Oldenburger STACHEL Ausgabe 12/99      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Eichel spart, Gemeinden zahlen

SPD und Grüne: Arbeitslosen überhaupt nicht grün

"(Nach einem Referat von Rainer Müller, Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg/Wesermarsch.)

Egal, welche Hoffnung mensch bei der Wahl der rot-grünen Regierung hatte, egal, wie mensch jetzt zu ihr steht, egal, welche Hoffnung mensch diesbezüglich noch für die Zukunft hat, Fakt ist:"Egal, welche Hoffnung mensch bei der Wahl der rot-grünen Regierung hatte, egal, wie mensch jetzt zu ihr steht, egal, welche Hoffnung mensch diesbezüglich noch für die Zukunft hat, Fakt ist:

Für Erwerbslose und SozialhilfebezieherInnen gibt es keine Rücknahme der vielen Verschlechterungen aus 16 Jahren Kohl. Lediglich einige kleine Bonbons gab es für die Arbeiterschaft, wie z.B. die Wiederherstellung des Kündigungsschutzes und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Große Enttäuschung und Wut herrschen in den Arbeitslosenzentren, wo doch auch viele WählerInnen und ein Teil der WahlkämpferInnen der neuen Regierung sich versammeln.

Kein Erbarmen mit den Armen

Drauf gesetzt wird jetzt noch das Eichelsche Sparpaket, das am 1. Januar 2000 in Kraft treten wird. Mehr als ein Viertel der gesamten Sparsumme, nämlich 27 Prozent oder 8,1 Milliarden DM, sollen im nächsten Jahr allein von den Erwerbslosen aufgebracht werden. Diese 8,1 Milliarden ergeben sich aus folgenden Maßnahmen:

• Die jährliche Anpassung aller Lohnersatzleistungen wie Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld an die allgemeine Nettolohnentwicklung findet nicht statt. Stattdessen werden die Zahlungen nach einer geschätzten "Inflationsrate" erhöht, wahrscheinlich um 0,6 bis 0,7%. So sollen 1,8 Milliarden DM Bundeszahlungen an die Arbeitslosenkassen eingespart werden. Anscheinend geht die Regierung von einer allgemeinen Lohnerhöhung von ca. 4% im Jahr 2000 aus. Von der Abkoppelung dieser Einkommensentwicklung soll die Sozialhilfe genauso betroffen sein: Die Eckregelsatzerhöhung zum 1.7.2000 würde dann nur ca. 3 bis 4 Mark betragen.

• 4,5 Milliarden DM will die rot-grüne Regierung einsparen, indem sie die Berechnungsgrundlage für die Beitrage des Arbeitsamtes an die Rentenversicherung und an die Krankenkassen der Pflichtversicherten reduziert. Wurden die Beiträge bisher nach 80% der vorherigen Bruttolohnes berechnet, so soll jetzt allein die Höhe der ausgezahlten Lohnersatzleistungen Grundlage sein. Und die Milliarden, die den Krankenkassen fehlen, müssen natürlich auch wieder eingespart werden.

• Eine Milliarde DM soll durch Streichung der originären Arbeitslosenhilfe aufgebracht werden. Diese Hilfe bekam bisher, wer noch nicht länger als ein Jahr gearbeitet und noch kein Anrecht auf Arbeitslosengeld erworben hatte. Treffen wird die Streichung junge Leute mit äußerst geringen Einkommen, wie jüngere JobberInnen mit Gelegenheitsarbeiten, Zivildienstleistende, Referendare ohne Aussicht auf eine Stelle etc. Sie werden so zu reinen SozialhilfeempfängerInnnen gemacht. Die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe ist ein ganz altes Projekt der Kohl-Regierung gewesen, die SPD hatte sie immer wieder verhindert. Kaum an der Macht, hat sie nichts Besseres zu tun, als diese CDU-Politik fortzusetzen. Aber wer weiß, vielleicht wird die Streichung dieses Mal von der CDU-Opposition verhindert werden. Denn dieser Maßnahme muß erst noch der Bundesrat zustimmen, andernfalls tritt sie nicht in Kraft.

• 0,8 Milliarden DM Einsparungen sieht der Eichel-Plan bei den Strukturanpassungsmaßnahmen-Ost vor. Wessi-gemäß soll an dieser Stelle nichts weiter dazu ausgeführt werden.

Wem dient Rot-grün?

Ca. 8 Milliarden DM sollen bei den Arbeitslosen eingespart werden. Genau dieselbe Summe, nämlich acht Milliarden Mark, versprach die Bundesregierung den deutschen Unternehmen als Entlastung im Jahr 2000 im Rahmen der Unternehmenssteuerreform (siehe NWZ 16.11.99). Zusätzlich überlegt die Bundesregierung, die geplante Verschärfung der Abschreibungsbedingungen für Investitionen noch einmal zu überdenken. "Deutlich niedriger" werde die Belastung der Firmen ausfallen, versprach der SPD-Fraktionsvize. Möglicherweise verzichte die Koalition sogar auf ihr Vorhaben. Die Grüne Vorsitzende des Finanzausschusses Scheel meinte dazu, die 2,2 Milliarden DM, die dem Fiskus dadurch entgingen, seien verkraftbar. (siehe NWZ 1.12.99) Arbeitslose, die jede Mark dreimal umdrehen und die jene Steuergeschenke erst noch "ersparen" müssen, werden dieses zweierlei Maß mit Zähneknirschen zur Kenntnis nehmen. Zu ihrem Wohl ist die rot-grüne Regierung in Berlin offensichtlich nicht tätig. Müssen sie ja außerdem noch die zusätzlichen Belastungen der Ökosteuer verkraften, die ihnen _ im Gegensatz zu den Unternehmen und Beschäftigten- nicht durch Erleichterungen an anderer Stelle vergolten werden.

Was kostet's die Arbeitslosen?

ArbeitslosenhilfebezieherInnen sind zumeist Langzeitarbeitslose. Denen werden die Leistungen jetzt schon um ca. 2% pro Jahr gekürzt. Die vorgesehene Anpassung gemäß Inflationsrate hebt diese Kürzung nicht auf. Nach dem Geschäftsbericht der Bundesanstalt für Arbeit betrug die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe 1997 im Westen 1022 DM. Die Eichelschen Sparmaßnahmen kosten die Langzeitarbeitslosen also noch zusätzlich 20 DM im Monat.

Was kostet's die Kommunen?

Gehen wir von einer für Oldenburg günstigen Schätzung aus und nehmen an, daß nur die Hälfte der von den Kürzungen Betroffenen schon in irgendeiner Form Hilfe zum Lebensunterhalt bezieht oder jetzt die Grenze zur Anspruchsberechtigung unterschreitet; berechnen wir die monatlichen Zusatzkosten für die Kommune mit 15 DM pro AntragstellerIn; legen wir die aktuellste Zahl des Arbeitsamtes zugrunde, die besagt, daß in Oldenburg 3.800 Menschen Arbeitslosenhilfe beziehen; das würde bedeuten, daß das Sozialamt nur für diese Eichelsche Einsparung jährlich 340.000 DM mehr bezahlen müßte. Im Landkreis Wesermarsch wären die vergleichbaren Zusatzkosten 150.000 DM.

Altersarmut programmiert

Durch die Reduzierung der Bemessungsgrundlage für die Beiträge des Arbeitsamtes in die Renten- und Krankenkassen von bisher 80% des vorherigen Bruttolohnes auf den Zahlbetrag der Arbeitslosenhilfe sollen im Jahr 2000 4,5 Milliarden DM eingespart werden. Doch hiermit wird die spätere Altersarmut der Langzeitarbeitslosen schon vorbereitet. Die eingesparten Kosten werden lediglich in die Zukunft verschoben. Ohne Sozialhilfe werden diese Menschen nicht leben können. Die auf ein Jahr bezogene Rente für Langzeit arbeitslose sinkt nämlich auf diese Weise _ je nach Steuerklasse und Familiensituation _ um 40 bis 60 %. Ein Arbeiter, der vor der Arbeitslosigkeit 3.000 DM brutto verdient hatte und der Steuerklasse 1 zugeordnet ist, würde z.B. bei einem Jahr Arbeitslosenhilfebezug mehr als 15 DM monatliche Rente verlieren. Besonders schwer trifft die neue Regelung die Frauen: Da das in der Regel höhere Einkommen ihrer Männer auf ihre Arbeitslosenhilfe angerechnet wird und nur noch die real vom Arbeitsamt erhaltene Summe für die Rente zählt, sinkt die Bemessungsgrundlage für ihr späteres Altersgeld ins Bodenlose.

Die im Jahr 2000 bei den Arbeitsamtszahlungen eingesparten Milliarden fehlen natürlich in den Krankenkassen. Das hat entweder eine Leistungsverschlechterung zur Folge oder eine Erhöhung der Beiträge. Für die Kommunen bedeutet das eventuell, daß sie bei SozialhilfebezieherInnen Zusatzbeiträge für eine "freiwillige" Krankenversicherung übernehmen müßten.

Keine originäre Hilfe _ Oldenburgs Kosten

Die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe soll eine Milliarde DM in Eichels Bundesschatz bringen. Für die Betroffenen bedeutet das, daß sie Sozialhilfe beantragen und auf Föderungsmaßnahmen des Arbeitsamtes wie ABM verzichten müssen; auch sind sie nicht mehr krankenversichert. Die Stadt Oldenburg wird das auch einiges kosten: Rechnet man Bundesschätzungen (65 000 Betroffene) anteilig auf Oldenburg herunter, so ist hier von mindestens 140 Betroffenen auszugehen. Die durchschnittlichen Kosten des Arbeitsamtes pro BezieherIn originärer Arbeitslosenhilfe belaufen sich auf ca. 1.300 DM im Monat. Angenommen, die Hälfte der von einer Streichung Betroffenen geht anschließend zum Sozialamt, so müßte Oldenburg nur für diese Maßnahme jährlich 800.000 bis 840.000 DM draufzahlen. Für den Landkreis Wesermarsch hieße das 400.000 bis 480.000 DM an zusätzlichen Kosten.

Jetzt schon hat die Stadt Oldenburg die Auflage von der Bezirksregierung, im Jahr 2000 die Schuldenlast um 20 Millionen DM irgendwie zu senken. Was die von Berlin aufgedrückten zusätzlichen Ausgaben an weiterem Spardruck erzeugen werden, kann mensch sich nur ausmalen.

Wohngeldabwälzung

Weiterhin plant die rot-grüne Bundesregierung, die Kosten des pauschalierten Wohngeldes für Sozialhilfeberechtigte auf die Gemeinden zu übetragen. So sollen im nächsten Jahr 2,255 Mrd. DM eingespart werden. Für die Kommunen ist diese Absicht der dickste Hammer: Für die Städte und Gemeinden Niedersachsens kämen nur dadurch jährliche Mehrausgaben von 245 Millionen DM zusammen. Bei einem durchschnittlichen pauschalierten Wohngeld von 152 DM bedeutete das für den Landkreis Wesermarsch (4 300 Personen) Mehrausgaben in Höhe von 7,84 Mio. DM. Da das Land Niedersachsen die andere Hälfte trägt, bleiben 3,9 Mio. DM zusätzlich zu finanzieren. Für die Stadt Oldenburg mit ihren 8900 Berechtigten wären das acht Millionen zusätzliche Pflichtausgaben.

Kostenlawine durch Sparpaket

Angesichts der dramatischen Kostensteigerungen für die Kommunen argumentiert die Bundesregierung, diese würden durch Minderausgaben im Gefolge des Sparpakets wieder ausgeglichen werden. Diese Behauptung widerlegt der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund: Mehrausgaben in Höhe von insgesamt 373 Mio. DM stünden nur Minderausgaben von insgesamt 189 Mio. DM gegenüber. Dabei seien mitgerechnet 29 Mio. DM, die durch die faktische Nichtanpassung der Sozialhilfe eingespart werden, und 22 Mio. DM, die durch die Kindergelderhöhung in die Kassen der Kommunen fließen; denn gerade den SozialhilfebezieherInnen, die das Kindergeld am dringendsten bräuchten, wird es von den Städten und Gemeinden vorenthalten (siehe Offener Brief der ALSO an die SPD, Seite ).

Rechnet man nun alle zusätzlichen Ausgaben zusammen, die das rot-grüne Sparpaket den Kommunen aufbürdet, so ergibt sich für Oldenburg eine Mehrbelastung von ca. 5 Millionen DM im Jahr 2000. Der Landkreis Wesermarsch müßte 2,5 Millionen DM mehr aufbringen.

Mögliche Konsequenzen im Bereich der Stadt Oldenburg lassen sich leicht vorhersagen:

• In der Stadtverwaltung werden neue Phantasie und Kreativität beim Auffinden von Einsparmöglichkeiten im Bereich der Sozialhilfe freigesetzt werden.

• Die einmaligen Beihilfen werden verringert oder gestrichen werden.

• Die Versuche, Menschen von einem Antrag auf Sozialhilfe abzuschrecken, werden weiter zunehmen.

• Die Kampagne gegen angeblichen Mißbrauch der Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird verschärft werden.

Die gesamte Tendenz drückt aus, daß auch diese Bundesregierung die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe im Plan hat.

achim

(Dieser Text wurde erstellt aufgrund von handschriftlichen Notizen, die mir von Rainer Müller nach seinem Referat am 29.11.99 zur Verfügung gestellt wurden. Die Daten entsprechen exakt den Angaben Rainer Müllers, der Wortlaut des Referats wurde nach Erinnerung unter Einbeziehung der Stichworte des Referenten aufgeschrieben.)

 

 
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