Oldenburger STACHEL Ausgabe 3/01      Seite 14
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Käthes Verschenkmarkt

Da saßen vor rund 30 Jahren zwei kleine Jungen in meinem 1. Schuljahr, guckten etwas verschreckt im Kreise herum und sahen recht abgerissen aus. Die Kinder der Klasse und ich redeten mit ihnen und fragten sie.

Die Geschichte der beiden Brüder war diese: Ihre Mutter war vor wenigen Wochen bei der Geburt des dritten Kindes gestorben. Der Vater war der Situation nicht gewachsen, nahm seine drei Kinder und flüchtete sich zu Freunden in unserem Dorf. Nun versorgte eine Frau die Familie und das Baby. Der Vater war sehr arm. Die Jungen besaßen nur die Textilien, die sie auf dem Leibe trugen: Wurden die gewaschen, blieben die Kinder unbekleidet im Hause, bis alles wieder getrocknet war.

Die beiden Jungen taten uns leid. Also fragten die Kinder der Klasse ihre Mütter daheim, ob die ein paar Textilien herschenken könnte - und, oh Wunder, es kamen große Mengen an Hemden und Hosen, Jacken und Schuhen und Unterwäsche zusammen. Die Augen der Brüder strahlten vor Freude, auch über das Spielzeug, das für sie angeschleppt wurde. Natürlich ging auch das Baby nicht leer aus. Jäckchen, Strampelhöschen und Windeln gab es nun genug. Auch der Vater erhielt ordentliche Herrengarderobe.

Es sprach sich im Dorf herum, daß die Lehrerin Zeug für bedürftige Leute sammelte. Nun kam auch Geschirr, Bestecke, Pötte und Pannen, Bettwäsche und Tischwäsche etc. zusammen. Mehr als die Familie brauchte. Ich sortierte alles und lagerte es in meiner Wohnung, Ich kannte mehr Familien, die Unterstützung brauchen konnten. Also schleppte ich ihnen das Zeug hin, und sie freuten sich. Natürlich blieb es mein Geheimnis, wer etwas bekommen hatte, denn manch einer schämt sich seiner Bedürftigkeit.

Das war der Anfang meines "Verschenkdienstes", wie ich es damals nannte. Da der Strom der Sachen nicht mehr abriß, richtete ich meinen trockenen, hellen Keller dafür her, Ich ordnete alle Dinge übersichtlich an - inzwischen waren auch Möbel dazugekommen - und jeder konnte kommen und mitnehmen, was er brauchte und dazustellen, was er abgeben wollte. Auf diese Weise machte ich nicht nur Menschen froh, sondern "rettete" auch Unmengen von Gebrauchsgütern vor dem vorzeitigen Wegwerfen in den Müll.

1991 zog ich nach Oldenburg. Schon entdeckte ich wieder Dinge, die ich vor dem Müll "retten" mußte. In der großen Stadt war es aber schwierig, genug Abnehmer für die Sachen zu finden. Mein winziges Kellerchen war inzwischen bis zur Decke mit verwertbaren Dingen gefüllt. Da belud ich mein rotes Fahrradanhängerchen, radelte zum Flohmarkt, breitete alles auf dem Boden aus und hielt mein selbstgemaltes Schild in die Höhe:

Alles zu verschenken! - Ansehen und mitnehmen! - (Rad und Anhänger nicht)

Die Leute waren erstaunt. "Wieso verschenken Sie denn alles?" "Weil ich es vorm Müll retten will!" Das fanden die Leute gut und bedienten sich dankbar. Der Verwalter des Flohmarktes kam auf mich zu. Ich kannte ihn, er mich nicht. Bevor er den Mund auftun und Standgebühr fordern konn- te, rief ich schon. "Ach, Herr J., ich nehme gar kein Geld ein; ich verschenke ja alles!" Der gewiefte Geschäftsmann war völlig verblüfft. "Ja, dann kann ich Ihnen ja auch kein Geld abnehmen!" sagte er. Seitdem bleibe ich unbehelligt. So habe ich im Laufe der Zeit große Mengen Zeugs vor dem Müll bewahrt.

Am 6.11.98 war die Auftaktveranstaltung der "Lokalen Agenda 21" der Stadt Oldenburg in der Cäcilienschule. Da pinnte ich meine Verschenkmarkt-Idee an die Ideen-Sammeltafel. Sie kam sofort gut an und wurde lobend hervorgehoben. So fand ich mich denn in der Agenda-Arbeitsgruppe 8 "Die Umwelt braucht uns nicht - wir brauchen die Umwelt" wieder. Dort bauten wir u.a. meine Verschenkmarkt-Idee weiter aus: Man muß die Idee unter die Leute bringen. Man müßte regelmäßig einen Verschenkmarkt z.B. auf dem Schloßplatz veranstalten. Jeder kann dort mit seinem Verschenkkram hinkommen, ihn ausbreiten und verschenken. Das wäre ein einziges großes Geben und Nehmen! Alles ohne Geld! Eine ganz neue Atmosphäre entsteht. Wo sich sonst Käufer und Verkäufer gegenüberstehen, sind es hier Beschenkte und Schenkende. Freude und Dankbarkeit beherrscht die Kommunikation, wo sonst kühle Rechnerei herrscht.

Zum Verschenkmarkt gesellen sich dann noch Straßentheater und Künstler, Vereine und Selbsthilfegruppen stellen sich vor, Karussell und Wurstbude sind auch da. Z.Zt. gibt es in der Agenda-Arbeit der Stadt die Projektgruppe "Abfallvermeidung und Ressourcenschutz bei Konsumgütern". Dort hat auch das Verschenkmarkt-Projekt "Verschenk- und Infomarkt Oldenburg" - VIMO - seinen Platz. "Info" deshalb, weil auch Verschenkanzeigen veröffentlicht werden sollen. Ein Sofa kann man z.B. schlecht zum Verschenkmarkt schleppen. Aber man kann einen Zettel auf dem Markt anbringen. Verschenke Sofa, Dreisitzer, Federkern, blau, Tel. ...

Sicher ist jetzt schon, daß es demnächst auf der Internet-Seite der "Umweltwerkstatt" beim Abfallwirtschaftsbetrieb der Stadt Verschenkangebote geben soll! Die Internet-Adresse wird dann öffentlich bekanntgemacht.

Guckt zu Hause scbon mal rum, was Ihr verschenken wollt! Es wird dort kostenlos veröffentlicht. Erzählt von unserem Verschenkmarktprojekt weiter rum, so daß es überall bekannt wird. Ihr könnt auch im Projekt mitarbeiten! Meldet Euch! Wenn Ihr jetzt schon dringend kleinere Sachen loswerden wollt, könnt Ihr sie mir zum Verschenken bringen. Ruft mich an!

Eure Käthe

Käthe Nebel (70 Jahre alt), Nelkenstr. 5, 26121 Oldenburg, 0441/8 85 95 26

Infos über den "Verschenkmarkt": Agenda-Büro der Stadt Oldenburg, Markt 20/21, 26l05 Oldenburg, Tel. 0441/2 35-32 46

 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum