Oldenburger STACHEL Ausgabe 3/01      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Castor-Blockaden in Gorleben

Oder: Das unheimliche Wachstum des Atommüllberges

Ein paar Tage nach dem 24. März sollen sechs noch immer nicht 100%ig trockenzukriegende, niemals unfallerprobte und radioaktiv strahlende Castoren die Fahrt von der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) im französischen La Hague zum Zwischenlager in Gorleben antreten. Durch dichtbesiedelte Gebiete, vorbei an französischen und deutschen Vorgärten soll sich die radioaktive Fracht nach Nordosten schlägeln. Das wäre der erste Transport von Behältern mit hochradioaktivem Müll seitdem die damalige Umweltministerin Merkel 1998 den Transportestopp aufgrund des Castor-Skandals erlassen hatte. Die Castoren sind dieselben geblieben.

Schnitt ... Das war die Einleitung. Folgend werden die Themen ,,Endlagerung und Atommüllbergwachstum``, ,,Was der Castor mit dem Weiterbetrieb zu tun hat`` und ,,Wie staatliche Behörden Genehmigungen für Interims- und Zwischenlager schaffen`` näher beleuchtet. Erst am Ende im Abschnitt ,,AKW? - Nein Danke!`` stehen konkrete Infos zu den anstehenden Anti-Castor Aktionen in und um Gorleben mit Telefonnummern und Kontakten. Wer die Hintergründe kennt, kann direkt dorthin springen. ... Schnitt Ende.

Endlagerung und Atommüllbergwachstum

Es wurde weltweit bis heute kein Ort gefunden, der sich in vertrauenswürdigen wissenschaftlichen Untersuchungen als geeigneter Lagerplatz für die noch hunderttausend Jahre lang strahlenden Stoffe erwies. Es gibt kaum Regionen, die nicht geologischen Veränderungen in einem solchen Zeitraum unterlegen sind. Das gilt auch für den Gorlebener Salzstock, in dem Deutschland plant ein Endlager einzurichten. Im Grunde genommen ist heute mehr denn je bekannt, daß Salzstöcke chemisch, physikalisch und radiologisch sehr ungeeignet sind Atommüll zu beherbergen. Salzstöcke können durch Wassereinbruch zu Teil gelöst, und damit zu saurem oder basischem Medium werden, das chemische Korrosionen verursacht. Dadurch käme radioaktiver Müll in das Wasser und würde verteilt werden bzw. ins Grundwasser gelangen können.

Ausgediente Erzbergwerke, wie der als Endlager angedachet Schacht Konrad, können einstürzen, weil die von Menschenhand gebauten Befestigungen der Hohlräume dem Druck der oberen Erdschichten nicht ewig standhalten und somit die Behälter des Atommülles beschädigen oder zerstören können. In Regionen und Tiefen von Erzvorkommen gab es geologische Schmelz- und Druckprozesse, nämlich diejenigen, die zu Entstehung von Erz beigetragen haben, was ein Indiz dafür ist, daß gerade Stätten mit Erzgesteinevorkommen geologisch aktive Orte sind.

Mit dem Verbot von 1993, radioaktiven Müll in Fässern auf dem Meeresboden zu lagern, ist bereits eine Konsequenz aus der Erkenntnis gezogen worden, daß das Meer den Müll nicht zudeckt. Das Meerwasser kann zwar gut die radioaktiven Strahlen abbremsen, aber gerade in den untersten Schichten finden Transportprozesse statt, die die radioaktiven Partikel in andere Regionen und höhere Schichten tragen. Selbst sich in den unteren Schichten befindende Partikel können über Mikroorganismen in die Nahrungsketten eingehen, an deren Ende ein Landsäugetier (Wie? Ich? - der Tipper) steht. Die WAA dürfen noch heute über Pipelines hochradioaktive Abwässer ins Meer leiten. In Sellafield sind das 3 Milliarden Liter (3.000.000.000 Liter!) pro Jahr für die Irische See. Die Plutoniumfabrik in La Hague leitet jährlich 500 Millionen Liter in den Ärmelkanal. Aus diesen Angaben ist bereits zu erkennen, daß eine WAA nicht nur aus ,,alten`` Brennstäben ,,neue`` Mischoxid-Brennstäbe herstellt, sondern hauptsächlich radioaktiven Müll produziert. Auch festen, für den es kein Endlager gibt. Denn alles, was mit dem hochradioaktiven Müll in Berührung kommt, wird selber radioaktiver Müll.

Es ist also egal, wohin die Castoren den Müll bringen, sie bringen ihn dabei nie weg! Sie verteilen ihn nur, und insgesamt gesehen wächst der atomare Müllberg mit jedem Tag an dem weltweit hunderte Kernkraftwerke betrieben werden an.

Atommüll entsteht auch bei der Herstellung von UO2-(Urandioxid)Brennstäben, ein zumindest in Deutschland gängiger Brennstabtyp. Natürliches Uran kommt im Uranerzgestein nur mit einem Anteil von in der Regel unter 0.5% vor. Und in diesem natürlich Uran kommt das für den Spalt- und damit Wärme- oder Elektrizitätserzeugungsprozeß notwendige Uranisotop U-235 nur zu 0,7% vor und muß auf 3% angereichert werden. Unter Erzeugung reicher Mengen chemisch giftiger und radioaktiver Schlämme wird über Zwischenstufen aus dem Gestein der Brennstab hergestellt.

Was der Castor mit dem Weiterbetrieb zu tun hat

Oder: Wie soll eine Fuhre von Müll unter den eben genannten Gesichtspunkten zum Ausstieg aus der Atomenergie beitragen?

Glaubt mensch regierungsamtlichen Verlautbarungen, so deshalb, weil die Rücknahme von deutschem Atommüll aus der WAA in der Verantwortung ,,der Deutschen`` gegenüber ,,den Franzosen`` liegt, und weil laut dem Atomkonsens der Bundesregierung mit den Energiekonzernen (Der übrigens seitens der Wirtschaft noch nicht mal unterzeichnet ist! - seine Tipprigkeit), die Atomkraftwerke in schon 20 Jahren abgeschaltet werden sollen.

Dabei wird natürlich nicht erwähnt, daß in diesem Zeitraum schätzungsweise nochmal soviel atomarer Müll anfallen wird, wie es heute durch die Atomkraftwerke schon gibt. Von Verantwortungsgefühl gegenüber den in Frankreich lebenden Menschen kann auch nicht die Rede sein, weil in Gesprächen des Bundeskanzlers Schröder mit dem Französischem Premier im Oktober 2000, letzterer darauf bestand, daß bevor neuer Atommüll nach Frankreich exportiert wird mindestens eine symbolische Fuhre von 6 Castoren aus La Hague nach Deutschland Reimportiert werden muß. Im Oktober hatte die Französische Regierung deshalb sogar einen Castor-Transport vom AKW Philippsburg in die Plutoniumfabrik mit dem Argument vereitelt. Die ersten 6 Castoren von La Hague wohin auch immer erwirken also die ,,Erlaubnis``" wieder Müll nach La Hague zu liefern. Und da das nicht den Ausstieg aus der Kernenergie bedeutet, ist der Atomzug nach Gorleben um den 27. März auch kein ,,guter`` Castor.

Wie staatliche Behörden Genehmigungen für Interims- und Zwischenlager schaffen

Oder: Warum hatte es überhaupt den Transport ab Philippsburg geben sollen?

Wie in den meisten deutschen AKW sind auch in Philippsburg die Abklingbecken für abgebrannte Brennelemente so voll, daß nach dem nächsten Brennelementewechsel für eine Gefahrenräumung des Reaktorkerns kein Platz mehr wäre. Es gibt also für dieses Kraftwerk nur die Möglichkeiten Abtransport, neue Lagerungsmöglichkeiten in der Nähe des AKW oder sofortige Abschaltung. Abtransport wäre im Interesse der AKW-Betreiber und der in den AKW arbeitenden und finanziell vom AKW profitierenden Menschen gewesen. Die Bundesregierung und teilweise auch Länderregierungen setzen sich für die Schaffung von gesetzlich erlaubten Ablagemöglichkeiten (Interims- und Zwischenlager) auf den AKW-Geländen ein, weil Atomtransporte von einem Teil der Bevölkerung geächtetet und durch die Widerstände der Anti-AKW-Bewegung teuer sind. Und das nicht erst seit dem Castor-Skandal. Politisch billiger für den Staat ist es, die Höchstgrenze dessen, was an radioaktiven Materialien neben dem Kernkraftwerk gelagert werden darf, zur erhöhen. Also Zwischenlagerung vor Ort.

Die Behörde Trittins, des amtierenden Bundesumweltministers und Mitglieds der Grünen, hat sich für die Situation, daß in Philippsburg die Höchstgrenze des erlaubten Atommülls auf dem AKW-Gelände überschritten würde, einen juristischen Trick ausgedacht. Nachdem ja der Transport in die WAA in La Hague nicht geklappt hatte. Er ließ die 6 fertig bepackten, abfahrbereiten Castoren als ,,fiktiven`` Atommüll definieren, als Müll, der eigentlich schon nicht mehr auf dem Gelände steht und deshalb auch dann noch legal ist, wenn sein Vorhandensein die gesetzliche Grenze sprengt. (Wer das jetzt nicht versteht, braucht sich keine Sorgen zu machen, Trittins Begründung ist wirklich so verrückt. der Tippa) Dieses juristische Schlupfloch ist u. a. auch für die abfahrbereiten und für den Transport genehmigten Behälter in Neckarwestheim anwendbar. Und sichert erstmal den Weiterbetrieb betreffender AKW. Stade, Biblis, Grafenrheinfeld, Neckarwestheim und die meisten anderen dt. AKW wären ansonsten gesetzlich und sicherheitstechnisch jetzt gezwungen abzuschalten.

Der Präsident des Bundesministeriums für Strahlenschutz in Salzgitter, Wolfram König, hat eine Arbeitsgruppe für die Erarbeitung der Genehmigung von Interimslager in Deutschland eingesetzt. Er zeigte sich in einer Pressemitteilung am 16.01.2001 zuversichtlich, daß das BfS bis Ende Februar eine Genehmigung für ein Interimslager in Neckarwestheim unter Anordnung einer sofortigen Vollziehbarkeit gibt. Danach kann, voraussichtlich in 5 Jahren, der Bau eines ,,ordentlichen Zwischenlagers`` stattfinden. Einer der Unterschiede zwischen Interims- und Zwischenlager ist übrigens, daß Interimslager schnell, rund innerhalb eines Jahres genehmigt und gebaut werden können, während Genehmigung und Bau eines Zwischenlagers etwa 5 Jahre dauern. Interimslager sind Parkplätze für jeweils 24 mit hochradioaktivem Müll beladene Castorbehälter, die jeweils mit einer Art Betongaragen gegen Regen geschützt werden. Ein Zwischenlager ist eine Art Industriehalle, in der bis zu mehreren hundert Castor-Behältern stehen. Die sich durch ihr radioaktives Inventar aufheizenden Castoren werden in diesen Hallen sozusagen mit der Atemluft der umliegenden Bevölkerung gekühlt. Die Luft gelangt durch offene Schlitze in der Hallenwand zu den Castoren, erwärmt sich an ihnen, steigt auf, und verläßt die Halle durch offene Schlitze im Dach. Ohne Filter gegen strahlende Partikel und ohne Überwachung der Abluft auf Radiaktivität.

Die Genehmigungen für die Interimslager in Philippsburg und Neckarwestheim wären die ersten dieser Art und müssen deshalb einer verwaltungsgerichtlichen Prüfung standhalten. Sie würden eine Reihe von Interimslagergenehmigungen nach sich ziehen. Die vom BfS koordinierten Sicherheitsprüfungen für die beantragten Atommülllager wurden in unglaublicher Kürze der Zeit von ,,Experten`` und Fachverständigen (Nein, das ,,-Innen`` habe ich nicht vergessen, es sind, soweit ich weiß, alles Männer.) zusammengeschustert, unter gesetzlich gerade noch erlaubter Minimalbeteiligung der Verbände und möglicher Kritiker. Es gab keine frühzeitige Klärung des Untersuchungsrahmens, die von den Antragstellern vorgelegte UVU (Umweltverträglichkeitsuntersuchung) war oberflächlich und es war den Verbänden in den vorgegebenen Terminfristen unmöglich eine Alternativ-Studie zu erarbeiten.

Was haben diese Maßnahmen mit Ausstieg aus der Kernenergie zu tun? Nix - unter dem Druck der Energiekonzerne schafft das Umweltministerium mit der Genehmigung von Interims- und Zwischenlagern eine Ausweichsschiene, um den Weiterbetrieb zu sichern.

AKW? - Nein Danke! Oder: Und was wollen wir BürgerInnen?

Sicherlich gibt es auch da verschiedene Meinungen, die von ,,egal`` über ,,Zwischenlagerbau schafft Arbeitsplätze`` nach ,,Himmel, noch mehr strahlender Schrott neben unserem Garten`` führen. Eindeutig gegen den Zwischenlagererrichtungen wenden sich die couragierten BürgerInnen verschiedener Gemeinden und BI. In Stadland oder Phillipsburg z. B. haben die Stadträte entschieden, daß Bebauungspläne erstellt werden sollen, die die Fläche neben den AKW als nichtnukleare Geschäftsflächen vorsehen, und damit eine Bebauung mit Zwischenlagern unzulässig machen. BI sammeln Unterschriften gegen die Zwischenlager und äußern ihre Meinung in Zeitungen, über Plakate, bei den Behörden und im Internet (www.aktion-Z.de, www.bip.de). Da gibt es auch immernoch die Klagen einiger an Transportstrecken wohnender BürgerInnen wegen Beeinträchtigung ihres Rechts auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit durch die strahlenden Castoren. Und dann gibt es noch eine bunte Mischung aus Menschen unterschiedlichster Lebenseinstellungen, Alters und Herkunft, die sich schon jetzt, aber ganz besonders ab dem 24.03. an der Strecke rumdrücken werden, die der Castor-Zug von La Hague nach Gorleben nehmen soll. Seit Wochen gibt es Aktionen unterschiedlichster Art, z. B. Demos an AKW- und Zwischenlager-Standorten, Öffentlichwirksame Aktionen wie Schienenspaziergänge, Übungsaktionen zur Gewöhnung an Übernachten auf den Gleisen und auch schon mal Demontagen an den Schienen. Und es gibt Leute, die wie wild Zeitungsartikel schreiben, um das Image von ,,reiner Chaoten- und Terroristenhaufen``, wie es die Presse schon mal ausdrückt, von der Anti-AKW-Bewegung zu nehmen. Denn im Gegensatz zur Regierung halten wir es für durchaus begründet, sich gerade dem voraussichtlich am 27. März kommenden ersten Castor seit dem Transportestopp in den Weg zu setzen. Übrigens, laut einem 1992 vom Bundesverfassungsgericht verabschiedeten Grundsatzurteil gelten Sitzblockaden als ein mögliche Ausdrucksform von Bürgerprotest nicht als Nötigung. Es sind also keine Straftaten mehr, sondern nur Ordnungswidrigkeiten. So wie falsch parken oder mit dem Rad auf der falschen Seite fahren. Seit Monaten arbeitet die Kampagne ,,X-tausendmal quer`` an den Rahmenbedingungen, die eine möglichst große gewaltfreie Sitzblockade machbar machen. So wird es ein Camp in Wendisch Evern, östlich von Lüneburg, geben, in dem jede/r einen Platz zum Zelten, Infos, Gleichgesinnte, Bezugsgruppen, eine warme Mahlzeit und ein Klo finden soll. Die gewaltfrei Blockade X-tausenmal quer leben von der Zahl der Leute, die daran beteiligt sind.

Auf das Blockieren und das geräumt werden durch die Polizei sollte mensch sich soweit möglich seelisch und moralisch, z. B. bei Infoabenden, Trainings in gewaltfreier Aktion und Workshops vorbereiten. Aber Beteiligung muß nicht ,,nur`` heißen sich auf die Schienen und die Straße zu setzen und von Polizisten wegtragen zu lassen. Beteiligung kann auch heißen beim Auf- und Abbau des großen Camps zu helfen (Infos unter: 0 42 31/95 75 66 oder www.X1000malquer.de), im Camp für Motivation und gute Stimmung zu sorgen, mit den BlockierInnen zu reden, oder anfallende größere und kleinere Rennereien zu übernehmen. Es sind nicht die anderen, die es den Staat eine Menge Geld kosten lassen können hochradioaktive Stoffe hunderte Kilometer durch die Gegend zu fahren. JedeR kann mithelfen, den politischen Preis für die Castor-Transporte und den Weiterbetrieb der Atomanlagen in die Höhe zu treiben. Es sind auch nicht andere, die verdeutlichen werden, daß der Atomkonsens der ,,Großen`` kein gesamtgesellschaftlicher Konsens ist.

Am 24.03.01, dem Samstag vor dem Castor-Transport, findet ab 12 Uhr in Lüneburg die Auftaktdemo für die Blockaden und Aktionen rund um den Tag-X statt. Von Oldenburg aus werden mindestens 2 Busse mit Fahrradanhänger hin und am Abend zurück fahren. Am 27.03. wird der Castor voraussichtlich die deutsch-französische Grenze überqueren, und versuchen am selben Tag bis Dannenberg zu fahren. Bei Lüneburg hat X-tausendmal quer vor, die Schienen zu blockieren und damit den Aktionsraum von 80 km bis Gorleben für vielfältige Widerstands- und Blockadeaktionen zu eröffnen. Laut Fahrplan soll der Zug am 28. oder 29.03. im Zwischenlager Gorleben ankommen. Weitere Infos und Karten für den Bus zur Demo sind beim Oldenburger Castor-Info-Handy unter 01 79/3 48 67 90 zu erfahren. Interessierte können sich dort auch in die Alarm-Telefonkette aufnehmen lassen.

Betti

 

 
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