Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/99      Seite 16
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Wir wollen Radwege!

In den letzten Jahren konnte man fast annehmen, daß die Weiterentwicklung des Radverkehrs gezielt gefördert wird, und dieser auf dem besten Wege ist, eine realistische Alternative zum MIV zu werden. Doch seit kurzem reißen die Veränderungen im Straßenverkehr Risse in dieses Bild. Immer mehr Radwege werden entwidmet und nur noch die Radwege an Hauptverkehrsstraßen bleiben bestehen.

Noch im Jahr 1997 wurde eine Novellierung der StVO begonnen, die seit dem ersten Oktober 1998 ihre volle Entfaltung zeigt. Diese Novellierung wurde des öfteren als Fahrradnovelle bezeichnet, da sie insbesondere die Verbesserung des Radverkehrs beabsichtigt. Verdient sie diese Bezeichnung? Wie paßt es dazu, daß es jetzt weniger Radwege gibt? Ist die StVO-Novelle wieder nur eine praxisferne Änderung, die den Köpfen von Bürokraten entstammt?

Die Gefahren sind offensichtlich! Radfahrer werden wieder vermehrt auf die Straße geschickt und müssen sich mit dem Kfz-Verkehr die Fahrbahn teilen. Wer fährt schon gerne auf der Straße? Da paßt auch die Beobachtung der Stadt, daß Radfahrer wiederholt regelwidrig die Gehwege benutzen. Und die Interessenvertretung der Radfahrer, der ADFC, fördert diese Abkehr von Radwegen sogar. Kann dies sein? Nur wenige Radfahrer scheinen diese Änderungen zu begrüßen!

Sicherheit auf Radwegen

Betrachten wir obige Aussagen objektiv, erkennen wir, daß sich unsere Einstellung darauf gründet, daß Radwege sicherer seien als die Straßen (schließlich wissen wir das seit Kindheit an). Aber stimmt dies auch tatsächlich? -- Nein! Tatsächlich wird diese Eigenschaft in der Realität im allgemeinen nicht erfüllt. Radwege sind in vielen Punkten nicht an den realen Radverkehr, sondern höchstens an einen nicht existenten Standardradfahrer angepaßt. Das Spektrum der Radfahrer reicht jedoch von Kindern, die das Fahren gerade lernen, über junge Menschen bis hin zu alten Leuten. Zusätzlich lassen sich Gruppen mit unterschiedlichen Fahrkünsten beobachten. Diese Diskrepanz führt zu Mängeln bei Radwegen, die Unfälle begünstigen.

Aus dem recht breiten Spektrum ergibt sich als wichtigste Anforderung, daß auf den Wegen gefahrlos überholt werden kann. Dabei muß der Platz ausreichen, um zu weniger geradlinig fahrenden (z.B. ungeübten) Radfahrern einen ausreichenden Abstand zu halten. Nun stellen wir uns eine beliebige Oldenburger Hauptverkehrsstraße vor. Typischerweise ist dort ein 1 Meter breiter Radweg vorhanden; mit Sicherheitsstreifen (dazu gehört auch die Begrünung, solange sie nicht über 50cm hoch wächst) links und/oder rechts reicht das, um die erforderliche Mindestbreite von 1,5m zu erlangen. Stellen wir uns vor, es ist 7 Uhr 30. Etliche Radfahrer befinden sich (meist in Pulks) auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule. Um zu überholen, muß auf den Fußweg ausgewichen werden. Auch bei den nicht seltenen und fast immer unzureichend gekennzeichneten Baustellen auf Radwegen wird man auf den Fußweg gescheucht, wo man direkt an den Grundstücksausfahrten vorbeirauscht. Jetzt kommt die Querstraße und ein Autofahrer möchte aus dieser raus. Entsprechend der verbreiteten Meinung, daß man als Autofahrer dabei die Hälfte des Radwegs beanspruchen dürfte, bleiben jetzt nur 50cm und das Herumbalancieren um den Wagen herum. Wenn jetzt (beispielsweise) Schüler auf dem letzten Drücker unterwegs sind, fahren sie dabei nicht selten 30km/h oder mehr. Dabei denken sie nicht daran, daß die Radwege für solche Geschwindigkeiten nicht ausgelegt sind.

Wer jetzt immer noch denkt, daß Radwege sicher seien, der sollte sich beliebige Studien zur Verkehrsforschung und Radverkehr durchlesen. Praktisch jede wird auf die Gefahren von Radwegen hinweisen. In allgemeinen Untersuchungen werden die Konflikte an Kreuzungen und Einmündungen (inklusive Grundstücksausfahrten) fast immer genannt. Diese sind gerade in der Stadt am häufigsten. Weitere typische Punkte sind die mangelnde Akzeptanz als Verkehrsweg. Radwege werden oft mit Autos, Mülltonnen und anderen Dingen zugestellt und Fußgänger treten wesentlich häufiger ohne Rücksicht auf den Radweg als auf eine Straße.

Komfort?

Tatsächlich kann man jeden Punkt, der Radwege gefährlich macht, durch umsichtige und vorausschauende Fahrweise ausgleichen. Doch ist dies auf Dauer alleine nicht akzeptabel. Für den Kfz-Verkehr werden Straßen auf 50km/h oder mehr ausgelegt. Das Überholen ist auf den meist zweistreifigen Straßen oft nur durch den Gegenverkehr beschränkt. Diese gute, vorausschauende Planung ist auch für den Radverkehr möglich und vor allem nicht teurer. Radwege, die wie Autobahnen kreuzungsfrei und mehrspurig gebaut werden, brauchen nicht mehr Platz als einspurige Straßen und für gleiche Stabilität reicht ein einfacherer Unterbau. Erst unter solchen Bedingungen kann die Sicherheit drastisch erhöht werden.

Radwegebau setzt man oft mit Radverkehrsförderung gleich. Auch dies ist mehr Wunsch, denn Realität. Wenn Radfahrer auf eigenen Wegen fahren, hat dies in erster Linie Vorteile für den MIV, da nur noch Kfz unterwegs sind, die alle die gleiche Geschwindigkeit erreichen. Der Radfahrer aber bekommt einen qualitativ drittklassigen Weg. Dies ist umso schwerwiegender, da Räder im Gegensatz zu Autos ungefedert sind. Auch bei der Streckenführung muß man immer wieder Nachteile (Verschwenkungen und unübersichtliche Kreuzungen) in Kauf nehmen. Wenn schon die äußeren Bedingungen (Straßenbelag und Linienführung) für Kfz-Verkehr besser sind als die für den Radverkehr, dann fällt es leicht, sich wieder für das an sich komfortablere Fahrzeug entscheiden.

Selbstbewußt und sicher aber nicht leichtsinnig sollten sich Radfahrer auf die Straßen begeben. Selbstbewußt bedeutet, so zu fahren, daß andere früh erkennen können, wohin man will. Das bedeutet, sich nicht an den Rand drängen zu lassen, denn dies veranlaßt Kraftfahrer oft, mit zugeringem Abstand zu überholen. Sicher heißt, ein sicheres Fahrrad zu benutzen und selbst dieses in allen erdenklichen Situationen zu beherrschen. Derzeit sieht man viele lieber auf den "sicheren" Rad- und Fußwegen fahren: sicherer Leichtsinn. Es gilt vielmehr in Zukunft das Miteinander zu praktizieren.

Fazit

Der Weg, der mit der Fahrradnovelle eingeschlagen wurde, führt in die richtige Richtung: mehr Komfort und mehr Sicherheit. Bleibt zu hoffen, daß in Zukunft bei der Umsetzung der die Novelle begleitenden Richtlinien der Blick dabei mehr auf dem Radverkehr liegt, und daß sie nicht in mangelhaften Kompromissen steckenbleibt.

Marco

 

 
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