Oldenburger STACHEL Ausgabe 12/99      Seite 13
 
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Sind Heimträger sind Geiselnehmer?

Professor Dr. Dr. Klaus Dörner (Universität Hamburg) sprach zur Situation und den Aussichten in der Psychiatrie im Kardinal von Galen Haus der Heimvolkshochschule Stapelfeld, Cloppenburg. Er ist durch eine Vielzahl von einschlägigen Veröffentlichungen bekannt, so auch zur Psychiatrie im Faschismus.

Nach seiner Ansicht wird zukünftig die stationäre Aufenthaltsdauer weiter sinken, eingeengt auf die Zeiten akuter Krisen. Es gibt genügend Leute, die darauf achten, daß die Verlagerung zur preiswerteren Ambulanz tatsächlich stattfindet.

Auflösen ist möglich

Während in Großbritanien fünfzig Prozent der Großkrankenhäuser geschlossen wurden, sind in der Bundesrepublik alle weiter im Betrieb. Dabei gab es 1973 die Psychiatrie Enquete, in der auch eine gemeindenahe Psychiatrie gefordert wurde. Dörner bemerkte, daß es kein Zufall sei, daß die Landeskrankenhäuser regelmäßig so schlecht erreichbar seien. Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung werden bereits durch 40 Prozent der psychiatrischen Gesamtbettenzahl in Fachabteilungen der normalen Krankenhäuser versorgt.

Entlassen ist möglich

Die Psychiatrie-Reformbewegung fordert eine Reduzierung der Bettenzahlen. Er hat dabei mitgewirkt als langjähriger Leiter der Psychiatrie Gütersloh. Innerhalb von fünfzehn Jahren wurden dort mit aktiver Vorbereitung alle 436 Langzeit-Patienten entlassen. Damit Schwerkranke nicht untergehen, wurde in Gütersloh ein Netz von selbstorganisierten Betrieben und betreuten Wohnungen gegründet - aus finanziellen Gründen ein dezentrales Heim.

Im Zweifel gegen die Patienten

Doch kommen Großinstitutionen an Schmerzgrenzen, wenn die Rentabilitätsgrenze unterschritten wird. Dann arbeiten die Institutionen nicht mehr für die Patienten, sondern für den Erhalt von Einrichtung und Arbeitsplätzen. Landeskrankenhäuser beginnen sich zu spezialisieren. "Wir bieten bundesweit die beste Betreuung für Alkohol und Alter" und ähnlich abstruse Konstruktionen ergeben sich, um den Bedarf der Institution an Patienten zu decken. Doch die gemeindenahe Versorgung hat das Nachsehen. Wer seine Lieben in der Psychiatrie besuchen möchte, muß lange Wege in Kauf nehmen. Soziale Bindungen nehmen Schaden. Wenn die Patienten entlassen werden, gibt es größere Durststrecken bis zur Betreuung am Heimatort zu überwinden..

Ein weiterer Schritt zur finanziellen Konsolidierung psychiatrischer Großeinrichtungen ist die Einrichtung von Heimen, die an das Krankenhaus angegliedert sind. Konsequent durchgeführt bedeutet das eine Rückentwicklung zur Psychiatrie des 19. Jahrhunderts der verbundenen Heil- und Pflegeanstalten. Entsprechend hieß früher auch das Landeskrankenhaus Wehnen.

Leider geht mit dieser Entwicklung einher, daß die schwer Erkrankten und die chronisch Kranken nicht mehr die Förderung erhalten, die sie benötigen, um ein Leben in Würde und weitest möglicher Freiheit führen zu können.

Die Geiselnehmer-Kampagne

Prof. Dörner hat vor mehr als zwei Jahren begonnen, die Heimträger der Geiselnehmerschaft zu bezichtigen. Bislang gab es keine Widerworte von dort. Ist darin eine Bestätigung der These zu erkennen? Da für Heimplätze gezahlte Gelder diejenigen für Krankenhausbetten deutlich übersteigen, ist das naheliegend. Chronisch Kranke haben keine Lobby! Das Beeindruckende an dem Vortrag von Prof. Dörner war die Klarheit, mit der er diese Sachverhalte ohne Anklage darstellt.

Historischer Exkurs

Wie der Oldenburger Historiker Dr. Ingo Harms enthüllte, ist diese Methode nicht neu: Menschen wurden in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen nahe am Hungertod gehalten. Auch damals wurde genau notiert, wer Besuch bekam und wer nicht. Isolierte Menschen wurden am ehesten mit leichten Beruhigungsmitteln behandelt - oder richtiger ermordet. Denn sie starben schnell an "Kreislaufversagen", wie in den Unterlagen verzeichnet wurde. So waren die Betten belegt, und standen doch zur Verfügung, wenn sich "Lukrativeres" offenbarte. (Vgl. Dr. Ingo Harms: "Wat mööt wie smachten", Oldenburg, 1996)

Hoffnung in schwarzen Zeiten

Prof. Dörner sieht weitere Kürzungen im Gesundheitssystem auf die Gesellschaft zukommen. Er beschrieb die Entwicklung der psychiatrischen Krankenhäuser aus der im 19. Jahrhundert entwickelten Idee heraus, arbeitsfähige Familienmitglieder von der Pflege ihrer Kranken zu entlasten, um sie dem Produktionsprozeß zuführen zu können. Zukünftig werden sich die BürgerInnen nicht auf das Anstaltssystem verlassen können. Dörner beschrieb die verbreitete Auffassung, man zahle für die Psychiatrie und dann habe sie zu funktionieren und von dem Fremden, von dem nicht Verstandenen, von den störenden Menschen zu befreien.

Zukünftig wird kein Geld mehr zur Verfügung gestellt werden, um diesen Service zu bieten. Eine Lösung können nur die Menschen miteinander erarbeiten. Doch das muß für Niemanden zum Nachteil sein. Auch bedeutet die Auflösung von Großkrankenhäusern keineswegs, daß die dort Tätigen alle arbeitslos werden müssen.

Da der zur Verfügung stehende Platz zu begrenzt ist, um die vielfältigen Facetten des Vortrags wiederzugeben, hier das Angebot, sich diesen auf Kassette anzuhören. Diese kann unter Tel. 04407,424 (Q) ausgeliehen werden.

"Das Ende der Veranstaltung"

So heißt ein Buch, das Prof. Dörner herausgegeben hat. Es handelt von den Anfängen der Chronischkranken-Psychiatrie. Deutlich werden die Unterschiede von Akutpsychiatrie zu der erforderlichen Psychiatrie für die chronisch Kranken. Es ist 1999 im Jakob-von-Hollies Verlag in Gütersloh erschienen. Dieser Verlag ist eine der selbstorganisierten Firmen.

Gerold Korbus

 

 
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