Oldenburger STACHEL Ausgabe 5/01      Seite 15
 
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Sozialgerichtsurteil: Arbeitsamt zweigt widerrechtlich ab

Herbst 1999. Die fünfte Jahreszeit - der Kramermarkt - steht in Oldenburg bevor. Ein Vater freut sich darauf, mit seiner Tochter, die regelmäßig annähernd die Hälfte ihrer Zeit bei ihm lebt, ein paar schöne Tage zu verbringen. Doch es flattert ein Schreiben des Arbeitsamtes ins Haus. Von der ohnehin geringen Arbeitslosenhilfe sollen erneut 3 Prozent abgezogen werden. Die jährliche Herabstufung tritt in Kraft. Dazu kommt jedoch ein viel herberer Schritt: Abzweigungen sollen vorgenommen werden, daß von den ca. 1200 DM monatlich nur mehr wöchentlich 190 DM übrig bleiben. Das reicht nur ein bißchen weiter als für die Miete. Aus der Traum - die Tochter kommt zwar zu Besuch, doch alle Aktivitäten müssen aus finanziellen Gründen gestrichen werden.

Das Arbeitsamt meint es nicht gut

Das Arbeitsamt meint es auch nicht schlecht. Die MitarbeiterInnen behaupteten regelmäßig, das Arbeitsamt sei neutral. Doch es läge ein "Titel" vor. In diesem Fall müsse das Arbeitsamt tätig werden. Das Tätigwerden geschah im konkreten Fall gegen die allgemeinen Regeln. Diese werden bestimmt von der Pfändungsfreigrenze nach der Zivilprozeßordnung (ZPO) bzw. nach der "Düsseldorfer Tabelle" bei Unterhaltsangelegenheiten. Die jeweils untersten Freigrenzen wurden durch das Arbeitsamt mißachtet. Bei der Düsseldorfer Tabelle liegt diese bei 1300 DM. Aller Widerspruch beim Arbeitsamt führte lediglich zu Akteneinträgen: "XY hat heute massiv protestiert, ich habe ausführlich versucht, ihm zu erklären, worum es geht, erfolglos."

Gut gemeint ist meist nicht gut

Diese Abzweigung wurde vom Jugendamt beantragt. Es ging um Geld für die Tochter, die ihren Vater besuchte. Das Jugendamt meint es selbstverständlich gut mit dem Kind. Daß diese amtliche Vorgehensweise das Verhältnis zwischen beiden nicht unberührt ließ, läßt sich erahnen. Dabei geht es nicht darum, daß dem Vater wohl kaum ein Vorwurf gemacht werden könnte, wenn er mißmutige Empfindungen aus solchen Erfahrungen entwickelt. Wer kann sich in einer solchen Situation schon sicher sein, daß sich der Mißmut gegen die Richtigen richtet?

Doch wenn Zusagen wie z.B. auf einen Bummel über den Kramermarkt gebrochen werden müssen, weil plötzlich das Geld dafür nicht mehr vorhanden ist, das ist schon eine Belastungsprobe, die besonders auch ein Kinderherz berührt. Dabei hat das Jugendamt völlig außer Acht gelassen, daß die regelmäßigen Zuwendungen für das Kind während der Besuche bei der unterhaltspflichtigen Person auf den Unterhalt anzurechnen sind. Oft wird somit doppelt bezahlt.

Zahlungsunfähig oder Zahlungsunwillig?

Das Jugendamt macht aus zahlungsunfähigen Menschen, die aufgrund ihres niedrigen Einkommens Unterhaltsleistungen nicht aufbringen können, "Zahlungsunwillige". Zugleich ist der betroffene Vater während der vielen Jahre seines Daseins als Teilzeit-Alleinerziehender nicht vom Jugendamt darüber aufgeklärt worden, daß die Unterhaltsforderungen durch seine Aufwendungen bei den regelmäßigen Besuchen seiner Tochter reduziert werden können. Im Gegenteil! Auch das Sozialamt kam seiner Aufklärungpflicht laut Sozialgesetzbuch nicht nach.

Das Sozialgerichtsurteil vom 18. 4. 2001

Diesmal hatte der Mann sich gegen die - angesichts seines geringen Einkommens - überzogenen Forderungen zur Wehr gesetzt. Das Oldenburger Sozialgericht gab ihm recht. Auch bei einer "titulierten" Forderung sind die üblichen Freigrenzen einzuhalten. Aus dem Urteil: "... Die Beklagte (hier das Arbeitsamt, d.Verf.) war nicht berechtigt, zugunsten der Stadt Oldenburg eine Abzeigung vorzunehmen. ... Ungeschriebene Voraussetzung für eine Abzweigung ist, daß der Betreffende leistungsfähig ist, d.h. über Mittel verfügt, die über das hinausgehen, was er für seinen eigenen Lebensbedarf benötigt. ... Zur Sozialhilfebedürftigkeit darf die Abzweigung nicht führen. ... In diesem Zusammenhang hat es die höchstrichterliche Rechtssprechung gebilligt, wenn die Beklagte grundsätzlich einheitlich die in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Werte zugrunde legt, die bei den Familiengerichten eine besonders weite Verbreitung erlangt hat. ... Demzufolge darf aus der laufenden Arbeitslosenhilfe (im hier vorliegenden Fall, d.Verf.) keine Abzweigung vorgenommen werden."

Arbeitsamt: Ein bißchen kleinkariert?

Zu den Kosten urteilte das Sozialgericht: Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. (Also alle auf den in diesem Artikel behandelten Antrag bezogenen Kosten - es wurden in dem Verfahren mehrere Anträge behandelt. D.Verf.) Das Arbeitsamt reagierte ungewöhnlich schnell. Noch bevor das Urteil des Gerichtes in den Händen des Vaters war, erreichte ihn der Bescheid des Arbeitsamtes, mit dem die angefochtene Entscheidung aufgehoben wurde. Das Geld wird nachgezahlt. Von Zinsen ist in dem Bescheid nicht die Rede.

Doch der nächste Streit scheint vorprogrammiert. Aus dem Bescheid: "Entscheidung über die Erstattung der Kosten: Die Ihnen im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten können nicht erstattet werden, da sie nicht notwendig waren." Die Bewertung einer solchen - offensichtlich das vorliegende Gerichtsurteil ignorierenden Formulierung möchte ich der geneigten LeserIn überlassen.

Neues Selbstbewußtsein für Väter

Sicher ist, daß sich auch arme Unterhaltspflichtige - das sind auch Frauen - nicht alles bieten lassen müssen, was Ämter ihnen so angedeien lassen. Und Väter sollten sich der verbreiteten Stimmungsmache entgegenstellen - Väter sind gut und wichtig für Kinder. Als Mensch sind sie wichtiger als das schnöde Geld. Wie besonders an der Rentendiskussion erkennbar ist, handelt es sich bei der Kindererziehung um eine gesellschaftliche Aufgabe. Dann sollte doch - bitte schön - die Gesellschaft sich auch um die Finanzierung dieser Aufgabe kümmern, statt bei armen Menschen zu versuchen, den letzten Blutstropfen herauszuquälen und die menschlichen Beziehungen zu belasten durch finanzielle Forderungen, die in einer der reichsten der Gemeinschaften der Welt locker auch anders zu begleichen sind. Dieser Staat muß sich entscheiden, wo er seine Prioritäten setzen will. Die Zweiklassen-Gesellschaft beim Kindergeld seit Anfang diesen Jahres geht genau in die falsche Richtung. Doch das würde ein neuer Artikel.

Gerold Korbus

6pt vgl.: STACHEL 222: Vatersein bedeutet mehr als Dukateneselei, STACHEL 221, kurz berichtet zu "Haftstrafe für nicht geleistete Unterhaltszahlungen"

 

 
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