Oldenburger STACHEL Ausgabe 12/00      Seite 14
 
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NS-Medizin in Oldenburg

Bloßes Gedenken ist nicht ausreichend

In einer Zeit offen vertretenen Nazi-Gedankenguts ist es unentschuldbar, wenn die Gesellschaft keine Aufklärung über den historischen Rechtsextremismus gibt. In Oldenburg wurde in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Wehnen - LHA - in großem Ausmaß sogenannte "Euthansie" betrieben. "Euthanasie" soll vom ursprünglichen Gedanken einen schönen Tod bringen. Doch die Menschen wurden in Wehnen mit entsetzlichen Methoden gequält und am Rande des Hungertodes gehalten, bis sie schließlich starben. Die ideologische Vorbereitung hierfür wurde von "Halbgöttern in Weiß" lange Zeit vor dem NS-Regime betrieben.

Die Sterberate in der LHA war von 1935 bis 1947 derartig gestiegen, daß sich natürliche Todesursachen von selbst ausschlossen. Doch von den ÄrztInnen, StandesbeamtInnen, PastorInnen und HistorikerInnen, die später Einsicht in die Sterberegister hatten, gab es keine öffentliche Reaktion. Erst die Studie von Dr. Ingo Harms deckte die Ermordung Hunderter PatientInnen auf. Noch viel später, nämlich am 1.9.00, über 55 Jahre nach Kriegsende, fand die öffentliche Anerkennung der Greueltaten mit einer Gedenkstunde für die Opfer statt. Mit den Redebeiträgen aus niedersächsischem Sozialministerium und von einer Ärztin aus Leer waren auch warnende Hinweise auf die Entmenschlichung des heutigen Gesundheitswesens im Rahmen der zunehmenden Merkantilisierung (Verwirtschaftlichung) der Medizin zu hören.

Der Arbeit von Dr. Harms ist die bestürzende Erkenntnis zu entnehmen, daß fast die gesamte Oldenburger Ärzteschaft aktiver Teil eines sich brutalisierenden Gesundheitswesens wurde, in welchem die PatientInnen zu "Erbverdächtigen" und Zeugungsgefährlichen" mutierten. Vielleicht vergleichbar mit der Willkür der Hexenverfolgungen entlockte man ihnen mit peinlichen Befragungen und demütigenden Untersuchungen "Geständnisse". Sie wurden vor dem "Erbgesundheitsgericht" angeklagt und zu Vasektomie, Kastration, Entfernung der Gebärmutter oder anderen Formen der Unfruchtbarmachung verurteilt.

ÄrztInnen, Pfleger und Schwestern, Medizinal- und FürsorgebeamtInnen waren in das System erbbiologischer Ausforschungen eingebunden. Bei Konsultationen, Hausbesuchen, Visiten, Untersuchungen und den als Sozialdienst getarnten Familienbesuchen durch die "Nationalsozialistische Volkswohlfahrt" NSV wurde geschnüffelt, verdächtigt und denunziert. Jederzeit mußte man mit einer Anzeige rechnen, ein Besuch in der Psychiatrie konnte verhängnisvoll sein.

Einrichtung einer Forschungsstelle

Um sachlich fundiert aufklären zu können, ist die Einrichtung einer Forschungsstelle "Nationalsozialistische Gesundheits- und Sozialpolitik im Land Oldenburg" unabdingbar.

Über die Gesundheits- und Sozialpolitik im Lande Oldenburg während des Nationalsozialismus existieren - trotz Aktenvernichtungen - umfangreiche Quellen. Einige davon waren Grundlage der Untersuchung der NS- Euthanasie in der früheren Heil- und Pflegeanstalt Wehnen.

Darüber hinaus eröffnet die Quellenlage Möglichkeiten, sich dem Phänomen einer rassistischen Medizinalpolitik als Staatsideologie auf den verschiedensten Ebenen zu nähern. Am Beispiel Oldenburgs könnten die Entwicklung und Praxis des rassenhygienischen Paradigmas als Staatsideologie nachgezeichnet werden. Verbunden mit einer Gedenkstättenarbeit könnte diese Forschung einen praktischen Bezug herstellen und ihren Beitrag im gegenwärtig so notwendigen Kampf gegen Rassimus und Neonazismus leisten.

Ein weitgehend unerforschtes Kaptitel der NS-Gesundheitspolitik ist die "Aktion Brandt". Karl Brandt, Hitlers "Leibarzt" und Organisator der Euthanasiemorde, errichtete ab 1941 Ausweichkrankenhäuser in ländlichen Gebieten. Angeblich dienten sie dem Schutz vor Luftangriffen, doch tatsächlich sollten unheilbar Kranke unauffällig beseitigt werden. Bis 1945 wurden diese baugleichen Anlagen zu Dutzenden im ganzen Reich aufgestellt, die ersten davon im Oldenburger Land, und zwar in Blankenburg, Huntlosen/Hosüne und Hahn- Lehmden. Von der bislang einzig beforschten Anlage Köppern im Taunus wurden hohe Sterblichkeiten und Einzeltötungen nachgewiesen. Die Untersuchung über die oldenburgischen Anlagen mußte mangels Finanzierung abgebrochen werden. Dennoch konnten Erkenntnisse gewonnen werden, die den Anfangsverdacht, daß es sich mindestens in Teilen um eine "Euthanasie"-Klinik handelte, bestätigt werden. Die Sterblichkeit lag in der Größenordnung der Wehnen-Mortalität, und war damit außerordentlich hoch. Die Leichenkühlkammern waren stets voll. Eine Pathologie war eingerichtet worden - für ein Katastrophenkrankenhaus in den letzten Phasen des Krieges eine aufwendige und auffällige Einrichtung. Die Oldenburger Bevölkerung weigerte sich, ihre kranken Verwandten nach Huntlosen verbringen zu lassen; die Klinik war offensichtlich über Strecken nur halb belegt. Auch die Todesursachen sind auffällig und entsprechen zu fast 90 Prozent den in den Euthanasie-Kliniken verwendeten Deckbezeichnungen für den Krankenmord: Allgemeiner körperlicher Verfall, Herzsymptome, Lungenentzündung. Die vorhandenen Quellen in Verbindung mit den im Bundesarchiv und Militärarchiv Freiburg aufzusuchenden Beständen könnten zur Datenbasis der allgemeinen Aktion-Brandt-Forschung werden und die Frage beantworten, in welchem Ausmaß die NS-Euthanasie gegen Ende des Regimes auf das gesamte Krankenwesen übergriff.

Gerold Korbus

Quellen: Dr. Ingo Harms, "Wat mööt wi hier smachten...". Hungertod und "Euthanasie" in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen im "Dritten Reich", Osnabrück 1996. Dr. Ingo Harms, NS-Medizin in Oldenburg, AStA Carl-von-Ossietzky-Universität, 11/00

 

 
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