Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/00      Seite 1
 
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Wann kommt der Castor?

Und kommt er aber über Oberammergau?

Seit es den Transportstopp für Castoren gibt, lautet die spannendste Frage für die Anti-Atom-Bewegung: "Wann fährt der erste Castor nach dem Stop?" Die Antwort lautet derzeit: Mit einiger Wahrscheinlichkeit im Frühjahr spätestens aber im Herbst diesen Jahres.

Im Frühjahr 1998 wurde bekannt, daß viele Castorbehälter außen radioaktiv verseucht waren. Daraus entwickelte sich aufgrund des atomkritischen Klimas in der Bundesrepublick und den Auseinandersetzungen um die Atomtransporte nach Gorleben und Ahaus der Castorskandal. Auf dessen Höhepunkt sahen sich Atomindustrie und Bundesumweltministerium, damals noch von Frau Merkel geführt, gezwungen, einen vorläufigen Stopp aller Castortransporte zu verkünden. Weder AKW-Betreiber noch Anti-Atom-Bewegung glaubten damals, daß er lange halten würde. Daß es nun seit über anderthalb Jahren keinen Castortransport gegeben hat, liegt wahrscheinlich weder an technischen Problemen, in vergleichbaren Fällen wurden einfach die Grenzwerte hochgesetzt, noch daran, daß die Grünen jetzt in der Regierung sitzen. Hauptsächlich der erwartete massive Widerstand gegen den ersten Castortransport nach dem Stopp und die damit verbundene öffentlichen Auseinandersetzungen hindern Betreiber und Regierung daran, die Transporte wieder aufzunehmen.

Ohne Castortransporte können aber die abgebrannten Brennelemente aus den Atomkraftwerken nicht abtransportiert werden. Sobald dann die Lagerbecken voll sind, kann der jährliche Brennelementwechsel nicht stattfinden, und die Kraftwerke müssen abschalten. Ein Szenario, daß noch 2000 bei vier Reaktoren Wirklichkeit wird. In Neckarwestheim, Biblis, Stade und Phillipsburg. Es sei denn, es gelingt den Betreibern ausreichend viele Transporte durchzuführen, oder ein Schlupfloch zu (er)finden. Derzeit arbeiten die Betreiber an verschiedenen solcher Schlupflöcher. Dazu unten mehr.

Verstopfugsstrategie

Ziel der Verstopfungsstrategie der Anti-Atom-Bewegung ist es, die AKWs vom Netz zu blockieren, indem zum einen verhindert wird, daß der regelmäßige Transport von Castorbehältern wieder aufgenommen wird, und zum anderen alles getan wird, damit die Betreiber nicht rechtzeitig ein ausreichend großes Schluploch finden.

Der erste Teil der Strategie ist relativ einfach zu verwirklichen. Denn um zu verhindern, daß die Castortransporte wieder regelmäßig rollen, reicht es die ersten ein oder zwei Tranporte so massiv zu blockieren, wie es bei den Transporten nach Gorleben und Ahaus der Fall war. Und zwar unabhängig davon ob sie in eines der deutschen Zwischenlager, Gorleben und Ahaus oder in eine Wiederaufarbeitungsanlagen im Auslang, La-Hague und Sellafield gehen. Dann wird zu ihrem Schutz soviel Polizei benötigt, daß weitere Transporte nicht mehr durführbar sind. Einfach deshalb, weil die Kappazitäten der Polizei nur für ein oder zwei solcher Großeinsätze pro Jahr ausreichen. Angesichts des Schröderschen Atom-Konsenses, der sich ja mehr und mehr als ein Konsens zum Weiterbetrieb der Atomkraftwerke bis zu ihrem technischen Ende entpuppt, wird der Widerstand gegen die Castortransporte eher zu- als abnehemen.

Das wissen auch Atomlobby und Bundesregierung. Und ihre Angst der Anti- Atom-Bewegung in der Endphase ihrer Atom-Konsens-Gespräche einen solchen Kristallisationspunkt zu bieten ist auch das Hauptargument, das gegen einen Transport im Frühjahr diesen Jahres spricht. Technisch und juristisch steht den Transporten aus sicht der genehmigenden Behörden nichts mehr entgegen.

Raten welcher Castor kommt

Im folgenden will ich eine kurze Einschätzung darüber abgeben, welche Transporte im Frühjahr als wie wahrscheinlich angenommen werden. Die X-e geben die Wahrscheinlichkeit an mit der mit den entsprechenden Transporten gerechnet wird.

XXX La-Hague nach Gorleben

Dieser Transport ist vor allem deshalb wahrscheinlich, weil Frankreich enormen Druck auf die Aufnahme der Rücktransporte des wiederaufgearbeiteten Atommülls nach Deutschland macht. Angeblich gibt es von französischer Seite das Junktim, daß Transporten nach La-Hague erst wieder zugestimmt wird, wenn der erste Castor-Konvoi in Gorleben eingetroffen ist. Theoretisch kann Frankreich sogar die Transporte nach Sellafield unterbinden, da diese über Frankreich laufen.

Gegen einen Transport nach Gorleben spricht vor allem die EXPO in Hannover, mit der zum einen die niedersächsische Polizei ausreichend ausgelastet ist, und bei der sich zum anderen die Bundesrepublik möglichst vorteilhaft darstellen will. Außerdem gibt es auf der Zugstrecke zum Castorkran in Dannenberg, wo die Behälter für die letzten zwanzig Kilometer bis Gorleben auf die Straße umgeladen werden, eine Brücke, die das Gewicht der Castorbehälter nicht mehr Tragen kann. Und deren Renovierung dauert aus Denkmalschutzgründen mindestens bis Herbst diesen Jahres. Die Alternativroute über Arendsee, die die Atomlobby sich ausgedacht hat, verlängert die Straßentransportstrecke auf 33 Kilometer. Für die Polizei eine Horrorvorstellung. Zumal bei einem Transport nach Gorleben schon aus traditionellen Gründen mit dem stärkstem Widerstand gerechnet wird.

XX Stade nach La-Hague

Bei Stade läuft im Februar als erstem AKW, das Lagerbecken über. Und Stade kann nur nach La-Hague abtransportieren. Transporte in Zwischenlager sind nicht möglich, weil kein dafür zugelassener Behälter existiert, der im AKW- Stade paßt. Derzeit versuchen die Betreiber allerdings noch ein letztes Jahr Zeit zu gewinnen, indem sie ein Gestell ins Lagerbecken einhängen, das zusätzlichen Lagerplatz schafft. Ob für dessen Genehmigung eine Öffentlichkeitsbeteiligung notwendig ist, ist aber noch nicht geklärt. Wenn ja, dauert das Genehmigungsverfahren selbst ohne anschließendes Gerichtsverhahren noch eineinhalb Jahre.

XXX Neckarwestheim oder Biblis nach La-Hague

Hier hofft die Gegenseite aufgrund der relativ kurzen Strecke bis zur Französischen Grenze und dem bisher bei Transporten in die Wiederaufarbeitung geringeren Widerstand auf einen bewältigbaren Polizeiaufwand. Die Polizei hingegen, die in solchen Dingen normalerweise über die besseren Informationen verfügt, rechnet nicht mit einem geringeren Widerstand.

X Biblis oder Phillipsburg nach La-Hague

Hiergegen spricht, daß die Behälter für Transporte nach La-Hague so gut wie gar nicht von radioaktiven Kontaminationen zu reinigen sind. Transporte sind also nur mit von vorneherein sauberen Behältern möglich. Außerdem gibt es das französische Junktim zwischen Hin- und Rücktransporten.Und beide Kraftwerke haben im Gegensatz zu Stade Transportalternativen zu La-Hague.

XX Neckarwestheim, Biblis oder Phillipsburg nach Ahaus

Dies ist die einzige Variante für den Abtransport von Brennelementen aus den von Überfüllung bedrohten AKWs, bei der das Französische Junktim auf keinen Fall ein Rolle spielt. Für die Grünen wäre ein solcher Transport im Frühjahr allerdings der politische Gau. Ahaus liegt im rot-grün regierten Nordrhein-Westfahlen. Und da sind im Mai Landtagswahlen.

Freund und Helfer Polizei?

Die Entscheidung, ob es im Frühjahr einen Castortransport gibt, und von wo nach wo er geht, fällen nicht nur Atomindustrie und Bundesregierung, auch die Polizei hat ein gehöriges Wörtchen mitzureden. Und die Polizei ist Ländersache. Im ö 4 des Atomgesetzes steht nämlich: die "Beförderung von Kernbrennstoffen" darf nur genehmigt werden, wenn "der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet" ist und "überwiegende öffentliche Interessen der Wahl der Art, der Zeit und des Weges der Beförderung nicht entgegenstehen".

Welche Möglichkeiten zur Ablehnung von Castortransporten dieser Paragraph den Polizeien der Länder gibt, wird erst seit relativ kurzer Zeit ernsthaft diskutiert. Letztendlich könnte er bei der Frage, ob und wann es einen Transport gibt, die Polizei zum Zünglein an der Waage machen. Immerhin hat das Niedersächsische Innenministerium dem Bundesamt für Strahlenschutz stellvertretend für die übrigen Innenministerien schonmal mitgeteilt, daß die Polizei mindestens sechs Monate vor einem Castortransport genau über Strecken- und Terminplanung informiert werden muß, damit sie den Einsatz planen kann. Wenn das Erfolg hat, bleiben der Atomindustrie nur noch die oben genannten Schlupflöcher.

Schlupflöcher

Die Schlupflöcher, an denen die Atomindustrie derzeit arbeitet, um sich aus der Verstopfungsfalle zu befreien laufen alle darauf hinaus, an den AKW-Standorten irgendwie zusätzlichen Platz für abgebrannte Brennelemente zu schaffen. Fast alle Atomkraftwerke greifen inzwischen dankbar die grüne Idee der "Standorteigenen Zwischenlagerung" auf. Also das Konzept jedem AKW seine eigene Castorhalle zu bauen, damit keine Transporte in die Hallen Gorleben und Ahaus mehr nötig sind. Daß es beim Widerstand gegen die Castortransporte um mehr geht, als das rumkutschieren des Atommülls selbst, scheint den Grünen verborgen geblieben zu sein. Doch Genehmigung und Bau eines solchen Standortzwischenlagers dauern selbst im günstigsten Fall etwa zwei bis drei Jahre. Das ist mehr Zeit als den meisten Atommeilern bis zur Verstopfung bleibt.

Es müssen also Zwischenlösungen her. Stade und Biblis versuchen sich für jeweils ein Jahr Luft zu verschaffen, indem sie ein zusätzliches Lagergestell ins kraftwerksinterne Lagerbecken hängen. Was, wenn es juristisch durchkommt, technisch nur bei diesen beiden Kraftwerken geht. Die meisten anderen setzen auf die "Transportbereitstellungslagerung". Also die vorläufige Lagerung der befüllten Castorbehälter auf dem Kraftwerksgelände zur Bereitstellung für einen irgendwann geplanten Transport. Allerdings ist eine der juristischen Voraussetzungen dafür das Vorhandensein einer Transportgenehmigung. Weshalb Phillipsburg auf die Idee der "Zwischenlagerbereitstellungslagerung" gekommen ist. Dabei werden die Castorbehälter genau wie bei der Transportbereitstellungslagerung befüllt und vorläufig auf dem Kraftwerksgelände gelagert. Nur daß sie hier für ein irgendwann zu genehmigendes und zu bauendes Zwischenlager bereitstehen sollen. Deshalb hat das AKW-Phillipsburg auch schon 24 Garagen für Castorbehälter beantragt, zusätzlich zum eigentlichen Standortzwischenlager.

Die Achillesferse all dieser Zwischenlösungen ist, daß sie nicht umhinkommen die Anzahl der abgebrannten Brennelemente auf dem AKW-Gelände zu erhöhen. Das ist aber gleichbedeutend mit der Erhöhung des radioaktiven Inventars der Atomanlage. Dafür ist nach bisheriger Gesetzgebung ein Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung erfordelich. Und damit dauert die Realisation der Zwischenlösungen fast so lange wie der Bau der Standortzwischenlager selbst. Also zu lange!

Anti-Atom-Bewegung

Die Aufgabe der Anti-Atom-Bewegung ist es jetzt zum einen, den ersten Castortransport nach dem Stopp durch die Androhung massiven Widerstandes möglichst weit hinauszuzögern. Wenn er dann doch stattfindet muß sie durch eben diesen Widerstand dafür zu sorgen, daß der erste Castortransport für einige Zeit auch wieder der letzte ist. Zum anderen geht es darum den Bau der Standortzwischenlager, Bereitstellungslager oder sonstigen Notlösungen zu verhindern oder zumindest so lange wie möglich hinauszuzögern.

Zusammen eine Strategie die weitaus erfolgsversprechender ist, als das Vertrauen auf die rot-grünen Atom-Konsens-Bemühungen.

Bernd Schmidt (unter Verwendung vieler Informationen aus ak (analyse & kritik), Dez 99)

Für die Mobilisierung zum nächsten Castor-Tranport und den Widerstand zum Standortzwischenlager Lingen sei das Infotelefon des AK "Keine Castorhalle in Lingen" empfohlen, dem auch die OlgA (OldenburgerInnen gegen Atomkraft) angehören. Tel.: 0177/6290079

Bernd Schmitt

 

 
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