Ausgabe 7/00 | Seite 14 | |||||
Finanzgiganten an die Leine legen...
Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte gegründet
Die internationalen Finanzmärkte sind zu einer Macht geworden, die zunehmend die Politik bestimmt. Immer mehr Lebensbereiche geraten unter das Diktat von Dax, Dow Jones und "shareholder value". Im Namen einer Modernisierung, die als unabänderlicher Sachzwang präsentiert wird, untergräbt die Macht der Finanzmärkte die Demokratie. Mit der Drohung, auf einen anderen "Standort" oder in eines der Steuerparadiese auszuweichen, verfügen die multinationalen Konzerne und KapitalbesitzerInnen über ein Erpressungspotential, mit dem sie die Politik demokratisch gewählter Regierungen ihren Bedingungen unterwerfen - und diese lassen sich das bisher größtenteils gefallen. Mit Transaktionen von 1.500 Milliarden Dollar pro Börsentag - wovon der Löwenanteil auf Geschäfte mit spekulativem Charakter entfällt, ist eine völlig neue Qualität internationaler Wirtschaft entstanden. Etwa ein Drittel der transnationalen Kapitalverschiebungen und hochgelobten "Investitionen" besteht dabei aus Geschäften innerhalb ein und desselben Konzernes, die damit nichts zur Entwicklung und Stabilisierung der beteiligten Volkswirtschaften beitragen.
Was sich "entwickelt" sind Gewalt und Ellenbogen
Die grenzenlose Freiheit der Kapitalflüsse führt zu einer wachsenden Instabilität der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, die sich in immer kürzeren Abständen in Krisen entlädt. Durch Finanzcrashs werden jahrelange wirtschaftliche Anstrengungen ganzer Volkswirtschaften über Nacht zunichte gemacht - und das trifft die Menschen je ärmer, umso gravierender. Die Behauptung, die Globalisierung bringe Wohlstand für alle, hat sich nicht bewahrheitet. Während eine kleine Gruppe von Globalisierungsgewinnern immer reicher und mächtiger wird, wachsen weltweit soziale Unsicherheit, Ausgrenzung und Armut. Erfahrungsgemäß entladen sich die daraus wachsenden Spannungen und Ängste jedoch selten an der Adresse der tatsächlichen Ursachen, sondern eher in kleinteiliger Gewalt, Rassismus, Fundamentalismus, Ethnisierung und Stellvertreter-Konflikten. Der Druck von oben wird abgeleitet in immer schärfere Konkurrenz und Entsolidarisierung unter den "Verlierern". Daß die Kluft zwischen und innerhalb von Industrie- und Entwicklungsländern immer größer wird, ist ebenso Konsequenz der "Globalisierungsfalle" wie das Verschleppen drängender ökologischer Probleme, oder der Abbau sozialer Sicherungssysteme.
Eine andere Politik ist möglich
Diese Art der Globalisierung ist jedoch keineswegs schicksalhaft, und genauso wenig unaufhaltbar! Sie ist von staatlicher Deregulierungspolitik in Gang gesetzt worden. Durch internationale politische Beschränkungen können die entfesselten Marktkräfte auch wieder soweit gezähmt werden, daß ihr destruktives Potential eingedämmt wird. Dazu allerdings ist gesellschaftliche Bewegung von unten notwendig. Um erfolgreich zu sein, muß dieser Druck national und international organisiert sein, beispielsweise in enger Zusammenarbeit mit den ATTAC-Bewegungen, die bereits in vielen Ländern entstehen. Nur dann wird etablierte Politik die Interessen der Mehrheit der Menschen gegen die Interessen des Geldes vertreten. Die Proteste gegen die WTO-Konferenz in Seattle, oder die Verhinderung des Multilateralen Investitionsabkommens (MAI) durch eine breite, weltweit getragene Kampagne zeigen, daß sehr wohl Einflußmöglichkeiten bestehen. Und die massiven Bemühungen, durch Reppression, Kriminalisierung und Zensur den Widerstand zum Schweigen zu bringen, zeigen, daß die Machthabenden das wissen (und fürchten). Eine Bewegung für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte und eine "Rückkehr zum menschlichen Maß", muß vielfältige Aktionsformen nutzen: von der Aufklärung über Mechanismen und Hintergründe der Globalisierung, über Lobbyarbeit bis zum öffentlichkeitswirksamen Protest.
Was will ATTAC ?
ATTAC steht für eine neuerwachte soziale Bewegung, die vor allem in Frankreich entstanden ist. Ignacio Ramonet, Herausgeber der Le Monde diplomatique, oder Susan George, Präsidentin des Observatoire de la Mondialisation in Paris gehören zu ihren BegründerInnen. Die Aufklärung der BürgerInnen über Zusammenhänge und Wirkungen der Globalisierung, und über Möglichkeiten einer alternativen, sozial gerechteren Weltwirtschaft stehen im Vordergrund. Bereits über hundert französische Parlamentsabgeordnete unterstützen inzwischen öffentlich die Forderungen von ATTAC. Trotzdem machte die Soziologin Susan George in einer Podiumsdiskussion (am 30. Mai im Berliner "Haus der Kulturen der Welt") sehr deutlich, daß der Widerstand sich letztlich nicht mehr auf etablierte Institutionen verlassen kann. Selbst die UNO habe sich großteils dem Diktat der Wirtschaft untergeordnet: "This is a war of corporations against the people." Zugleich betonte sie jedoch ihren Optimismus, angesichts der enormen Zahl der Betroffenen. Jüngstes Beispiel für die Zahnlosigkeit der Politik lieferte übrigens die "Konferenz über modernes Regieren im 21. Jahrhundert", am 2./3. Juni in Berlin. 21 Staats- und Regierungschefs einigten sich hier nach zweitägigem Palaver immerhin auf so entschlossene Absichten wie "Chancen für alle, Verantwortung seitens aller und Gemeinschaft mit allen". Noch überzeugender das Fazit des brasilianischen Präsidenten Cardoso: "Wir wollen eine bessere Welt." Ja, wir auch...
Wo bleibt ATTAC Deutschland ?
In Deutschland war von Aufbruchstimmung bisher noch wenig zu spüren. Die taz, die netterweise jeden ersten Freitag im Monat eine übersetzte Ausgabe der Le Monde diplomatique beilegt, enthielt ihren LeserInnen ausgerechnet den Artikel von Ignacio Ramonet vor, der in Frankreich zum Zündfunken der ATTAC-Bewegung wurde. Auch bei der oben erwähnten Veranstaltung in Berlin, an der neben George und Ramonet auch der kapitalismuskritische Philosoph Richard Sennett und Alex de Waal von African Justice teilnahmen, blieb die Resonanz des Publikums eher zurückhaltend. Im neugegründeten Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte haben sich jetzt jedoch über fünfzig Nichtregierungsorganisationen zusammengeschlossen - u.a. WEED, share e.V., Pax Christi, BUND und viele weitere entwicklungspolitische, kirchliche, feministische und internationalistische Organisationen. Das Netzwerk fordert:
*Die Einführung einer Steuer auf internationale Finanztransaktionen (z.B. Tobin Tax) *Die Schließung der Steuer-Paradiese und "Off-Shore-Zentren" *Keine Privatisierung der Alterssicherung (z.B. Pensionsfonds) *Das Verbot von spekulativen Derivaten und der hochspekulativen "Hedge-Funds" *Schuldenstreichung für die Entwicklungsländer *Strengere Banken- und Börsenaufsicht auch für die sog. institutionellen Anleger *Stabilisierung der Wechselkurse zwischen den drei Hauptwährungen Dollar, Euro und Yen *Die demokratische Umgestaltung internationaler Finanzinstitutionen *Die stärkere Besteuerung von Kapitaleinkünften und großen Vermögen.
Weitere UnterstützerInnen der Erklärung (auch Einzelpersonen) werden gesucht. Kontakt und Informationen im Internet sind zu finden unter:
info@share-online.de
www.share-online.de www.attac.org oder über: Share, Ökozentrum, Artilleriestr.6, 27283 Verden, 04231/957-591, fax 957-594
Spenden an: Share e.V., Stichwort Finanzmärkte, Kt. 10 15 15 0 bei der Ökobank, BLZ 500 901 00
Juliane
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