Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/01      Seite 6
 
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DAG-Vorsitzender kungelt mit Bossen

DAG-Chef Issen erklärt Opfer für schuldig

Im Bereich von vier Millionen liegt die Zahl der Erwerbslosen in der BRD. Für ungefähr jede zehnte Person gäbe es eine freie Stelle, wenn die Stellenbeschreibung und die Qualifikation deckungsgleich wären. Der Vorsitzende der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) Roland Issen behauptet, daß diese für viele mißliche Situation spürbar durch mehr Druck auf die Arbeitslosen zu verändern wäre.

Issen als EU-Gegner

In einem Interview mit der Berliner Morgenpost sagte er: "...Wir müssen miteinander aber auch darüber sprechen, wie wir Arbeitslose verstärkt dazu bewegen können, einen Job anzunehmen. ... Ich sehe das im Zusammenhang mit der in einigen Jahren bevorstehenden Osterweiterung der Europäischen Union: Bevor wir in hoher Zahl Arbeitnehmer aus Osteuropa in die Bundesrepublik holen, müssen wir erst einmal überlegen, wie wir das hiesige Beschäftigungspotential besser nutzen. Und dazu zählt auch Druck auf Arbeitslose, eine Stelle anzunehmen." (1) Dies will er im Februar ins Bündnis für Arbeit einbringen.

Ein Prinzip der Europäischen Union ist die Freizügigkeit. Herr Issen wird die Menschen also nicht holen müssen. Sie werden von selbst kommen und das ist gut so. Wie soll Druck auf die Menschen die Erwerbssituation verbessern, wenn es keine Stellen gibt? Mit einem Chefsessel-Gehalt läßt sich wohlfeil durch die Medien gackern. Doch viele Erwerbstätige und viele Erwerbslose empfinden diese Äußerungen als Schlag ins Gesicht.

DAG ruft zur Denunziation auf

DAG-Chef Issen: "Es gehört beispielsweise die Bereitschaft der Arbeitgeber dazu, künftig den Arbeitsämtern zu melden, wenn Arbeitslose, die von den Arbeitsämtern zur Vorstellung geschickt werden, dort ihr Nichtinteresse an der freien Stelle offen zu erkennen geben." (1) Damit plädiert der Vertreter der DAG für Arbeitszwang. Mißbrauch wird möglich: Bei Bewerbungsgesprächen ist mensch meist allein. Keine Äußerung ist dem Interview etwa über die stetige Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse zu entnehmen. Den Bewerbungszwang gibt es seit langem. Ebenso lange gibt es einen ganzen Katalog von Zwangsmaßnahmen wie z.B. verschieden lange Sperrzeiten für das Ablehnen von Arbeitsstellen. Neu ist an den Äußerungen des Herrn Issen lediglich, daß ein gewählter hoher Vertreter einer Gewerkschaft dies so klar in der Öffentlichkeit zum Schlechten gibt.

Die DAG predigt den Sozial-Neid

DAG-Chef Issen weiter: "Auch die Gewerkschaften dürfen nicht länger darüber hinwegsehen, daß die Geduld all derjenigen sinkt, die Monat für Monat von ihrem Gehalt Steuern und Sozialabgaben zahlen - während andere, auch Arbeitslose, durch eine «Beschäftigung nebenher» genau so gut oder mehr verdienen." (1) Ist es die Aufgabe eines Gewerkschaftsvorsitzenden, Menschen in schlechte und gering bezahlte Arbeit zu zwingen? Wenn das Gehalt von ArbeitnehmerInnen so gering ist, daß es im Bereich von Sozialhilfe liegt, sollte Herr Issen sich lieber darum kümmern, das Einkommen seiner Mitglieder zu erhöhen. Die beste Motivation, arbeiten zu gehen, besteht immer noch in vernünftigen Tätigkeiten bei angemessener Bezahlung.

Der (noch) DAG-Vorsitzende sucht neue Stelle

In wenigen Monaten werden einzelne Gewerkschaften zur "Ver.Di" zusammen gehen. Die Tage des Gewerkschaftsvorsitzes eines Herrn Issen sind damit gezählt. Er hofft wohl auf eine Stelle im Management. Die DAG muß nun zeigen, ob sie mit dem Arbeitgeberfreund Issen geht oder sich lieber für ihre Mitglieder einsetzt. Denn auch die sind den Widrigkeiten der Arbeitswelt ausgesetzt.

DAG gegen Erwerbslose

In den vergangenen Monaten war die DAG mehrfach Thema im Oldenburger STACHEL. Denn die DAG unterhält ein "Bildungswerk", das sie "Deutsche Angestellten Akademie" (DAA) nennt. Diese wiederum betreibt in Oldenburg einen Kurs "Integrationszentrum" (DAA-IZ). Über die Praktiken dort berichtete der STACHEL bereits. "Schlecht beraten beim Arbeitsamt" wurde ein Erwerbsloser in eine solche "Maßnahme" gesteckt. "Hauptsache Arbeit" - ((2): Vgl. STACHEL 7/00) In der "Praxisphase" der Maßnahme werden für die Wirtschaft im Oldenburger Bereich billige PraktikantInnen vermittelt. Die behauptete Zielsetzung ist Vermittelung aus der Praxis in unbefristete Arbeitsverhältnisse. Was daraus entsteht, scheint Arbeitsamt und DAA-IZ ziemlich schnurz zu sein. Im dort beschrieben Fall war die Firma dauerhaft pleite, was beim Arbeitsamt bereits lange aktenkundig war. Aber auch die öffentlich verzeichnete Eidesstattliche Versicherung des Firmenchefs hielt DAA-IZ nicht davon ab, mehrfach PraktikantInnen in die stadtbekannte Pleitefirma zu vermitteln. Dies ist möglicherweise Beihilfe zu strafbarem Handeln, ein Ermittelungsverfahren läuft.

DAA-IZ wird übrigens gemeinsam von DAG, BfW und Handwerkskammer Oldenburg betrieben. BfW ist das Berufsförderungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB. BfW und DGB sind aufgefordert, bei DAA-IZ einmal nach den Rechten zu sehen.

Daß es sich keinesfalls um einen "Einzelfall" handelt, wurde auch durch Zuschriften an den STACHEL bestätigt. Die Firma Gerhard Knop hat inzwischen die Räume am Stubbenweg 3 in Oldenburg geräumt. Doch es ist zu erwarten und auch angekündigt, daß die strafbaren Machenschaften andernorts wieder aufgenommen werden.

"Die" Gewerkschaften gegen Erwerbslose?

Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) berichtete, "die Gewerkschaften" wollten mehr Druck auf Arbeitslose ausüben. Tatsächlich hat sich hier die DAG allein aus dem Fenster gehängt. Johannes Jakob vom DGB-Bundesvorstand zum Oldenburger STACHEL: "Herr Issen ist bekanntlich Vorsitzender der DAG, die nicht Mitglied im DGB ist. Insofern kann Herr Issen sicherlich nicht für alle Gewerkschaften gesprochen haben. ... Wir gehen davon aus, daß die weit überwiegende Anzahl der Arbeitslosen sowohl arbeitswillig als auch motiviert ist. Deswegen ist zusätzlicher Druck nicht erforderlich. Allerdings sehen wir die Notwendigkeit das Vermittlungsinstrumentarium der Arbeitsämter zu verbessern. Hierzu laufen zur Zeit verschiedene Modellversuche, die zunächst abgewartet werden sollten."

IG-Metall-Vorsitzender Klaus Zwickel zum Interview von Roland Issen:

"Für uns haben der Abbau der Arbeitslosigkeit und die Schaffung neuer Arbeitsplätze absolute Priorität. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind hervorragend. Die Unternehmen fahren einen Produktions- und Gewinnrekord nach dem anderen ein. Gleichzeitig ist die Lohnquote - also der Anteil der Löhne und Gehälter am Umsatz - weiter gesunken. Der Abbau der Arbeitslosigkeit geht dennoch nur im Schneckentempo voran. Die Arbeitgeber verweigern den im Bündnis für Arbeit zugesagten Abbau von Überstunden. Sie wickeln vielmehr die zusätzliche Arbeit über noch mehr Überstunden und über immer mehr Leiharbeiter ab. Das kann und darf nicht so weiter gehen. 2001 muß zum Jahr der Neueinstellungen werden. Wir brauchen eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsoffensive. Das wird in den nächsten Monaten zum zentralen Thema des Bündnisses für Arbeit werden müssen.

Kein zentrales Thema im Bündnis für Arbeit ist für uns die Frage, wie der Druck auf Arbeitslose verstärkt werden kann, einen Job anzunehmen. Natürlich mag es im Einzelfall Drückeberger geben. Doch denen kann man mit den vorhandenen Möglichkeiten auch heute schon die Tour vermasseln. Sicher können wir die Arbeitsmarktpolitik an der einen oder anderen Stelle noch effizienter machen. Aber unser Hauptproblem sind nicht die, die sich vor Arbeit drücken. Unser Hauptproblem ist, daß in der Bundesrepublik über 3,5 Millionen Arbeitsplätze fehlen. Und daß der Arbeitsdruck für einen Teil der Arbeitnehmer immer stärker zunimmt und andere dauerhaft arbeitslos bleiben."

Druck machen für Arbeitsplätze - nicht auf Arbeitslose!

In einem Brief an den Vorsitzenden der DAG Roland Issen hat die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen Issens Forderung lasch kritisiert, auf Arbeitslose mehr Druck zur Annahme einer Stelle auszuüben. Die Äußerungen des DAG-Chefs seien geeignet, "das gesellschaftliche Klima zu vergiften und Vorurteile gegen Arbeitslose zu schüren." Die Koordinierungsstelle fordert hingegen, Druck zu machen für Arbeitsplätze - nicht auf Arbeitslose! (3)

Die Forderungen der ALSO

Bei der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) war keine große Überraschung zu vernehmen. Entspricht die Äußerung des Herrn Issen doch verbreiteter Hetze gegen Erwerbslose. Die ALSO forderte bereits vor den Äußerungen des Herrn Issen, mit der Arbeitspflicht Schluß zu machen. Außerdem verlangt sie ein einheitliches Existenzgeld und damit eine garantierte Grundsicherung für alle, radikale Arbeitszeitverkürzung und die Umverteilung von Arbeit und Reichtum sowie die Öffnung der Grenzen für alle.

Gerold Korbus

Quellen:

(1) http://www.berliner-morgenpost.de/archiv2001/010108/ politik/story381563.html

vgl.: http://www.frankfurter-rundschau.de/archiv/fr30t/ h120010108025.htm

Önoindent (2) http://www.stachel.de//00.07/7ARBEIT.html

Önoindent (3) http://www.erwerbslos.de

Önoindent Weitere lesenswerte Verweise zum Thema: http://www.also-zentrum.de, http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/, http://www.existenzgeld.de/

Önoindent Lesenswertes auf Papier:

Siesta, Zeitung der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg, Siesta c/o ALSO, Kaiserstraße 19, 26122 Oldenburg, siesta@also-zentrum.de, Tel. 0441,16313, Fax 16394. Erscheinungsweise unregelmäßig, 3 Mal im Jahr.

quer, überregionale und unabhängige Zeitschrift für Erwerbslose, Postfach 1363, 26003 Oldenburg, Tel. 0441-9558449, Fax 9558443. Erscheinungsweise zweimonatlich.

 

 
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