Oldenburger STACHEL Ausgabe 2/00      Seite 6
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Wer hat, dem wird gegeben

Originäre Arbeitslosenhilfe futsch, andere Grausamkeiten - und neue Geschenke an die Reichen (Unterüberschrift in Winzschrift)

Zum 1. Januar 2000 sind einige der Sparvorhaben auf Kosten der Arbeitslosen Gesetz geworden, über die im Dezember-Stachel berichtet worden war (s. "Eichel spart, Gemeinden zahlen", Stachel 12/99 S. 1). Nachdem unter Kohl die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe immer wieder gestoppt werden konnte, war sie jetzt unter Rot-Grün nicht mehr zu verhindern. Bisher war es möglich, nach Beschäftigungszeiten unter einem Jahr Antrag auf Arbeitslosenhilfe zu stellen. Jetzt muß erst einmal das Anrecht auf Arbeitslosengeld "erarbeitet" werden. Die zunehmende Anzahl von Kurzzeitjobbern mit befristeten Verträgen braucht dazu oft mehrere Jahre. Auf Kosten junger Arbeitsloser, Zivildienstleistender und Referendare spart der Bund so eine Milliarde Mark, auf die Kommunen kommen um 500 bis 600 Millionen Mark höhere Sozialhilfeausgaben zu.

Kindergeld

Die gute Nachricht: die Kindergelderhöhung dieses Jahres wird auch an Sozialhilfebeziehe rInnen ausgezahlt. Niedersachsen und andere Länder hatten ihren Widerstand dagegen schließlich aufgegeben. Sie reichen das Zusatzgeld aus Berlin weiter. Der Bund trägt dafür weiterhin die Hälfte des pauschalierten Wohngeldes für SozialhilfebezieherInnen in Höhe von 2,3 Milliarden Mark - auch das hatte Eichel einsparen wollen. Beim Unterhaltsvorschuß für Geschiedene, der Alleinerziehenden vorgestreckt wird, wenn der Mann/Vater nicht zahlen kann oder - meistens - will, reduziert der Bund jedoch seinen Anteil zu Lasten der Länder um 218 Millionen Mark. Zahlungen an die Bundesanstalt für Arbeit

Hier kürzt Berlin mächtig. Denn die Nürnberger Bundesanstalt kürzt ihrerseits die Beiträge für die Renten- und Pflegeversicherung, indem sie sie nicht mehr nach 80 % des letzten Lohns berechnet, sondern nach der tatsächlich ausgezahlten Arbeitslosenhilfe. Das werden die Arbeitslosen im Rentenalter mit einem dicken Loch im Portemonnaie zu spüren bekommen. Und der Rentenkasse fehlt das Geld ganz aktuell.

Der Bundeszuschuß an die Künstlersozialkasse, eine Art Notkasse für Menschen mit unregelmäßigem und äußerst niedrigem Einkommen, wurde ebenfalls von 25 auf 20 Prozent der Ausgaben gesenkt.

Wer hat, dem wird (noch mehr) gegeben

Zum Jahresende beglückte uns die Regierung mit dem neuen Vorhaben, in einer großen Steuerreform bis 2005 an die 70 Milliarden Mark Steuererleichterungen zu gewähren. Zugute kommen soll dieser Geldregen zum großen Teil Betrieben und sonstigen Menschen mit nicht geringem Einkommen. U. a. sieht die Reform eine schrittweise Senkung der Einkommenssteuer von jetzt 22,9 bis 51 Prozent auf 15 bis 45 Prozent im Jahre 2005 vor. Kapitalgesellschaften zahlen ab 2001 einen einheitlichen Satz von 25 Prozent. Personengesellschaften werden über ein besonderes Anrechnungsverfahren faktisch von der Gewerbesteuer befreit. Bisher ist außerdem noch geplant, daß Veräußerungsgewinn e von Kapitalgesellschaften künftig generell steuerfrei sein sollen. Einige Vertreter der rot-grünen Regierungsfraktion äußerten aber schon die Befürchtung, daß dieses Vorhaben nicht "vermittelbar" sei.

In der Tat. Menschen, die mit ihrem Arbeitseinkommen gerade so zurecht kommen, und Arbeitslosen wird nicht in den Kopf gehen, warum die CDU/FDP-Politik der Steuergeschenke an die Millionäre unter Rot- Grün verstärkt fortgesetzt werden soll. Denn gleichzeitig soll das Sparen weitergehen, die Verschuldung nicht ansteigen. Wer soll die ganzen Milliardenpräs ente bezahlen? Davon war großzügigerweise noch nicht die Rede. Wenn es die Einkommensmillionäre nicht gegenfinanzier en, dann müssen es eben die anderen tun - auf jeden Fall wieder einmal die Arbeitslosen und SoziahilfebezieherInnen. Die Bundesländer bezifferten schon einmal ihren Anteil an der ersten Reformstufe von 2001 in Höhe von 27 Milliarden Mark auf 15 Milliarden Mark. Der niedersächsische Grüne Abgeordnete Golibrzuch errechnete für 2001 ein Minus von 1,25 Milliarden DM, das Niedersachsen durch die Steuerreform erleiden werde (s.NWZ vom 16.2.2000). Es ist davon auszugehen, daß die Länder einen großen Teil der Kosten an die Kommunen weiterreichen werden. Und hier wird sich der Druck auf die Sozialhilfeetats noch einmal verschärfen...

Oldenburg - von Bund und Land abgezockt

Während die Bezirksregierung dem aktuellen Haushaltsplan der Stadt die Genehmigung verweigert, weil das Minus zwar fast, aber noch nicht vollständig abgebaut wurde, und selber beim Anziehen der Sparschrauben beteiligt werden möchte, drohen neue Finanzlöcher durch das Eichelsche Sparprogramm und die Steuerreform. Das Sparpaket wird die niedersächsischen Kommunen mit insgeamt 100 Millionen DM belasten, und die geplante Steuerreform wird nach Angaben des Niedersächsischen Städtetages bis 2003 durchschnittlich 500 Millionen DM Einnahmeverluste verursachen. Der Delmenhorster Oberstadtdirektor Dr. Norbert Boese forderte bei einer Sitzung der Bezirksarbeitsgemeinschaft des Städtetages in Varel, die Bezirksregierung Weser-Ems dürfe den Kommunen zukünftige Etatdefizite "nicht als Mißmanagement ankreiden", da sie von Bund und Land verursacht seien(NWZ 16.2.). Seinem Oldenburger Kollegen Poeschel wird er damit aus der Seele gesprochen haben. Doch der wird ihn auch darüber belehren können, daß sich die Bezirksregierung durch solch kleinliche Einwände nicht anfechten läßt. Da die Kommunen bei fast allen Ausgaben gesetzlich und vertraglich festgelegt sind, ist zu befürchten, daß die Bezirksregierung diese zwingen wird, die Axt an den "freiwilligen Leistungen" anzulegen. Betroffen davon wären Vereine und Initiativen, die mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit vor Ort den sozialen Zusammenhalt und die kulturellen Aktivitäten aufrechterhalten. Betroffen wäre eine ganze Selbsthilfe- und Beratungsstruktur, die gerade für Menschen mit geringem Einkommen existenziell wichtig ist.

Sparen lernen, heißt von London lernen...

Schröder und Blair haben sich in ihrer Erklärung zu neoliberalen Prinzipien bekannt. Thatcher hat schon vorgemacht, was "schlanker Staat" bedeutet, Blair macht dort bruchlos weiter. Die Regierung Großbritanniens hat das Ziel des Sparens und gleichzeitigen Steuersenkens schon lange im Programm. Sanierung der Staatsfinanzen rangiert vor Sozialpolitik, Haushaltsüberschüsse sollen die Staatsverschuldung bis 2004 von jetzt 40 Prozent des Sozialproduktes auf 32 Prozent senken. Und wie ergeht es den Menschen dabei? Einige Zahlen sprechen eine ziemlich schreckliche Sprache: Ca. 1,5 Millionen RentnerInnen, das ist der siebte Teil aller Alten, leben vom staatlich garantierten Mindesteinkommen. Es liegt bei ungefähr 78 Pfund pro Woche - umgerechnet 1020 DM im Monat. Das reicht nicht, um angemessenes Essen, eine ausreichende Wohnung, die Krankenkosten etc. zu finanzieren. In Großbritannien wächst jedes dritte Kind unter oder nahe der Armutsgrenze auf. In keinem anderen westeuropäischen Land, Portugal oder Griechenland eingeschlossen, ist dieser Anteil so hoch. In Deutschland liegt er bei 13 Prozent.

Sozialstaat nicht mehr finanzierbar?

Schon andere Regierungen, die neoliberalen Träumen und Ideologien nacheiferten, hatten die Hoffnung, daß Unternehmen nach Steuersenkungen die erhöhten Gewinne neu investieren und Arbeitsplätze schaffen würden. Das Steuerparadies Ost und die hervorragende Konkurrenzsituation auf dem Weltmarkt hat die deutsche Wirtschaft nicht motiviert, in der Kohl-Ära vom Arbeitsplatzabbau abzulassen. Auch zu Schröder-Fischers-Zeiten wird Rationalisierung allein Kurssteigerung an der Börse zur Folge haben. Der Markt ist voll, warum neue Produktionsstätten bauen? Lieber andere Firmen kaufen! So, what? Ob wir deutschen Normalos in Zukunft ruhig schlafen können, wird mehr denn je davon abhängen, wie sicher das soziale Netz mit Arbeitslosen- und Sozialhilfe den freien Sturz der Arbeitslosigkeit auffangen kann. Steuererleichterungen sind da nur der Anfang vom "nicht mehr finanzierbaren Sozialstaat".#q achim


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