Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/98      Seite 12
 
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Tschernobyltag

26. April 1986, Tschernobyl. Vor knapp 12 Jahren geriet das vierte der in Tschernobyl in der Ukraine, nahe an der Grenze zu Belorussland, stehenden Atomraftwerke außer Kontrolle. Falsche Bedienung oder im AKW-Betreiberjargon "menschliches Versagen" war der Auslöser der folgenden Katastrophe. Das in jedem Atomreaktor weltweit schlummernde Risiko der Kernschmelze mit "Freisetzung" seines hochradioaktiven Inhalts wurde in diesem Fall zur Realität. Vor knapp 12 Jahren geriet das vierte der in Tschernobyl in der Ukraine, nahe an der Grenze zu Belorussland, stehenden Atomraftwerke außer Kontrolle. Falsche Bedienung oder im AKW-Betreiberjargon "menschliches Versagen" war der Auslöser der folgenden Katastrophe. Das in jedem Atomreaktor weltweit schlummernde Risiko der Kernschmelze mit "Freisetzung" seines hochradioaktiven Inhalts wurde in diesem Fall zur Realität.

Achtzig Prozent des Reaktorbrennstoffs, insgesamt etwa 160 Tonnen, so der damals im Krisenstab der UdSSR verantwortliche Physiker Wladimir Tschernosenko, kamen zur Kernschmelze und 50 bis 70 Mio. Curie langlebiger Nuklide wurden freigesetzt.

Weltweit ereigneten sich ähnliche AKW-Unfälle mit Kernschmelze, z. B. im EBR-1 Reaktor (1955), im Schnellen Brüter Enrico Fermi (1966) und im Leichtwasserreaktor Harrisburg (1979) - alle USA - und im schweizerischen Versuchsreaktor Lucens (1979). Im deutschen AKW Biblis A hätte es im Dezember 1978 nach einem Ventilschaden zusammen mit längerer falscher Bedienung ebenfalls durch weitere Fehler zu einer Kernschmelze kommen können. Glücklicherweise wurde das AKW rechtzeitig abgeschaltet - in Block 4 in Tschernobyl gelang die Abschaltung nicht mehr.

Infolgedessen wurden 2000 Quadratkilometern in Rußland, 1500 km2 in der Ukraine und 7000 km2 in Belorußland, zusammengerechnet knapp ein Viertel Niedersachsens, so stark radioaktiv verseucht, daß die international als Grenzwert festgelegten 200000 Becquerel pro Quadratmeter mindestens um das doppelte überschritten werden. Und bei einer Halbwertszeit von 30 Jahren für das am stärksten freigesetzte Cäsium 137 wird dies auch noch lange anhalten. Andrej Serdjuk hat Ende 95 als ukrainischer Gesundheitsminister Zahlen der Tschernobyl-Opfer genannt: 125000 Menschen seien von 1986 bis 1995 bereits an Strahlenkrankheiten gestorben. Rund vier Millionen Menschen in mehr als 2000 Städten und Dörfern wurden verstrahlt, darunter 1,5 Millionen Kinder. Noch heute lebten in der radioaktiv verseuchten Region mehr als 2,5 Millionen Menschen, sagte Serdjuk.

Weitere Zahlen liegen für Belorußland vor: Die Folge des SuperGAUs sind 400000 strahlengeschädigte Kinder alleine in Belorußland, 130000 BelorussInnen wurden umgesiedelt. Siebenmal zog die Tschernobylwolke um die Welt, ein Großteil der freigewordenen Radioaktivität (72%) wurde schon über Belorußland künstlich abgeregnet. Eine Fläche von ca. 48000 km2, entsprechend etwa der Größe Niedersachsens, wurde stark verstrahlt. In diesen 23% des Landes leben heute noch immer zwei Mio. Menschen, darunter 600000 Kinder. Von den 600000 eingesetzten Katastrophenhelfern weiß niemand, was aus ihnen geworden ist. Die ersten Helfer, die zu Beginn auf dem Dach des AKW waren, liegen sieben Meter tief auf dem Moskauer Ehrenfriedhof in Zinksärgen begraben, damit sie die Umgebung nicht verstrahlen. Ein Atommüllendlager in Moskau.

Die Krebsraten steigen rapide, 37 Krankheiten treten im Durchschnitt fünfmal häufiger als bisher auf, neue Krankheiten wie "Gedächtniskrebs" wurden entdeckt. Vom "Tschnernobylaids" sind in der radioaktiv verseuchten Zone fast alle betroffen. Die Folge ist Mattheit und große Konzentrationsschwäche. Das Immunsystem ist am Ende, weil der Körper ständig von Strahlen bombardiert wird. Leichte Krankheiten wie Erkältungen beuteln gerade Kinder oft wochenlang. So kommt es, daß die Schulstunden oft nur 30 Minuten dauern, mehr schaffen die Kinder nicht. Das Schlimmste aber ist, daß damit gerechnet wird, daß die Katastrophe noch 14 Generationen lang Tod und Elend bringen wird. WissenschaftlerInnen gehen davon aus, daß erst in 20 bis 25 Jahren der Höhepunkt der tschernobylbedingten Krankheiten erreicht sein wird.

Um an die Katastrophe, die am 26. 4. 86 in Tschernobyl begann und weltweit Auswirkungen hatte, zu erinnern und um unseren Protest gegen den unverantwortlichen Weiterbetrieb von Atomkraftwerken auch in Deutschland zu zeigen, ruft der Arbeitskreis Wesermarsch zu einer Demonstration vom Marktplatz Rodenkirchen zum Atomkraftwerk Esenshamm auf.

Demonstration am 25. 4. 98, Auftaktkundgebung um 11.30 Uhr am Marktplatz Rodenkirchen. Danach Marsch zum AKW Esenshamm. RednerInnen sind: Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake, Universität Bremen; VertreterInnen des Bremer Anti-Atom-Forums; Jörn Roggenkamp, Greenpeace

Richard Meinsen, Hans-Otto Meyer-Ott


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