Oldenburger STACHEL Ausgabe 5/98      Seite 3
 
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Behindertengerecht oder Behindertensicher?

Mit dem Prädikat "Behindertensicher" belegen Behinderte Gebäude und Einrichtungen, die aus bautechnischen Gründen, zum Beispiel wegen Treppen, für sie nicht oder nur schwer zugänglich, also vor ihnen sicher, sind. Besonders die vielen öffentlichen Gebäude, die behindertensicher sind, sind für die Betroffenen ein ständiges Ärgernis. Auch die Oldenburger Uni hat sich diese "Auszeichnung" in den Augen der meisten Behinderten redlich verdient. Und sie arbeitet eifrig daran, diesen Ruf auch zu erhalten. Während beispielsweise beim neuen Hörsaalzentrum, wenn es um Repräsentation und Attraktivität ging, keine Kosten gescheut wurden, fielen behindertengerechte Ausstattung und Bauweise dem Kostenargument zum Opfer.

Dabei wäre vielleicht gerade die Behindertengerechtigkeit des Neubaus ein Aushängeschild für die "Reformuni" Oldenburg gewesen. Zumal es mehr behinderte und chronisch kranke Studierende gibt, als die meisten denken. Dem Deutschen Studentenwerk zufolge sind 13% der Studierenden nach eigenen Angaben behindert oder chronisch krank. Als behindert bezeichnen sich dabei 2,3% und als chronisch krank 10,4 % der Studierenden. Für die Oldenburger Uni ergibt das immerhin 300 behinderte und 1350 chronisch kranke StudentInnen.

Behinderte, die sich für ein Studium in Oldenburg interessieren, wurden auch bisher schon beim ersten Besuch der Uni abgeschreckt, weil sie überall auf behindertenfeindliche Bauten, wie die nachträglich eingebauten Stufen in der Auffahrt vom Uhlhornsweg zum Mensabereich, stießen. Aber das neue Hörsaalzentrum ist an vielen Stellen ein wahres Meisterwerk moderner Behindertensicherung. Zum Beispiel der Übergang von den alten Unigebäuden (AVZ) zum Hörsaalzenturm. Neben mehreren Stufen versperrt eine schwer zu öffnende Tür den Durchgang für RollstuhlfahrerInnen und Gehbehinderte. Gehbehinderte? Ja! Denn auch für sie stellen Treppen und schwere Türen oft unüberwindliche Hindernisse dar. Überhaupt sind alle Zwischentüren nur sehr schwer zu öffnen und erfordern gerade von RollstuhlfahrerInnen oft geradezu akrobatisches Geschick. Auch den Haupteingang können sie nur mit fremder Hilfe benutzen, weil sich die Türen nicht per Knopfdruck öffnen lassen. Das ist nur bei einem separate Zugang möglich, der aber zumindest für Auswärtige kaum zu finden, da nicht ausgeschildert ist.

Selbst dort, die sogenannten Einrichtungen für Behinderte sind nicht Behindertengericht. Die Behindertentoiletten sind zwar, im Gegensatz zum Rest der Uni, für Damen und Herren getrennt und relativ groß. Aber die Sitze sind viel zu tief für RollstuhlfahrerInnen, die Armaturen für Menschen mit eingeschränkten Armfunktionen nicht zu bedienen und eine ausreichende Beschilderung, da ist mensch konsequent, fehlt.

Blinde und Sehbehinderte wurden im gesamten Gebäude überhaupt nicht berücksichtigt. Daß die Tasten im Fahrstuhl mit Blindenschrift versehen sind, ist purer Zufall. Als ein Angehöriger des Autonomen Behindertenreferates im AstA gegenügber einem Verantwortlich darauf hinwies, um aufzuzeigen, wie es auch ginge, entgegnete dieser fast schuldbewußt: "Oh, das mit den Fahrstühlen war nicht beabsichtigt. Die Firma stellt die nur mit Behindertenschrift auf den Tasten her." (Naja, vielleicht läßt sich das ja nachschlechtern. der Setzer) Aber wirklich behindertengerecht ist selbst der Fahrstuhl nicht. Dank Uni. Die Notfalltelefonnummern mußte diese nämlich selber eintragen. Natürlich ohne Blindenschrift! So daß diese im Zweifelsfall halt steckenbleiben.

Ist der große Hörsaal dann erreicht, finden die RollstuhlfahrerInnen zwar oben und unten für sie vorgesehene Stehplätze vor, auf Tische müssen sie jedoch vorläufig verzichten. Wenigstens wurde zugesichert, daß nachträglich Tische eingerichtet werden. Fragt sich bloß wann? Und wird dann auch gleich eine Rampe für die Bühne des Hörsaals gebaut? Diese ist nämlich nur über Stufen zu erreichen. Was das bedeutet, wurde bei der offiziellen Hörsaaleröffnung augenscheinlich, als ein Mitglied des autonomen Referates für behinderte und chronisch kranke Studierende mühsam diese Stufen überwinden mußte, bevor er die Rede für den AStA halten konnte. Dies verunsicherte den Architekt des Gebäudes, der anschließend eine Ansprache hielt, zwar leicht. Aber er berief darauf, daß der Bau den DIN-Normen für behindertengerechte Bauweise entspräche. Was nachzuprüfen ist, und gegen die DIN-Norm spräche, wenn es stimmt. Eine fachkundige Beratung, die das Autonome Referat während des Planungsprozesses zum Hörsaalzentrum angeboten hatte, hat die Unileitung übrigens abgelehnt. Ihr reicht die DIN-Norm.

Die DIN-Norm hält die Uni übrigens auch bei den alten Unigebäuden ein. Die gesetzlich vorgeschriebenen Quoten für Behindertenparkplätze werden bei den Naturwissenschaften in Wechloy und der Hauptuni am Uhlhornsweg beispielsweise erfüllt. In Wechloy sind diese auch in unmittelbarer Nähe zum Haupteingang angeordnet. Dieser jedoch ist nur über eine Treppe zu erreichen und damit Rollstuhl- und, nicht zu vergessen, gehbehindertenuntauglich. Der nächste ebenerdige Zugang ist mehr als 150 m entfernt. Für Gehbehinderte ein weiter Weg! Der dazu, wie beim Hörsaalzentrum, nicht ausgeschildert ist. An der Hauptuni sind die Behindertenparkplätze teilweise genauso unsinnig angeordnet. In der Tiefgarage scheinen sie nach dem Prinzip, "Möglichst weit weg vom Fahrstuhl!", angeordnet worden zu sein. Sie liegen nämlich verteilt über die Tiefgarage jeweils ganz am Rand. Die Fahrstühle selbst sind ein nicht minder großes Ärgernis. Besonders der Mensafahrstuhl ist ständig kaputt. Und dann müssen Gehbehinderte und RollstuhlfahrerInnen, bevor sie wie alle ihr Essen in der Mensa bekommen, einen Umweg über den Vorplatz, durch den Sporttrakt, durch die Cafete und schließlich per Lastenaufzug durch die Küche in Kauf nehmen. Ein Weg der gerade für Gehbehinderte oft zu weit ist. Dazu erzeugt der Fahrstuhl zur Mensa manchmal gefährliche Stufen. Ein Rollstuhlfahrer kippte bei der Benutzung mit dem Rollstuhl um und schlug mit dem Hinterkopf auf. Die Unileitung kann froh sein, daß er keine ernsthaften Verletzungen erlitt. Sonst wären hohe Regreßforderungen auf sie zugekommen.

Die Bekannteste Behindertenbarriere sind die oben schon erwähnten nachträglich eingebauten Stufen in der Auffahrt vom Uhlhornsweg zum Mensabereich. Mit der Begründung, FahrradfahrerInnen sollten daran gehindert werden, die Rampe bis zur Mensa hochzufahren, kappte die Unileitung die kürzeste Verbindung von den sich auf der anderen Seite des Uhlhornsweges befindenden Veranstaltungsräumen und Hörsälen zur Bibliothek und Mensa. Die RadlererInnen nehmen die Stufen eben mit zwei schritten, und fahren trotzdem bis zur Mensa. Die RollstuhlfahrerInnen müssen einen großen Umweg machen.

Vielleicht sollte die Uni nicht alle Nachbesserungsforderungen des autonomen Referates für behinderte und chronisch kranke Studierende kategorisch ablehnen, sondern zusammen mit den Betroffenen darüber nachdenken, wie all das sinnvoller zu lösen wäre.

Zum Schluß noch eine Bemerkung an die FalschparkerInnen auf den Behindertenparkplätzen in der Unitiefgarage und denen die ihre Fahrräder an die Geländer der Mensazugänge schließen. Auch ihr helft mit, daß der Universität Oldenburger das Prädikat "Besonders Behindertensicher" erhalten bleibt.

BeSch


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