Oldenburger STACHEL Ausgabe 3/99      Seite 6
 
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"Ich saß aus Gewissensgründen auf der Schiene"

Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid

Vor gut einem Jahr saß Käthe Nebel, 68, zusammen mit vielen Anderen auf den Schienen in Ahaus, um gegen die Nutzung der Atomenergie zu demonstrieren. Im letzten Dezember hat sie deswegen einen Bußgeldbescheid über 400,- DM plus Gebühren bekommen, gegen den sie verständlicherweise Einspruch erhoben hat. Sie hat uns erlaubt ihre Begründung zu veröffentlichen, was wir hier - in leicht gekürzter Form - dankbar annehmen.

Ich saß aus Gewissensgründen auf den Schienen. Ich denke, die sogenannte friedliche Nutzung der Atomkernspaltung ist zu gefährlich: Beim Abbau des Urangesteins in den entsprechenden Bergwerken werden die ersten Menschen durch den Staub kontaminiert.

Bei der Urananreicherung zwecks Füllung der Brennstäbe (Fabrikation in Hanau) bestehen wieder viele Möglichkeiten der Kontamination, und jetzt fällt auch der erste hochgradig strahlende Atommüll an. Dann müssen die gefährlichen Brennstäbe über Schiene und Straße zu dem Atomkraftwerken transportiert werden. Die Atomkraftwerke selbst sind auch Verseucher: Über Abluft und Kühlwasser geben sie ununterbrochen Radioaktivität in die Umwelt ab. Kleinere und größere Störfälle und Unfälle gibt es laufend.

Zweimal hat es in der Welt bisher den "größten anzunehmenden Unfall" - den GAU - gegeben : 1978 in Harrisburg in den USA und 1986 in Tschernobyl in der Ukraine. Wissenschaftliche Wahrscheinlichkeitsrechnungen zu jener Zeit hatten ergeben, daß ein solcher GAU "nur" alle 10.000 Jahre einmal geschehen würde. Nun waren schon zwei da!

Die Atomkraftwerke Deutschlands (und die der ganzen Welt) produzieren laufend abgebrannte Uran-Brennstäbe. Diese kommen zuerst in sogenannte Abklingbecken auf dem Gelände des AKWs. Auch dieses Becken und sein Wasser verstrahlen mit der Zeit so sehr, daß auch sie zum Atommüll zu rechnen und zu entsorgen sind.

Die Brennstäbe aus diesen Becken müssen wiederum per Schiene, Straße und Schiff zu den Aufbereitungsanlagen transportiert werden.

In Europa gibt es davon zwei: La Hague in Frankreich und Sellafield in England (früher Windscale). Bei der Aufbereitung entweicht wiederum sehr viel Radioaktivität in die Umwelt.

Hier entsteht nun auch der übelste Teil der Atomkernspaltung: der Atommüll. Er muß "entsorgt" werden, am besten in einem absolut sicheren "Entsorgungspark". Er muß "endgelagert" werden, weil er über Jahrtausende hinweg lebensvernichtend weiter strahlt. Er darf nicht zu Luft und nicht zu Wasser Kontakt bekommen.

Anfang der 50er Jahre hatten die Amerikaner beschlossen, daß der Mariannengraben im Pazifik der beste "Endlagerungsplatz" der Erde sei. In rund 3000 m Tiefe versenkten sie ihren in Zement verpackten hochstrahlenden Atommüll. Wir dürfen gespannt sein, wann von dorther die ersten Meldungen von verstrahltem Meerwasser kommen werden.

Zu bedenken ist auch, daß nach rd. 30 Jahren ein Atomkraftwerk stillgelegt werden muß. Dann ist der Core so verstrahlt, daß dort keine Menschen mehr arbeiten können. Das ganze Werk muß abgebaut werden und eine Riesenmenge endgelagert werden.

Wieso man uns immer wieder einreden will, Atomstrom sei so billig, ist mir schleierhaft! Vielleicht weil für die Atommüll-Endlagerung der Staat zuständig ist, die Endlagerung also nicht von der Atomindustrie bezahlt werden muß. Sondern von uns allen aus dem Steueraufkommen. Hinzu kommt, daß keine Versicherung der Welt einen GAU versichert. Die Dummen sind die, über die die Strahlung hernieder geht.

Also: Ich saß auf den Schienen, weil ich gegen diesen ganzen Atomwahnsinn bin!

Am 20.3.98 haben wir in Ahaus protestiert, und die Polizisten haben - dicht neben den Castoren gehend- diese geschützt. Was wir damals alle nicht wußten: Sie haben unter dem Einsatz ihrer Gesundheit, ihres Lebens geschützt. Denn Ende Mai 98 kam es ans Tageslicht: Die Castoren waren verstrahlt. Die Grenzwerte wurden bis zum 3450fachen überschritten. Am späteren Krebs steht nicht dran: Verursacht von der radioaktiven Strahlung am 20.3.98!

Und die Atommafia hat natürlich nichts davon gewußt! - Wer gehört hier bestraft ? Wir, die Demonstranten, oder die Atom-Chefs in den höchsten Etagen?

Hier noch ein Grund, weshalb ich aktiv in der Anti-Atom-Bewegung bin: Ich (Jahrgang 1930) wuchs als Nazikind auf. Was der "göttliche Führer" und "die da oben" verkündigten, wurde von mir und den Menschen um mich herum blindlings geglaubt. Wir landeten dann verdientermaßen in der Katastrophe. Ich schwor mir 1945 nie wieder blindlings zu glauben. Und ich glaube nicht, daß die sog. friedliche Nutzung der Atomspaltung ungefährlich ist.

Ein Grund, weshalb ich Einspruch gegen meinen Bußgeldbescheid erhebe ist auch noch folgender: Man hat uns stundenlang im Kessel gefangen gehalten. Wir konnten keine Toiletten aufsuchen und die Leute pinkelten in den Gulli. Im Kessel befand ich mich auf der Seite zum Ortskern hin. Plötzlich fielen auf der gegenüberliegenden Seite des Kessels die Polizisten über die friedlich Sitzenden her. Weil es weiter weg war, konnte ich Einzelheiten nicht erkennen, hörte aber Schreckensschreie. Warum die Polizisten plötzlich auf die Leute eindroschen war rätselhaft. Und eben so plötzlich war der Spuk auch wieder vorbei. Die Polizisten kehrten zum Kesselrand zurück und standen wieder ruhig da. Die niedergewalzten Menschen im Kessel rappelten sich wieder auf. Um mich herum hörte ich sagen, das seien "die Berliner", womit ausgedrückt wurde, das seien Brutalos. Derartiges hatte ich auch mal auf einer Demo gegen den Castor in Gorleben gehört, da waren es "die Berliner und Magdeburger" gewesen. Ich war damals mit betroffen und erinnere mich, was für harte Gesichter und kalte Augen diese Männer hatten als sie auf uns absolut ruhig und friedlich Dasitzende losprügelten.

Ich habe mich später gefragt, wie es in der Seele eines solchen Mannes aussehen muß, der auf Befehl auf friedliche, unbewaffnete Menschen eindrischt. Ich denke, er muß eine besondere Schulung durchgemacht haben, um so brutal sein zu können. Oder vielleicht melden sich sadistisch veranlagte Männer zu solchen Jobs? Ich muß dann an die Quäler und Quälerinnen in den damaligen deutschen KZs denken, Auch sie mißhandelten wehrlose, friedliche Menschen - dort allerdings mit Todesfolge.

Und was sind das für Polizeioffiziere, die ihrer Manschaft den Befehl geben, 10 Minuten lang auf die friedlichen Menschen einzuprügeln? Was, um alles in der Welt, wollen sie denn damit bezwecken?

Zurück nach Ahaus: Im Bus saßen und fuhren wir wiederum lange, lange Zeiten ohne Toilette. Manche waren auch sehr fest mit der Plastikfessel gefesselt (aber anscheinend nur einzelne). Was sollte diese ganze Fesselei?

Dann saßen wir wieder stundenlang im Bus vor dem Gefängnis in Rheine, bevor wir kriminaltechnisch behandelt und eingesperrt wurden. Wer mußte, durfte jetzt aber zur Toilette gehen, telefonieren durften die Leute auch. Es gab lange nichts zu essen und zu trinken. Ich selbst habe darunter nicht gelitten. Aus der Zeit der Russenbesetzung im Osten kannte ich Hunger, Durst und Willkür in schlimmster Form, so daß ich das hier spielend ertragen konnte. Aber für all die jungen Leute hier war es doch ein sehr bedrückendes Erlebnis. Dann gab es Essen und Trinken im Bus. Man hörte, daß die PolizistInnen es von ihren Rationen für uns gespendet hatten. Ein Lichtblick in all dem Unerfreulichen!

Als wir dann endlich in der Gefängniszelle waren, waren die Castoren schon im Zwischenlager Ahaus angelangt. Nun hätte man uns ja eigentlich gehen lassen können! Aber wegen "Gefahr im Verzuge" wurden wir bis zum nächsten Morgen gefangen gehalten. Das ist doch Freiheitsberaubung!

Und auch folgendes kann ich überhaupt nicht verstehen: 7 Frauen und 9 Männer aus Oldenburg haben Bußgeldbescheide erhalten. Die 9 Männer haben dann eine Mitteilung über die Einstellung ihres Verfahrens erhalten, aber die 7 Frauen müssen zahlen.

Ich bin sicher, daß da was in der Bürokratie der Gerichtsbarkeit in Borken schiefgelaufen ist. Vielleicht wollte man alle Verfahren einstellen, und ein Büromensch, der die weiblichen Gefangenen bearbeitete hat geschlafen.

Ich denke, in Anbetracht dessen, daß wir Demonstranten ein politisches und kein kriminelles Anliegen haben und wir viele Stunden lang unserer Freiheit beraubt wurden, und die Atommanager - in deren Interesse sich die Polizei mit uns beschäftigen mußte - kriminell

Gehandelt haben, indem sie die Verstrahlung der Castoren verschwiegen haben, sollte die Gerichtsbarkeit unsere Verfahren einstellen und uns in Ruhe lassen!

Ich möchte hier bei meiner Einspruchsbegründung, die teilweise auch eine Schilderung der Begebenheiten geworden ist auch sagen, daß ich persönlich mich nicht über eine schlechte Behandlung seitens der Polizistinnen und Polizisten, mit denen ich zu tun hatte, beklagen kann. Man ist immer korrekt und freundlich zu mir gewesen. Vielleicht hat auch so manche Polizistin und mancher Polizist in seinem Herzen mit unserem Anliegen übereingestimmt, meint aber, daß er seinen Job machen muß.

Käthe Nebel

 

 
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