Oldenburger STACHEL Ausgabe 9/98      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Was will ich wählen?

Ausreden nach der Wahl: "Ich dachte, es sei ein Lottoschein!" "Ich bin nun mal Rechtshänder..." "Meine Farbenblindheit..." (frisch abgeschrieben aus "ran", einer gewerkschaftlichen Jugendzeitung)

Die Jungen

Wer kann es mit Humor tragen, wenn sich da oben nicht wirklich etwas ändert? Bei dieser Wahl dürfen die ersten Mitglieder einer wirklich einzigartigen Generation an die Wahlurne. Die nach 1979 Geborenen sind die ersten, die zielstrebig von der noch im Amt befindlichen Regierungskoalition aus der Solidargemeinschaft der Versicherten ausgegliedert wurden. Denn für sie gibt es keinen Zahnersatz mehr auf Krankenschein. Ich wünsche mir, daß die Mitglieder der ersten beiden Jahrgänge, die jetzt an die Urnen zur Wahl dürfen, die Gelegenheit wahrnehmen, aus ihrem Wahlzettel einen Denkzettel zu machen.

Die Alten

Unwürdig auch, wie mit den alten Menschen umgegangen wurde (und wird). Ich habe das Beispiel einer alten Dame vor Augen, die vor einiger Zeit 75-jährig verstarb. Bereits im Reichsarbeitsdienst hatte sie für die Gesellschaft ihre Kraft gegeben. Während des Krieges arbeitete sie in einem Krankenhaus. Ich kann mich gut an ihre Erzählungen erinnern, wie sie bei Bombenalarm die Schwerkranken und die Schwerverletzten aus der Intensivstation in den Luftschutzkeller schaffen mußte. Mit einem - durch die Arbeit - kranken Rücken war das nicht leicht. Später wurde auch dieses Krankenhaus ausgebombt - während sie noch Patienten rausschaffte. Glück gehabt - großer Schrecken, kräftig verstaubt, aber unverletzt kam sie davon. Nach dem Krieg arbeitete sie als Trümmerfrau, später als Gemeindeschwester. Die Gemeindechronik begann jedoch erst mit ihrer Nachfolgerin. Sie hat viel für diese Gesellschaft getan, wollte jedoch selbst nie zur Last fallen. Deshalb war sie still, als sie nach dem Tod ihres Mannes einen Rentenbescheid von 380 DM monatlich erhielt. Immerhin: In zehn Jahren Witwendasein wurde diese Rente auf stolze 420 DM erhöht. Kurze Zeit vor ihrem Tod jedoch erlebte sie noch die Kürzung dieses schmalen Einkommens auf 400 DM. An diesem unwürdigen Umgang mit denjenigen, denen diese Gesellschaft ihren Reichtum verdankt, ist sicher nicht allein diese Regierungskoalition schuld. Doch sie trägt - insbesondere an dieser letzten Rentenkürzung - erheblichen Anteil und zur Zeit die Verantwortung.

Eine Alternative?

Bei einem der Kandidaten renne ich mit meiner Schilderung offene Türen ein. Doch es gibt noch mehr Gesichtspunkte. Niedersachsen wird derzeit von der SPD regiert. Diese stellt sich gerne ökologisch dar. Doch wie weit ist es um die Ökologie bestellt, wenn in einer Tabelle mit der Auflistung ökologisch orientierter Förderungsprogramme ausgerechnet bei als einzigem Bundesland Niedersachsen ausschließlich freie Felder zu finden sind. Hier gibt es keine Zuschüsse zur Wärmedämmung, zur Solarenergie. Obwohl auch die VertreterInnen der SPD gerne die Begriffe "Nachhaltigkeit" und "Zukunftsfähigkeit" im Munde führen. Daß diese Beobachtung der Realität entspricht, wurde vom Oldenburger Bundestagskandidaten bei einer Wahlbefragung bestätigt.

Wahlprüfstein Emssperrwerk

Das Emssperrwerk ist für mich ein weiterer Gesichtspunkt. Wenn die bisherigen Planungen realisiert werden, sollen 380 Millionen DM dorthin fließen. Nach der Auffassung der Bürgermeister von Emden und Leer werden dadurch in erheblichem Maße Arbeitsplätze in diesen Städten und den dazugehörigen Regionen gefährdet. Der Bürgermeister von Leer sprach sogar von 2000 gefährdeten Ems-abhängigen Arbeitsplätzen allein für Leer. Dietmar Schütz hierzu: "Das Emssperrwerk soll jetzt noch maximal 52 Stunden im Jahr geschlossen sein." Das Emssperrwerk wurde vom Werftbesitzer Meyer aus Papenburg erfunden. Erst seit einem legendären Gespräch von Meyer mit Gerhard Schröder gilt dieses als notwendiges Element des Küstenschutzes. Selbst nach diesem Gespräch gab es noch offizielle Äußerungen, die das Sperrwerk als Gefälligkeit für die Meyerwerft bezeichneten. Was sollen die Menschen, die nicht bei der Meyerwerft arbeiten, von diesen Vorgängen halten?

5,- DM sind nicht genug!

Immer wieder war in der jüngeren Vergangenheit der Spritpreis im Gespräch. Nach meiner Auffassung wird zu wenig berücksichtigt, daß die Treibstoffpreise ohnehin im Keller sind. Real liegen sie nach Abzug der Teuerungsrate unterhalb der Preise in den siebziger Jahren. So hat auch ein namhaftes Bundesinstitut kurz nach der Bekanntgabe des Programms von Bündnis 90 / Grüne bestätigt, daß ein Liter Benzin mindestens 4,60 DM kosten müsse. Es ist also gewissermaßen amtlich, wohin es gehen muß. Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß es möglich ist, einen zwanzig Jahre alten Jetta-Diesel unter vier Litern zu fahren, und daß unter durchschnittlichen Fahrbedingungen mit erheblichen Anteilen Stadtverkehr. Deshalb sollte die Devise nicht heißen, auf neue Technik zu warten, die dann doch niemand bezahlen kann. Es geht darum, Bewußtsein zu schaffen. Das funktioniert vermutlich jedoch nicht, indem nach Mehrheiten geschielt wird, sondern indem die vorhandenen guten Argumente konsequent und glaubhaft vertreten werden. Ein gutes Argument ist hier für mich die Studie des Ökoinstituts Freiburg, die bei konsequenter Förderung regenerativer Energiequellen und Einsparungen 3,5 Millionen Arbeitsplätze und die Möglichkeit zur baldigen Abschaltung aller AKWe CO2-neutral aufzeigt.

Frieden - die wichtigste Frage

Bei allen Diskussionen darf eines nicht außer Acht gelassen werden: Ohne Frieden ist alles nichts. Katastrophale Verhältnisse wurden uns durch das Entsetzen von Eschede vor Augen geführt. Unvorstellbar, dies hätte sich im Krieg zugetragen, und es hätte keine HelferInnen und nur noch ausgebombte Krankenhäuser gegeben. Deshalb sollten wir von dem Vertreter der Kurdischen Menschenrechtsorganisation lernen, der auf Einladung des DGB am Antikriegstag (1.9.) in Oldenburg aufzeigte, daß sowohl bei der türkischen wie bei der kurdischen Seite die Erkenntnis wachse, daß mit Gewalt keine gute Lösung für die Zukunft gefunden werden könne. Und zwar für keine Seite. Deshalb ist für mich der entscheidende Wahlprüfstein die Ablehnung von Auslandseinsätzen des Deutschen Militärs.

Gerold Korbus

 

 
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