Oldenburger STACHEL Ausgabe 11/00      Seite 5
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Komm mit zum "Aufstand der Anständigen" --

da kannste was erleben!

Während ca. 600 Nazis am 21.10. in Dortmund relativ ungestört aufmarschieren konnten, feierten ca. 15.000 BesucherInnen mit dem Bürgermeister auf dem Hansaplatz den "Aufstand der Anständigen" und die Polizei scheuchte ca. 4000 Menschen in der Innenstadt herum, die den NPD-Aufmarsch verhindern wollte. Dabei kam es zu mehreren Einkesselungen, über 350 AntifaschistInnen wurden in Gewahrsam genommen. Wilde Randalierer? Keineswegs! Ich kann ja mal erzählen...

Angemeldet war eine Demonstration zum Platz der alten Synagoge, die zwangsläufig die Marschroute der Nazis gekreuzt hätte. Diese Demo wurde verboten, die der NPD erlaubt. Das wollten wir uns natürlich nicht gefallen lassen und versuchten, trotzdem diesen Weg zu nehmen. Schon bald, nachdem die Demo den Hansaplatz verlassen hatte, machte sich die Polizei daran, Teile der Demo abzuspalten und nach Möglichkeit einzukesseln. Man ging in eine Seitenstraße - und plötzlich war hinter einem keine Demo mehr, sondern eine Polizeisperre. Also schnell vorwärts, bevor da auch noch eine auftaucht.

Schließlich gelang es, sich wieder zu sammeln und mit einem ziemlich großen Teil der Demo auf der geplanten Strecke bis zum Heiligen Weg zu gehen. Dabei kam es dann zur "Eskalation": Zwei Leuchtkugeln wurden in die Luft geschossen und ganze zwei Flaschen habe ich von hinten an mir vorbeifliegen sehen, nachdem die Polizei versucht hatte, uns mit einem Knüppeleinsatz von der Straße zu jagen. Von "Autonomen" geworfen? Vielleicht. Vielleicht aber auch von "Alkoholikern" - die letztere Gruppe ließe sich sogar eher ein- und ausgrenzen. Aber das ist ja grade das Praktische an den "Autonomen": Wenn man welche braucht, kann man jeden beliebigen Haufen so nennen.

Am Heiligen Weg war allerdings Schluß - der Name lädt ja auch zum Verweilen ein. Wir standen nur kurze Zeit vor einer massiven Polizeisperre, da mussten wir auch schon feststellen, daß die Polizei auch hinter uns die Straße dichtmachte. Dazwischen befand sich das gesamte vordere Ende der Demo - etwa 250 Menschen, darunter SchülerInnen, viele AusländerInnen und einige PassantInnen.

Etwa 3-4 Stunden waren wir eingekesselt, wobei die Polizei gelegentlich versuchte, den Kessel enger zusammenzudrängen. Dem wurde mit Hinsetzen begegnet. Die Stimmung war die ganze Zeit sehr gut, es wurden fast ununterbrochen Parolen gerufen und sogar gemeinsam gesungen. Schließlich kamen mehrere Durchsagen der Polizei, daß sie uns jetzt mitnehmen wollen, um unsere Personalien festzustellen. Wer "freiwillig" mitginge, würde auch ganz schnell wieder freigelassen. Das brachte viele, die vernünftig dachten und ihren Zug oder Bus nicht verpassen wollten, dazu, sich wie die Schafe zur Schlachtbank - äh, Verzeihung: sich zu den Bussen zu begeben, mit denen sie dann zur Ingewahrsamnahme in die sogenannte "Gesa" (Gefangenensammelstelle) gebracht und ebenso lange festgehalten wurden wie alle anderen. Auch ich wollte meinen letzten Zug nicht versäumen und hatte mich bereits hinten angestellt, als eine Stimme über Megaphon etwas Licht in die Angelegenheit brachte: "Niemand von uns will freiwillig da hin...". Stimmt eigentlich. Und wollten wir nicht vorwärts kommen? Da braucht man sich um den Rückweg keine Sorgen zu machen! Also habe ich mich wieder hingesetzt.

Ein großer Teil der Eingekesselten folgte lieber dem freien Willen als der Polizei und blieb sitzen. Bei der Räumung ging die Polizei teilweise sehr brutal vor; es wurde geknüppelt, an den Haaren gezogen und Menschen an den unterschiedlichsten Körperteilen über den Boden geschleift. Bei den Bussen wurden uns die Hände auf dem Rücken gefesselt. Alle wurden mehrmals gründlich durchsucht, Fotos wurden gemacht, die Personalien aufgenommen und dann ging es ab in den Tigerkäfig. In einer halb offenen Großgarage waren mehrere etwa 25 m$^2$ große Käfige aus Metallgitter auf dem Betonboden aufgestellt. Um diese Jahreszeit eine recht ungemütliche Unterbringung, die aber wenigstens zu einem dramatischen Lebensgefühl beitrug.

Bei der gesamten Prozedur soll es immer wieder zu üblen Sprüchen von einzelnen Polizisten gekommen sein. So wurde z.B. einigen Jugendlichen gesagt, sie würden "an die Wand gestellt". Viele durften nicht auf's Klo oder nicht telefonieren. Dabei scheint sich die Polizei darauf spezialisiert zu haben, insbesondere jüngere Demo-TeilnehmerInnen einzuschüchtern. Einige Jugendliche haben deshalb zusammen mit ihren Eltern gegen die Ingewahrsamnahme und die Behandlung, die sie dort erfahren haben, geklagt.

Eingekesselt und später "in Gewahrsam genommen" wurde auch eine Frau, die sich mit einer akuten Wurzelvereiterung auf dem Weg zum Zahnarzt befand. Auch diese "Autonome" wurde erst am späten Abend wieder freigelassen. Ich traf sie nach meiner Freilassung vor der "Gesa", wo wir gemeinsam auf die letzten Gefangenen warteten. Ihr ausländischer Freund, der sie zum Zahnarzt begleiten wollte und kein Deutsch konnte, wurde besonders lange festgehalten. Er dürfte wohl kaum eine Chance gehabt haben, zu verstehen, was er verbrochen haben soll. Die Frau verstand recht gut: "Bisher dachte ich, wir leben in einem Rechtstaat. Aber jetzt glaube ich das nicht mehr!" schimpfte sie.

Was lernen wir daraus? Daß wir in einer seltsamen Welt leben und ein "Aufstand der Anständigen" immer auch ein Aufstand gegen die Herrschenden ist, egal, ob sie selbst dazu aufrufen oder nicht. Daß auf die Teilnahme an verbotenen Demonstrationen neuerdings ein bißchen Knast steht, ganz ohne Gerichtsverfahren und unter Haftbedingungen, die eigentlich Amnesty International auf den Plan rufen müssten.

Der Presse nicht zu glauben, die alle, die auf Demonstrationen polizeilichen Übergriffen ausgesetzt sind, pauschal als "gewaltbereite Autonome" bezeichnet.

Und den Lügen der Polizei nicht zu glauben, sondern konsequent den eigenen Weg zu Ende zu gehen.

mai

 

 
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