Oldenburger STACHEL Ausgabe 6/00      Seite 3
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Der Mut zur Liebe und Trauer -

oder die Wichtigkeit einer nachbürgerlichen Sinnlichkeit

Rezension zur ihren Bänden Männer weinen anders" (ISBN3-930101-00-9), "Wenn Sehnsucht Liebe wird" (3-930101-01-7) "Und du drückst meine Flügel auf die Erde" (3-930101-02-5) und "Im Schatten der Leidenschaft" 3-930101-03-3).

Zugegeben, der Liebeslyrik gilt nun eigentlich nicht des Verfassers besondere Aufmerksamkeit. Nur zu oft gerät sie, weit ab von allen gesellschaftlichen Wirklichkeiten zu einer unendlichen Wiederholung bereits Gesagtem, zum Herz- und Schmerz-Leid literarischer Beginner oder nie Fortgeschrittener. Doch Christiane Zaininger hat den Kritiker von einer Möglichkeit überzeugt, auch in diesen Zeiten Lyrik zu schaffen, die sich dem Thema der Liebe in inhaltlich und sprachlich verantwortlicher Weise nähert. Im übrigen sei hier eindringlich auf die Ausgabe 4 der Volksfest hingewiesen, in denen die Autorin ihr ganzes inhaltliches Vermögen mit vorzüglichen lyrischen Arbeiten zur Ausländerproblematik usw. darlegt.

Christiane Zaininger präsentiert sich in ihren Bänden (alle Selbstverlag) geradezu als Prototyp jener Autoren/innen, die als Vertreter einer nachbürgerlichen Sinnlichkeit begriffen werden können ("Und du drückst meine Flügel auf die Erde" steht allerdings in der inhaltlichen Kraft hinter den anderen Bänden). Tränen und Trauer werden zu einem vorwärtsweisenden Moment in einer Gesellschaft, die im Warencharakter ihrer Emotionen erstickt. Männer zeigen sich nur unzureichend in der Lage, ihre eigene Emotionalität zu zeigen, müssen sie von weiblicher Seite formulieren lassen. Ich habe Angst / daß Du ertrinkst / in Deinem See / der nicht geweinten Tränen // und // Ich habe Angst / daß Du härter und härter wirst / mit jeder nicht geweinten Träne. Die Unfähigkeit zu trauern und zu lieben erscheint geradezu eine Dimension männlichen Daseins n unserer Gesellschaft. Die konkrete Utopie einer männlichen Träne gerät so zum Moment individueller aber auch gesellschaftlicher Befreiung, denn ein neues Miteinander in Sinnlichkeit erfüllt sich. Fast sehen wir im Hintergrund Lessings Alte und Frauen ihre Tränen weinen - Ziehväter und -mütter einer neuen Sinnlichkeit. Ich hab zum ersten Mal / Tränen bei Dir gesehen / weil dein Gefühl / doch stärker war / und ich weinte / innerlich mit / weil es mich Dir / noch näher brachte.

In den späteren Arbeiten variiert sie das Thema der Liebe als Moment der gesellschaftlichen und individuellen Hoffnung. Sprachlich gelingt ihr dabei manch wunderschönes Bild, daß in vielen Zügen eine Entsprechung etwa bei der jungen Ukrainerin Marjana Gaponenko, der Zwickauer Autorin Cornelia Eichner, Verena Blecher und anderer junger Autorinnen findet, die wieder einen unglaublichen Mut und Fähigkeit zur Poesie entwickeln. Ich werfe Netze / über meine Träume / und lege Herz an Herz / zu den silbernen Fischen / aus den Himmelsflüssen.

Immer wieder ist es der verletzte Körper und Geist, der die Autorin aufbegehren läßt, sich auf die Suche begeben läßt . Die Suche nach individueller und gesellschaftlicher Geborgenheit, die Möglichkeit der Offenheit zum Miteinander, zum Miteinander. Immer wieder ist die Ahnung der Möglichkeit bereits spürbar. Ein immer neues Schöpfen / wohin wir auch sehen / Spuren von Herzblut / wohin wir auch gehen / tiefe Zuneigung / die wir auch spüren und / genügen Mut / um unsere Dornen / immer wieder / rundzudtreicheln.

Tatsächlich begeisternde Bücher, die man auch aufgrund ihrer sprachlichen Fähigkeiten einfach lesen sollte, als junge Lyrikerin/junger Lyriker einfach gelesen haben muß.

Will man die Bücher in einen größeren Kontext stellen, so kann man Christiane Zaininger nur wünschen, daß auch sie zum Beispiel den Weg der jungen Autorenkollegin Cornelia Eichner mit allem Mut beschreibt. Die formulierte neue Poesie muß sich Bahn brechen in eine neue Gesellschaftlichkeit, muß sich einbinden in eine neue, vorwärtsweisende gesellschaftliche Ästhetik. Nicht noch einmal dürfen die Tränen einer Empfindsamkeit auf der Bühne oder im Buch vertrocknen.

Alfred Büngen

 

 
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