Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/98      Seite 12
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Atommüll: Endlager im Meer der Ruhe?

Atommülltourismus ohne Ende: Amerikaner und Russen entdecken den Pazifik

Pazifik - Stiller Ozean: Hier inmitten der größten Wasserfläche der Erde, nicht allzu weit vom tiefsten bekannten Punkt der Erdoberfläche im Marianengraben (- 11 034 Meter) entfernt, im irdischen "Meer der Ruhe" sozusagen, wird vielleicht schon bald Atommüll aus aller Welt seine letzte Ruhestätte finden. In den USA existieren Pläne, auf dem unbewohnten Wake Atoll, einer kleinen Koralleninsel im Zentralpazifik, ein globales Endlager für Atommüll mit einer Kapazität von 50 000 Tonnen einzurichten.

Das Atoll - während des 2. Weltkrieges ein US-Luftwaffenstützpunkt - ist gleich weit von der amerikanischen Westküste und der russischen Pazifikküste sowie Japan entfernt. Die Federführung für das Vorhaben liegt bei einem amerikanischen Entsorgungsunternehmen. Mit russischer Beteiligung wollen die amerikanischen Investoren dieses Projekt, von dem sie sich Milliardenerträge versprechen, in etwa fünf Jahren verwirklicht haben. Zunächst soll der strahlende Abfall aus Europa nach dort gebracht werden. Danach soll Atommüll aus den USA, Japan und anderen asiatischen Ländern folgen. Der Atommüll soll oberirdisch in Castor-Behältern gelagert werden.

Endlösung für Rüstungsaltlasten?

Für die USA steht die dabei mögliche vollständige Kontrolle des atomwaffenfähigen Materials im Zentrum des Interesses. Die USA und Rußland suchen schon länger nach einer Lösung für die Endlagerung von Abfällen aus der Atomwaffenproduktion. Sollte für dieses waffenfähige Plutonium, das in wesentlich größeren Mengen anfällt als die Abfälle aus der sog. "friedlichen Nutzung der Kernenergie", eine Lagerstätte gefunden werden, könnte ein deutsches Endlager für die Altlasten der Atomindustrie überflüssig werden.

In deutschen Atomkraftwerken fallen jährlich ca. 450 bis 500 Tonnen abgebrannter Brennelemente an, die entsorgt werden müssen.

Mehr Zwischenlager in Deutschland

7. April 1998: Die Energiewirtschaft denkt an die Möglichkeit dezentaler Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente bei den Atomkraftwerken. Das berichtet die Hannoversche Allgemeine Zeitung unter Berufung auf einen Experten aus der Energiewirtschaft. Voraussetzung ist allerdings eine Änderung des geltenden Atomgesetzes. Bei einem Antrag auf ein Kraftwerks-Zwischenlager müßte nach derzeitigem Recht auch das Kraftwerk selbst neu genehmigt werden, ein Risiko, welches kein Kraftwerksbetreiber einzugehen bereit wäre.

Die Forderung nach dezentraler Zwischenlagerung, wie sie von der Opposition in Bonn und von einigen Bundesländern erhoben wird, ist als Reaktion der Politik auf die nur noch mit immer größerem Aufwand durchzuführenden Castor-Transporte in die Zwischenlager Gorleben und Ahaus zu verstehen.

Neues Zwischenlager in Bayern?

Für die Energiewirtschaft, die sich diesen Forderungen offenbar nicht mehr länger verschließen will, wäre als Alternative auch der Ausbau des zentralen bayerischen Sammellagers Mitterteich (für schwach und mittelradioaktive Abfälle) als Zwischenlager für Castorbehälter mit hochradioaktiven Brennelementen denkbar. Dies wäre dann neben Gorleben (NDS), Ahaus (NW) und dem im Bau befindlichen Zwischenlager Lubmin bei Greifswald (MV) das vierte bundesdeutsche Zwischenlager.

Schon im März letzten Jahres hatte sich Monika Griefahn für den Bau von zehn Zwischenlagern für abgebrannte Brennelemente bei süddeutschen Atomkraftwerken ausgesprochen. Die Zwischenlager Gorleben und Ahaus sollten künftig nur noch Brennelemente aus den niedersächsischen bzw. nordrhein-westfälischen Atomkraftwerken aufnehmen. Hierdurch würde schon ein Großteil der Castortransporte überflüssig, denn von den insgesamt 19 noch in Betrieb befindlichen deutschen Atomreaktoren stehen zwölf - verteilt auf sieben Standorte - südlich des Weißwurst-Äquators: Biblis (HE), Philippsburg (BW), Obrigheim (BW), Neckarwestheim (BW), Gundremmingen (BY), Ohu (BY) und Grafenrheinfeld (BY). Dem stehen nur sieben norddeutsche AKW gegenüber: Stade (NDS), Unterweser (NDS), Krümmel (SH), Brokdorf (SH), Brunsbüttel (SH) sowie Grohnde bei Hameln (NDS) und Lingen (NDS).

Endlagerung - Das ungelöste Problem

Doch mit der Zwischenlagerung ist es nicht getan. Wenn aus den weltweit 420 Atomreaktoren bis zum Jahre 2050 insgesamt 450 000 Tonnen abgebrannter Brennelemente anfallen, wie Berechnungen der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEO ergeben haben, reichen die bislang geplanten Endlager bei weitem nicht, um all die strahlende Fracht aufzunehmen. Und dies ist nur der "zivile" Anteil am "Kuchen". Hinzu kommt eine unbekannte Menge von verstrahltem Material aus der Ära des Kalten Krieges, von den russischen Atom-U-Booten bis hin zu den atomaren Sprengköpfen und Kernwaffenfabriken aus den Zeiten des Rüstungswettlaufs. Der erst kürzlich in Sellafield entdeckte sog. "fliegende Atommüll" biologischer Herkunft (Tauben) ist dabei nur das Tüpfelchen auf dem I. Womit wir bei einem weiteren Problem angelangt sind: der Wiederaufarbeitung.

Wiederaufarbeitung - teuer und riskant

Die bereits in den siebziger Jahren geschlossenen Verträge zur Wiederaufarbeitung deutschen Atommülls in La Hague und Sellafield sollten gekündigt und die Abfälle aus der Wiederaufarbeitung, die Deutschland zurücknehmen muß, auf alle Zwischenlager verteilt werden. Bislang wurden über 4000 Tonnen hochradioaktive ausgediente Brennelemente zur Wiederaufarbeitung ins Ausland transportiert.

Die Verträge, die deutsche Energieversorger wie PreußenElektra mit La Hague und Sellafield geschlossen haben, gelten bis zum Jahre 2005 und umfassen alle in Deutschland anfallenden abgebrannten Brennelemente.

Mittlerweile gibt es jedoch seitens der Energieversorgungsunternehmen schon Überlegungen zum Ausstieg aus der teuren Wiederaufarbeitung. Erste Verhandlungen über eine Umwandlung der bestehenden Verträge, beispielsweise mit Frankreich, mit dem Ziel, deutschen Atommüll für längere Zeit in französischen Zwischenlagern verschwinden zu lassen, wurden mittlerweile abgeschlossen.

Die Standortsuche

Unterdessen geht die Suche nach geeigneten Endlagern in Deutschland weiter. Bislang wurden vor allem mögliche Endlagerstandorte in Salzlagerstätten untersucht. Die bislang genannten möglichen Standorte, die die Auswahlkriterien, - insbesondere ausreichende Tiefe, großes Lagervolumen und eine vollständige Überdeckung mit einer Tonschicht - am besten erfüllen, liegen durch das Werk des Teufels (des Schirmherrn der Atomwirtschaft) alle in Niedersachsen, wobei Gorleben noch nicht einmal mitzählt. Es wurden auserkoren

Waddekath im Landkreis Gifhorn, Gülze-Sumte bei Neuhaus, nicht weit von Gorleben auf dem nördlichen Elbeufer gelegen, sowie Bad Zwischenahn (Ammerland) und Wahn (Emsland). Für die Nicht-Nennung von Gorleben gibt es einen gewichtigen Grund: Das Kriterium "Überdeckung mit einer Tonschicht" wird von Gorleben nicht erfüllt.

Europäische Lösung

Geologen u.a. von der Gruppe Ökologie in Hannover fordern unterdessen, ganz neue Endlagerstandorte - zum Beispiel auch im Granitgestein - zu untersuchen. Daß dies nicht ganz abwegig erscheint, wird durch Äußerungen aus dem Kreis der Energiewirtschaft gestützt, welche die Gefahr , daß ein Endlager Gorleben - erst einmal genehmigt - durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Atommüll aller EU-Mitgliedsstaaten geöffnet werden könnte, als hoch einschätzt.

Deshalb finden sich hier auch Befürworter einer

europäischen Lösung: Frankreich überlegt, ein Endlager im Granit des französischen Zentralmassivs zu bauen. Für Frankreich wäre dies ähnlich wie die Wiederaufarbeitung ein Milliarden-Geschäft. Und Granit gibt es nicht nur in Frankreich: Auch Böhmen, Niederösterreich oder Schweden sind dafür bekannt.

Und was tut sich in Sachen Atomausstieg?

Schweden, das den Ausstieg aus der Nuklearenergie schon 1980 in einer Volksabstimmung beschlossen hat, ist entschlossen, den "Einstieg in den Ausstieg" aus der Atomenergie jetzt anzupakken.

Im ersten Halbjahr 1998 soll einer der beiden Reaktoren im südschwedischen Barsebäck abgeschaltet werden. Der zweite soll vor Ende 2001 folgen. Dies hat das Stockholmer Parlament im Sommer letzten Jahres beschlossen. Einen Zeitplan für die Schließung der übrigen 10 Atomreaktoren gibt es nicht. Schweden deckt rund 50% seines Elektrizitätsbedarfs durch Atomkraft und zählt zu Europas größten Nutzern der Atomenergie.

Zwei Drittel der Schweden lehnten nach einer Meinungsumfrage vom Anfang des Jahres 1997 die Schließung der Atomanlage Barsebäck ab. Das Problem ist: Als Ersatz kommt kurzfristig vor allem importierter Strom aus Dänemark in Frage. Langfristig ist außerdem der Zukauf von Erdgas aus Norwegen realistischer als die Forderung der Grünen, die Atomkraft durch vermehrten Einsatz erneuerbarer Energiequellen zu ersetzen.

In Deutschland erklärte Gerhard Schröder schon im März letzten Jahres, er halte einen Ausstieg aus der Atomenergie innerhalb der nächsten 25 bis 30 Jahre nicht für möglich. Gleichwohl stehe die SPD zu ihrem Parteitagsbeschluß von 1985.

Nur: Der Ausstiegsbeschluß der SPD beinhaltete damals, innerhalb von 10 Jahren auf Atomstrom zu verzichten.

Nach der Wahl in Hamburg im Oktober 1997 verständigten sich dann SPD und GAL in Koalitionsgesprächen auf einen Einstieg in den Ausstieg aus der Atomkraft. Als erstes soll der Reaktor in Brunsbüttel abgeschaltet werden. Die Hamburger können dabei als Mehrheitsbeteiligte der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) ihren Einfluß geltend machen. Die HEW halten neben der PreussenElektra zwei Drittel der Anteile am Kraftwerk Brunsbüttel, das mit 20 Jahren zu den ältesten deutschen Atommeilern zählt.

Eine Kündigung des Gesellschaftervertrages ist frühestens im Jahre 2002 möglich. Dann könnten die HEW die Preag-Anteile an Brunsbüttel übernehmen und das Kraftwerk stillegen.

Hoffentlich tun sie es auch.

Die Endlösung

Rund 384 000 Kilometer von Oldenburg entfernt (Luftlinie) gibt es eine Gegend, die von ihren Entdeckern "Meer der Ruhe" genannt wurde. Hat schon mal jemand daran gedacht, wie man dieser öden Mondlandschaft etwas mehr Strahlkraft verleihen könnte - durch ein extraterrestrisches Endlager etwa? (heißt das "außerirdisch"? d.S.)

Gegenüber der von Amerikanern und Russen favorisierten Lösung auf dem Wake Atoll im Pazifik hätte diese Variante zumindest einen Vorteil: Für den Fall, daß der Meeresspiegel ansteigt (oder das Land absinkt), könnte man die Kosten für die Evakuierung des Strahlenmülls sparen, denn bekanntlich gibt es auf dem Mond kein Wasser Hier könnte der irdische Atommüll in Frieden ruhen bis in alle Ewigkeit.

tog


Diese Veröffentlichung unterliegt dem Impressum des Oldenburger Stachel. Differenzen zur gedruckten Fassung sind nicht auszuschließen.
Nachdruck nur mit Quellenangabe, Belegexemplar erbeten.


 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum