Kurses" im September 1997

Gleich am ersten Tag hieß es zu einem sehr großen Teilnehmer: "Für sie ist ja ein Hochstuhl nötig, sonst knicken ja die Beine um."

Am Ende des Kurses wurde diesem Teilnehmer eröffnet, daß sein Vermittlungshemmnis "sein Übergewicht" sei. Er reagierte persönlich schwer getroffen.

Es wurde gleich am ersten Tag festgelegt, daß im "Kurs" nur persönliche Gründe für Erwerbslosigkeit besprochen werden sollten. Dies wurde von einigen Kursteilnehmer-inn-en als Manipulation, teilweise sogar als Gehirnwäsche aufgefaßt, da hierdurch ein schlechtes Gewissen gemacht werde - wenn die gesellschaftlichen Ursachen von Erwerbslosigkeit ausgeklammert sind, können die Menschen letztlich nur selbst "Schuld" an der Erwerbslosigkeit sein.

Andererseits wurde auf größter Wert Offenheit gelegt: "Es bleibt alles im Raum." Es wurde versucht, eine Stimmung aufzubauen, wie sie sonst vielleicht bei Gruppen des 12-Schritte-Programmes der Anonymen Alkoholiker angestrebt wird. Der "kleine Unterschied" besteht hier darin, daß sich im Raum nicht nur Gleichberechtigte befinden.

Mit Äußerungen wie "das war mutig" wurden Leute bestärkt, mehr von sich persönlich Preis zu geben. Einige wurden so zu Äußerungen gebracht, mit denen sie sich selbst belasten - sie sind möglicherweise Leistungsentzug und Verfolgung ausgesetzt durch Äußerungen, die sie im "Kurs" tätigten. Dabei ist für mich eines sicher: Bei diesen TeilnehmerInnen handelt es um Menschen, die allenfalls unverschuldet in Not geraten sind und nicht um "bewußte Leistungsmißbraucher".

Als Manipulation wurden auch die Aushänge im Raum empfunden: Dort waren ausschließlich Kopien von ausgeschnittenen Zeitungsartikeln, die sich mit Schwarzarbeit befaßten. Daraus wurde gelesen: Wenn ich erwerbslos bin, bin ich also selbst schuld und vermutlich auch noch kriminell - denn die Unterstützung kann ja hinten und vor nicht reichen.

Als ekelerregend wurde empfunden, daß sich 16 Männer plus diejenigen Männer aus der Parallelgruppe ein Handtuch teilen mußten.

Eklatante Sicherheitsmängel

Die Hygiene war nicht das einzige Manko: Zeitweise halten sich in dem Gebäude mittlerweile bis zu 200 Menschen bei verschiedenen Einrichtungen auf. Trotzdem gibt es keinen separaten Notausgang. Es ist kein Fluchtweg ausgewiesen. Es gibt keine Notbeleuchtung. Nichts weist auf die Existenz eines Feuerlöschers hin. Des Gleiche gilt für Erste-Hilfe-Material. Die Haustür geht nach innen auf.

Warum ist das von Bedeutung? Nach meiner Auffassung wäre es im Rahmen der Fürsorgepflicht seitens des Arbeitsamtes zu erwarten, daß die Räumlichkeiten, in die Zwangsverpflichtete gesteckt werden sollen, VORHER kontrolliert werden, ob die üblichen Sicherheitsstandards eingehalten werden. Immerhin hat sich über drei Monate nach der Mitteilung der Vorbeugende Brandschutz der Stadt Oldenburg brieflich geäußert, daß eine Begehung stattgefunden habe und die gefundenen Mängel an den Hauseigentümer mitgeteilt worden seien. Ich betrachte den schlaffen Umgang mit der Sicherheit der Erwerbslosen als einen Ausdruck widerlicher Gleichgültigkeit mit dem "Bodensatz der Gesellschaft", wie es im Kurs wörtlich hieß.

Zwangstherapie?

Die verwendeten Methoden sind anderenorts oft Bestandteil von therapeutischen Interventionen. Gruppendynamik wird groß in den "Kursen" geschrieben. So sollen Kurse unterhalb einer bestimmten Gruppenstärke nicht durchgeführt werden, da es sonst nicht zu den erwünschten gruppendynamischen Prozessen kommen könne, diese nicht "nutzbar" gemacht werden könnten.

Im Bereich "Konfliktbewältigung" soll Folgendes bearbeitet werden: "Kommunikationsstörungen und deren Bewältigung; Erfolgshemmende Faktoren im Einzel- und Familienbereich; Sucht- und Suchtprävention; Streß- und Streßbewältigung; ...". Unklar bleibt die Ursache des Widerstandes, daß es sich nicht um Zwangstherapie handele. Gezwungen zur Teilnahme werden die Menschen zweifelsohne. Selbst wenn es sich bei den "Maßnahmen" sicher nicht ausschließlich um Therapie handelt - wer will mit Fug und Recht festlegen, daß es sich keinesfalls um eine solche handelt - und damit dann doch wohl um "Zwangstherapie" - oder?

Durch "Herunterputzen" zum "erfolgreichen Wiedereinstieg"?

Die Oldenburger Sonntagszeitung berichtet in ihrer Weihnachsausgabe 1997 Schlimmes: Der bundesweit und europaweit agierende Bildungsträger - nach eigener Aussage mit 100 Filialen in der BRD - der in Oldenburg vom Arbeitsamt verpflichtet wurde, "vermittele seine Schulungsinhalte teilweise mit `rüdesten Methoden' (ein Teilnehmer gegenüber der Sonntagszeitung). Arbeitslose berichteten, sie seien in dem vierwöchigen Kurs zielgerichtet heruntergeputzt und von dem Lehrpersonal in barschem Umgangston drangsaliert worden. Zitat eines Arbeitslosen: `Wir wurden ohne Respekt behandelt, wie Menschen zweiter Klasse'. Beschwerden über allzu aggressive Behandlungsformen hatten Abmahnungen, Leistungssperren sowie ein Gespräch bei der Kurspsychologin zur Folge. Keinen Hehl machte eine Trainingsleiterin über den Nebeneffekt der Veranstaltung: `Das ist hier eine Selektionsmaßnahme.'"

Keine Therapie?

Das Sonntagsblatt berichtet weiter von Fragen wie: "Von meiner Mutter/meinem Vater habe ich folgende negative Verhaltensmuster übernommen" oder "Wenn ich heute sterben würde, was würden meine Familie, meine Freunde und Verwandten am Grab sagen?"

Natürlich keine Therapie! Aber "psychologische Gutachten"!

Ein Kursleiter ist Geschichtslehrer mit Fortbildungen im Marketing. Wie sollte dieser eine "Therapie" durchführen? Trotzdem wird die einzelne Erwerbslose am Ende "psychologisch" hinsichtlich Sauberkeit, Ordentlichkeit, Pünktlichkeit, Lernwilligkeit, -fähigkeit usw. beurteilt. Solche Bewertungen an sich sind nichts Neues. Wenn diese jedoch seitens des Arbeitsamtes durchgeführt werden, dann unterliegt die BerufspsychologIn der Schweigepflicht. Bei den "Trainingsmaßnahmen ist dies anders. Hier gibt es offiziell kein TherapeutInnen/KlientInnenverhältnis, das bereits durch das Berufsbild z.B. PsychologIn durch Schweigepflicht geschützt wäre. (Im Zeitalter des Lauschangriffs wird sich das sicher auch noch ändern.)

Das doch schon mal etwas zu Unbefugten dringt, berichtet wiederum die Sonntagszeitung: "Auch auf dem Felde des Datenschutzes gibt es scheinbar Ungereimtheiten. In mehreren Fällen hätten sie bei dem Vorhaben, ihren persönlichen Werdegang am Computer zu formulieren, unvermittelt detaillierte Lebensläufe ehemaliger Kursteilnehmer vor Augen gehabt, machen Absolventen der jüngsten Maßnahme auf datenschutzrechtlich bedenkliche Umstände aufmerksam. ... Es gab Einsichten in höchst sensible Daten."

Arbeitslosigkeit kann krank machen

Das ist unbestritten. Jedoch ist die Ursache nicht ein individuelles Suchtproblem - dem vielleicht erst beigekommen werden kann, wenn der individuelle Leidensdruck groß genug ist. Wenn sieben Millionen Arbeitsplätze fehlen, dann ist das nicht die Schuld der Erwerbslosen, sondern der Wirtschaft und ihrer Politiker. An dieser Wahrheit werden weder private Bildungsträger noch das Arbeitsamt etwas ändern.

Die spärlichen Bezüge und Mittel für vernünftige Arbeitsbeschaffungs-, Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen immer weiter zusammenzustreichen, ist schlicht eine Sauerei. Es wird Zeit, daß wir es den französischen Erwerblosen gleich tun, die sich nicht mehr auf 1999 oder später vertrösten lassen wollen, sondern Verbesserungen hier und jetzt fordern - und für ihre Forderungen einstehen.

Gerold Korbus


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