Oldenburger STACHEL Ausgabe 6/00      Seite 1
 
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Was täte ich bloß ohne das Sozialamt?

#fAn jedem Arbeitstag gehen beim Sozialamt Oldenburg viele Anträge zur Gewährung von Sozialhilfeleistungen ein. Auch ich mußte mich vor einiger Zeit dieser unerquicklichen Prozedur unterwerfen. Ungerne, jedoch zunächst unvoreingenommen trat ich meinen ersten Gang dorthin mit einer gewissen Neugierde an.#fe

Es liegt mir schon seit geraumer Zeit am Herzen, ein paar der Geschehnisse aufzulisten, die ich, zunächst ungläubig, dann wütend und schließlich fast schon belustigt, für schlichtweg unmöglich gehalten hätte. Dies mag als Vorwarnung für Neulinge, Unterstützung für LeidensgenossInnen oder einfach als Anregung zum fassungslosen Köpfeschütteln dienen.

Unberechenbarkeit trotz Nummernsystem

Es begann bereits mit der Nummer, die man, wie beim Spießrutenlaufen, unter den neugierigen Blicken der bereits Wartenden, zu ziehen hatte. Wer bis jetzt annahm, der letzte der armen Säue zu sein, konnte nun aufatmen, triumphieren. Jemand anders mußte noch länger warten. Bei meinem Antrittsbesuch hatte ich, sagen wir mal, Nummer 64. Laut der Anzeige über der Tür war Nummer 14 gerade an der Reihe. Circa alle 20 Minuten quälte sich die Anzeige eine Nummer weiter. Wer nun aber fälschlicherweise annahm, die sinnlose Wartezeit anderweitig nutzen zu können, dem sei gesagt: Böser Fehler! Ohne ersichtlichen Grund wurden während meiner circa einstündigen Abwesenheit über 40 Nummern abgespult, so daß bereits jemand nach mir dran war. Blieb man aber sitzen, war es wiederum möglich, daß nach vierstündiger Wartezeit um zwölf Uhr Deine Nummer noch nicht dran war und man unverrichteter Dinge nach Hause gehen durfte.

Die Neuerung - zwangsläufig eine Verbesserung?

Allerdings wurde das Nummernsystem vor einiger Zeit abgeschafft, was für das Sozialamt den Vorteil haben mag, daß unerwünschte Dauergäste die Räumlichkeiten nicht mehr zum Aufenthalt nutzen können. Dies zieht für die Antragstellenden jedoch etliche Schwierigkeiten nach sich. Möchte man zum Beispiel einen Antrag stellen oder Widerspruch gegen einen Bescheid einlegen, ist dies entweder möglich, indem man sich einen Termin geben läßt, der in so weiter Ferne liegt, daß sich das Problem bis dahin um ein Vielfaches potenziert hat oder aber man wählt den Postweg und bringt einen schriftlichen Widerspruch möglichst direkt zum Sozialamt. Hier sollte man sich einen Stempel auf eine Kopie geben lassen. Mittels dieser Verzierung ist es dann möglich, sehr viel später erneut Beschwerde einzulegen, wenn die zulässige Bearbeitungszeit überschritten wurde. Sehr bemerkenswert finde ich auch, daß es nicht möglich zu sein scheint, ein Schreiben dem Sachbearbeiter direkt auszuhändigen. Vielmehr wird man von ihm darauf hingewiesen, das Schreiben sei im angrenzenden Pförtnerzimmer zu hinterlegen, woraufhin es dann von dem Pförtner wieder zu ihm ins Zimmer gebracht werde. Warum einfach, wenn es kompliziert geht?

Hilfe nach der Not?

Absolut niederschmetternd ist auch der Zeitraum, der zwischen dem ersten Besuch im Amt und der ersten Zahlung liegt. Laut Gesetz ist das Sozialamt dazu verpflichtet, eineR BedürftigeN in einer unmittelbaren Notlage sofort mittels einer einmaligen Unterstützung zu helfen. Allerdings ist es kaum möglich, diese Notlage ohne einen Aktenordner voller verlangter Nachweise zu begründen. Dem Paragraphenamtsdeutsch ohne einen geschulten Anwalt an der Seite auch nur annähernd zu begegnen, scheint schlichtweg unmöglich.

Ein sehr interessanter Fall sind zum Beispiel die sogenannten einmaligen Beihilfen, die man zusätzlich zum Regelsatz beantragen kann. Die Palette reicht da von Kondomen (20 Stück im Monat) über Elektrorasierer für Alkoholiker (Begründung: wegen starkem Zittern, welches natürlich nachgewiesen werden muß) - die anderen haben lediglich Anspruch auf einen Nassrasierer - bis hin zu Staubsaugern.

Während der Sachbearbeitung verstaubt nicht nur die Wohnung

Ich habe einen Antrag für einen neuen Staubsauger gestellt mit der wahren Begründung, daß meiner kaputt wäre. Circa vier Wochen später erhielt ich einen abschlägigen Bescheid ohne nähere Begründung. Als ich deshalb bei meinem zuständigen Sachbearbeiter mit einer Auflistung derjenigen Beihilfen, die übernommen werden, vorstellig wurde, sagte mir dieser, ich müsse mit meinem kaputten Staubsauger wiederkommen und diesen bei ihm im Zimmer vorführen. Ansonsten müsse er davon ausgehen, daß ich die Unwahrheit sage. Als ich daraufhin wissen wollte, wie dieses Verfahren im Falle eines kaputten Kühlschranks oder Herdes gehandhabt würde, bekam ich zur Antwort, daß das nichts zur Sache täte, da wir uns über Staubsauger unterhielten. Nun gut, ich habe erneut Widerspruch eingelegt, der allerdings ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt war. Schließlich habe ich zähneknirschend meinen Staubsauger in den größten Rucksack, den ich besitze, gepackt und mich solcherart verunstaltet auf der Wartebank anglotzen lassen. Als ich im Zimmer stand, weigerte sich der Sachbearbeiter, mich den einstaubenden Effekt vorführen zu lassen. Er wüßte nicht, wie ich auf die Idee käme, daß diese Präsentation am Bescheid etwas ändern könne. Am liebsten hätte ich den gesamten Inhalt des Staubsaugerbeutels über seinen Tisch verteilt. Ich habe nochmals Widerspruch eingelegt, einen sehr zornigen diesmal, der jedoch wieder abgelehnt wurde. Da habe ich aufgegeben. Diesmal.

Ist das Willkür?

Bei meinem Erstantrag wurde mir nur die Hälfte der Mietkosten gewährt mit der Begründung, daß mein Vater ja mit in der Wohnung lebe und deshalb die andere Hälfte der Miete bezahle. Als ich daraufhin wissen wollte, wie sie zu dieser merkwürdigen Annahme kämen und darauf hinwies, daß mein Vater, wie aus den Unterlagen hervorgeht, seit schätzungsweise 20 Jahren in einem Haus mit meiner Mutter außerhalb von Oldenburg lebt, wurde dies als unwichtig erachtet. Ausschlaggebend sei, daß mein Vater den Mietvertrag als Bürge unterzeichnet habe, was ihm in den Augen des Sozialamtes auch das Recht zusichere, mit in dieser Wohnung zu leben. Ob er das dann tatsächlich tue oder nicht, ändere nichts an der Sachlage.

Als ich mich verzweifelt an die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) wandte, erfuhr ich von der Möglichkeit einer Einstweiligen Verfügung. Diese habe ich daraufhin eingereicht und bekam nach nur einer Woche Recht in der Angelegenheit.

Hilfe nur für KämpferInnen

Ich frage mich, aus welchem Grund den Antragstellenden ständig Steine in den Weg gelegt werden, es ihnen möglichst schwergemacht wird und wichtige Informationen, die sie bezüglich seiner Lage vom Sozialamt erhalten sollten, nicht oder nur nach wochenlangem Kampf gegeben werden. Warum müssen die Hilfesuchenden sich über die bekannten Hilfseinrichtungen mühsam einholen, was wiederum eine unnötige und nervenaufreibende Rennerei bedeutet.

Irgendwas läuft in diesem, ach so gepriesenen Wohlfahrts- und Sozialstaat doch verdammt schief, wenn einem Menschen, der nach der gesetzlich verankerten Möglichkeit der staatlichen Unterstützung greifen muß, nicht widerstandslos dieses Recht eingeräumt wird, und zwar in einer Art und Weise und in einem Umfang, der es erlaubt, sich weiterhin als vollwertiger Mensch mit Rechten zu fühlen.

Allein die Zeit, die damit verbracht werden muß, diese Unterstützung zu erlangen, sie in der angemessenen Höhe und der zugestandenen Dauer zu bekommen, kostet einen Großteil der Energie, die viel sinnvoller mit der Suche nach einer Perspektive, einer anderen Art des Erwerbs genutzt werden könnte.

Hat man es dann endlich geschafft, seinen vollen Unterstützungsbetrag zu sichern, gerät man an die nächsten Hindernisse.

Hilfe zur Selbsthilfe? Von wegen!

Ich habe eine Schulausbildung auf dem zweiten Bildungsweg begonnen und Bafög beantragt, was abgelehnt wurde. Ein paar Monate später, erhielt ich vom Sozialamt eine neue Bedarfsberechnung. Aus dieser ging hervor, daß ich nunmehr nur noch Anspruch auf einen Satz habe, der weit unter meinen Mietkosten lag, von dem Rest ganz zu schweigen.

Auf meine erstaunte Anfrage, wie ich das zu verstehen hätte, wurde mir mitgeteilt, es sei unwesentlich, ob ich Bafög bekäme oder nicht; die Möglichkeit dazu bestände schließlich, und deshalb hätte ich keinen Anspruch mehr auf Sozialhilfe. Mein Einwurf, daß Sozialhilfe aber doch nachrangig sei - daß heißt, dann in Kraft träte, wenn andere Möglichkeiten der Hilfe versagen - wurde nicht zur Kenntnis genommen. Vielmehr hieß es nun, daß ich meinen Schulbesuch eben abbrechen müsse, um wieder den vollen Satz zu bekommen.

Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß jemandem, der auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, aus welchen Gründen auch immer, die Möglichkeit der Weiterbildung, um schließlich wieder auf eigenen Beinen zu stehen, nicht gestattet wird.

Gerade an diesem Punkt sollte, meiner Meinung nach, Hilfe beginnen. Es sollte alles getan werden, um Personen in einer benachteiligten Situation zu helfen, sich wieder selbständig eine Lebensgrundlage zu schaffen, statt sie noch weiter auszugrenzen.

Ein Pfad durch den Paragraphendschungel

Über einen Anwalt habe ich schließlich erreicht, daß ich weiterhin Sozialhilfe in Höhe des Bafögsatzes erhalte. Allerdings wurde es nur darlehensweise gewährt, was in meinen Augen auch wieder einen Widerspruch bedeutet. Das Bafög, was für eine Ausbildung über den zweiten Bildungsweg bewilligt wird, ist nämlich nicht zurückzuzahlen. Insofern ist mir nicht klar, warum ich lediglich darlehensweise Unterstützung erhalte, wenn doch die Sozialhilfeleistung schon an die Baföggesetzgebung angepaßt wurde. Das alles kommt mir höchst merkwürdig vor.

Eine kleine Genugtuung bleibt jedoch: Dadurch, daß ich Sozialhilfe erhalte, falle ich, wenn es um die Beschaffung von anwaltlicher Hilfe geht, in die Gruppe derjenigen, die nur einen Mindestlohn verdienen. Deshalb bekomme ich einen Beratungshilfeschein, den ich bei einem Anwalt meiner Wahl vorlegen kann. Dessen Beratung und Hilfe kostet mich dann nur 20,-DM. Dadurch bin ich bis jetzt in den meisten Fällen bei einer Klage gegen das Sozialamt erfolgreich gewesen.

Tja, was täte ich bloß ohne das Sozialamt?

CE

 

 
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