Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/99      Seite 15
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Die Renten sind sicher - in der Schweiz

Ein Reformvorschlag für die Alterssicherung

"Eins ist sicher: Die Renten sind sicher" - dieses geflügelte Wort des ehemaligen Ministers Blüm hat am Ende nur noch Heiterkeit hervorgerufen. Zu offensichtlich ist geworden, daß die demographische Entwicklung und die zunehmende Arbeitslosigkeit dem deutschen Rentensystem den Garaus machen wird. Die Basis seiner Finanzierung ist allein die Lohnarbeit, und die wird immer dünner. Immer mehr alten Leuten stehen immer weniger Lohnabhängige gegenüber; und von den (noch) Beschäftigen werden immer weniger einen Normalarbeitsvertr ag besitzen und Rentenbeiträge bezahlen. Als Antwort auf die Frage der Rentensicherung hatten konservative Politiker und Arbeitgeberverbände nur den "Rat" zu bieten, die Menschen sollten selber vorsorgen und sich privat versichern. Die zunehmenden Masse der armen Alten, die gerade auf eine Solidarrente angewiesen wäre, kann diese Empfehlung nur als zynischen, gewissenslosen Hohn bewerten.

SPD und Grüne hatten in der Opposition die Gefahren für die Rentenfinanzierung klar benannt und waren als Regierungsparteien angetreten, die Renten auf eine sichere Basis zu stellen. Leider ist in den bisherigen Reformvorhaben von einer solchen Absicht nichts mehr zu erkennen. Das eine Loch wird durch das Aufreißen eines anderen Loches gestopft. Wenn die Menschen mit 630-DM-Verträgen in Zukunft Rentenbeiträge und keine Steuern mehr bezahlen, werden diese Staatseinkünfte z.B. bei den Zuschüssen zur Rentenversicherung fehlen.

Der Darmstädter Familienrichter Jürgen Borchert hat anhand des Rentensystems der Schweiz einen Reformvorschlag entworfen, der den Renten eine neue finanzielle Basis sichern würde (siehe Süddeutsche Zeitung 4.1.99 / Er hat zusätzlich den Charme, trotz seines für Deutschland revolutionären Charakters überhaupt nicht utopisch, sondern völlig realistisch und althergebracht zu sein. Wer wird denn schon behaupten, in unserem reichen Nachbarländle gebe es viele Umstürzler und Antikapitalisten... Wir Stachler konnten es uns deshalb nicht verkneifen, Borcherts Stellungnahme auszugsweise zu zitieren:

Schlechte Aussichten

"Die Verteilung von Lasten und Leistungen stimmt nicht mehr. Zudem wird schon in knapp einer Dekade ein Alterungsprozeß der Bevölkerung einsetzen, der ohne Beispiel in der Geschichte ist. Erwartet wird ein Verlust an wirtschaftlicher Dynamik bei gkeichzeitig explodierenden sozialen Lasten. Die Anforderungen an die Nachwuchsgeneration steigen, zugleich sinken aber ihre Aussichten, einst in ähnlicher Weise versorgt zu werden. Wie der Generationenkonflikt in einer Gesellschaft gelöst werden kann, in der die Jahrgänge über 55 die erdrückende Mehrheit stellen, weiß keiner.

Das alles macht die Reform der Alterssicherun g zur mit Abstand wichtigsten Aufgabe der 14. Legislaturperiode. Doch die neue rot-grüne Koalition hat den Ernst der Lage offenbar noch nicht erkannt. Mit dem Sammelsurium ihrer ersten Maßnahmen verschlimmert sie vorhandene Fehler noch. .... " Ein System für alle!

"Es fehlt offenbar ein Konzept. ... Fragt man nach den Ursachen für die Probleme, die unter den Stichworten "versicherungsfremde Leistungen", "Scheinselbständigkeit" und "geringfügige Beschäftigung" diskutiert wurden, so kann die Antwort nur lauten: Der Grund liegt im gegliederten System sozialer Sicherung. Mit einem einheitlichen System für die Gesamtbevölkerung hätten wir diese Schwierigkeiten nicht. Also kann die Lösung auch nur hier ansetzen: ein System für alle.

Zweite Frage: Was ist die Ursache der zunehmenden Finanzierungsschwierigkeiten? Die Anwort: Nichts anderes als das Sinken der Lohnquote. Die stets bezichtigte Arbeitslosigkeit ist selbst nur ein Symptom, und der demographisch bedingte Anstieg der Lasten steht erst noch bevor. Dann kann die Lösung aber nur darin bestehen, daß wir die Finanzierung nicht mehr allein auf die Arbeitseinkommen bauen, sondern alle personengebundenen Einkommen solidarpflichtig machen. Dabei folgt aus dem Gebot der Lastengerechtigkeit zugleich die Notwendigkeit, die Beitragsbemessungsgrenzen aufzugeben. Der immer wieder zu hörende Einwand, daß dann ja auch die Rentenleistunge n unbegrenzt gewährt werden müßten, geht fehl. Denn der verfassungsrechtliche Kern der Sozialversicherung ist das Solidarprinzip, nicht das Eigentum. Dem muß das System deshalb auch auf der Leistungsseite Rechnung tragen. Soll es seine Funktion erfüllen und Kohäsion schaffen, zwingt das also zur Einrichtung eines Korridors von Mindest- und Maximalsicherung.

Schweiz: Weniger Beitrag, mehr Rente

.... Was ein so konstruiertes System zu leisten vermag, kann man am Beispiel der Schweizer "Alters- und Hinterlassenversicheru ng" (AHV) studieren...: Trotz viel niedrigerer Beitragssätze viel höhere und gleichmäßiger verteilte Renten. Die Schweiz hat ein einheitliches System für alle, und dort sind alle personengebundenen Einkommen ohne Grenzen beitragspflichtig; die Mindestrente beträgt 1000 Franken, die Maximalrente 2000 Franken. Obwohl der Beitragssatz mit 10,1 Prozent nicht einmal halb so hoch ist wie der unsrige, lagen die Rentenleistungen in der Schweiz 1997 mit Durchschnittsbeträgen von umgerechnet 1963 DM (Frauen) und 1988 DM (Männer) nicht nur dichter beieinander, sondern sogar weit über dem (west-)deutschen Niveau (Männer 1871 DM, Frauen 812 DM). Damit zeigt sich zugleich, daß das Schweizer System auch das Problem der Frauen gelöst hat, das in unserem System nicht widerspruchsfrei lösbar ist. Für die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses und die Folgen der Globalisierung ist die Schweizer Konstruktion im übrigen schon deshalb weitaus weniger empfindlich, weil die Einnahmebasis viel breiter ist. Sinken nämlich die Beitragseinnahmen aus der Lohnquote, dann kann das auf der anderen Seite durch die womöglich steigenden Dividenden kompensiert werden. Damit sorgt die AHV für eine ungleich fairere Verteilung und ein deutliches Mehr an sozialer Kohäsion, was wohl auch der entscheidende Grund dafür ist, daß die AHV in der Schweiz bei allen Umfragen stets die höchstmögliche Akzeptanz erhält." (SZ 4.1.99)


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