Oldenburger STACHEL Ausgabe 6/01      Seite 4
 
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Freiheit im Exil

Die Residenzpflicht - ein Verstoß gegen das Menschenrecht

320 DM Geldstrafe. Dies Urteil traf das Amtsgericht Westerstede im Namen des Deutschen Volkes in einem Verfahren gegen den Asylbewerber Richard N. Der Straftatbestand: Er hatte sich in Oldenburg aufgehalten. Dies ist ihm als in einer Flüchtlingsunterkunft in Edewecht wohnenden Asylbewerber nicht erlaubt. Denn Edewecht gehört zum Landkreis Ammerland, Oldenburg nicht. Das Überschreiten einer Landkreisgrenze ist Flüchtlingen jedoch nach dem Asylverfahrensgesetz untersagt. Wenn sie es dennoch tun wollen, müssen sie vorher die zuständige Ausländerbehörde um eine Genehmigung bitten. Gegen diese so genannte Residenzpflicht hatte Richard N. verstoßen, da er sich in diesem Fall die Erlaubnis nicht rechtzeitig besorgt hatte.

In dem Prozeß vor dem Amtsgericht machte Richard N. nun deutlich, daß er auch zukünftig nicht ständig solche Genehmigungen einholen wird, wenn er den ihm zugewiesenen Landkreis verlassen will. Mit dieser Aktion zivilen Ungehorsams schließt Richard N. sich einer bundesweiten Kampagne der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen in Deutschland an. Mit einer Demonstration und anderen Protestaktionen in Berlin hat die Karawane kürzlich ihre Kampagne einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt und weitere Aktionen zivilen Ungehorsams angekündigt: Viele Flüchtlinge sind nicht länger gewillt, sich an die in Europa einzigartige massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu halten.

»... dort müßt ihr ins Lager«

Die Residenzpflicht war 1982 zusammen mit weiteren repressiven Maßnahmen, z.B. der Einführung von Flüchtlingslagern und der Reduktion sozialer Leistungen, eingeführt worden. Damit sollte weiterer Zuwanderung abschreckend entgegengewirkt werden. Lothar Späth verkündete damals: »Die Buschtrommeln werden signalisieren, kommt nicht nach Baden-Würtemberg, dort müßt ihr ins Lager.« Zugleich wurden die hier lebenden Flüchtlinge einer umfassenden Kontrolle unterworfen, die einen ständigen Zugriff seitens der Behörden bzw. der Polizei erlaubt zur Erleichterung der Abschiebung. Diese Maßnahmen blieben bis heute erhalten und wurden sogar noch weiter verschärft trotz zahlreicher Einwände, nicht nur von Menschenrechtsorganisationen sondern z.B. auch vom UNHCR, dem Flüchtlingskommisariat der Vereinten Nationen.

Richard N. muß diesen nur für Flüchtlinge geltenden Sondergesetzen seit November 1997 Folge leisten. So lange läuft sein Asylverfahren schon. (Er erhält damit auch nach dem Asylverfahrensgesetz nur 80 DM Taschengeld? monatlich, wovon er nun auch noch die vom Amtsgericht verhängte Geldstrafe zahlen muß.) Als Vorsitzender der SDF (Social Demokratic Front ) in Niedersachsen muß er eigentlich viel reisen, um sich hier im Exil in Deutschland wirkungsvoll für politische Veränderungen in seinem Heimatland Kamerun einsetzen zu können. Aber jedesmal wenn er aufgrund seiner poltischen Aktivitäten den Landkreis verlassen will, muß er vorher eine Genehmigung einholen. Und es gibt keinen Anspruch darauf, diese wirklich zu erhalten. Gerade im Zusammenhang mit den Protestaktionen der Karawane in Berlin hat sich wieder gezeigt, daß Ausländerbehörden politische Aktivitäten von Flüchtlingen oftmals eher be- bzw. verhindern: Viele engagierte Flüchtlinge erhielten keine Erlaubnis nach Berlin zu reisen. Durch die Residenzpflicht wird also das Grundrecht auf Meinungs- und Redefreiheit sowie das Grundrecht auf freie Vereinigung eingeschränkt, was im übrigen gegen die von Deutschland unterzeichnete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verstößt.

Erschwerter Alltag

Aber nicht nur politische Aktivitäten werden aufgrund der Residenzpflicht erschwert, sondern auch der ganz normale Alltag. So wurde Richard N. jetzt verurteilt, weil er sich in Oldenburg aufhielt. Er besuchte dort das Flüchtlingscafé. Dieser wöchentliche Treffpunkt von Flüchtlingen dient dazu, sich über die jeweiligen Probleme und Schwierigkeiten auszutauschen, und gemeinsame Aktivitäten zu planen. Richard N. wollte bei diesem Besuch in Oldenburg noch einen Flüchtling zur Ausländerbehörde begleiten, um dort mit seinen Deutschkenntnissen beim Ausfüllen eines Antragformulars auszuhelfen. Dafür wurde er jetzt vom Amtsgericht Westerstede bestraft: Verstoß gegen die Residenzpflicht. Ein anderes Mal hatten die Behörden ihm vorgeworfen, unerlaubterweise in Oldenburg einzukaufen. Dabei war auf den Gutscheinen, die Richard N. nach dem Asylverfahrensgesetz anstelle von Bargeld erhält, vermerkt, daß man damit auch in Oldenburg einkaufen dürfe. Nur: Auch zum Einkauf in Oldenburg bedarf es einer Genehmigung zum Verlassen des Landkreises. (Mittlerweile ist im Landkreis Ammerland auf den verteilten Gutscheinen der Vermerk, er berechtige auch zum Einkauf in Oldenburg, gestrichen.) Diese Beispiele zeigen, zu welchen erniedrigenden und menschenunwürdigen Einschränkungen die Residenzpflicht führt. Soziale Kontakte mit Freunden sind ebenso unerwünscht wie kulturelle oder politische Aktivitäten, und selbst für einen Einkauf in Oldenburg muß Richard N. die Ausländerbehörde um eine Genehmigung bitten. Alles, jeder Schritt über die Landkreisgrenze muß deshalb weit im Voraus geplant werden. Damit wird zugleich die Privatsphäre der Flüchtlinge fortwährend verletzt und mit den Füßen getreten. Denn jedesmal müssen sie einem Beamten der Ausländerbehörde Ziel und Zweck einer "Reise" angeben. Und oftmals nutzen die Ausländerbehörden das Erteilen oder Verweigern einer Genehmigung zur Bestrafung für "mißliebiges Verhalten" seitens des Flüchtlings. Mit anderen Worten: Wer in den Augen der Behörden unangenehm auffällt, kann einfach durch die Verweigerung einer Genehmigung zum Verlassen des Landkreises bestraft werden. Hinzu kommt die vollständige Kontrolle jeder Bewegung; da jede "Reise" beantragt werden muß, haben die Ausländerbehörden umfassende Einsicht über die Aktivitäten der Flüchtlingen und auch darüber, mit wem diese in Kontakt stehen. Der auf die Flüchtlinge ausgeübte psychische Druck ist somit enorm und führt bei vielen schon zu einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Kopf ...

polizeilich kontrolliert und kriminalisiert

Aber selbst wenn eine Genehmigung erteilt wurde, hört die psychische Belastung nicht auf, denn dazu kommen noch die ständigen polizeilichen Kontrollen. Ob in der Stadt oder auf dem Bahnhof: Überall und unablässig werden Flüchtlinge nur aufgrund äußerlicher Merkmale von der Polizei kontrolliert und damit stigmatisiert und als (potentiell) kriminell eingestuft. Denn als kriminell gilt eben nach dem Asylverfahrensgesetz schon, wer unerlaubt den ihm zugewiesenen Landkreis verlassen hat.

Richard N. war z.B. vor kurzem auf dem Bahnhof in Oldenburg einer solchen erniedrigenden Kontrolle z.B. ausgesetzt, nur weil er im Anschluß an seinen Deutschkurs in Bad Zwischenahn noch nach Rastede fahren wollte. Bad Zwischenahn und Rastede gehören beide zum Landkreis Ammerland, so daß für eine solche "Reise" keine Genehmigung benötigt wird - doch die einzige Zugverbindung führt über Oldenburg. Diskriminierende Polizeikontrollen werden Bestandteil des Alltags. In der Öffentlichkeit werden diese ständigen Kontrollen mit Hilfe von Kriminalstatistiken gerechtfertigt, die angeblich belegen, daß Flüchtlinge (bzw. Ausländer insgesamt) besonders "kriminell" seien. Nur: Mit dem jetzt ergangenen Urteil des Amtsgerichts Westerstede gegen Richard N. wurde der aus dem letzten Jahr herrührenden Verstoß gegen die Residenzpflicht genau als eine solche "kriminelle Tat" gewertet. Solche nur für Flüchtlinge geltenden Sondergesetze wie die Residenzpflicht tragen also in einem nicht unerheblichen Maß zu den Zahlen in der Kriminalstatistik bei und führen dazu, daß Flüchtlinge als besonders "kriminell" stigmatisiert werden können.

Vor dem Amtsgericht signalisierte die zuständige Ausländerbehörde nun, daß Richard N. nur einfach Anträge zum Verlassen des Landkreises stellen brauche, dann wäre das Problem doch erledigt. Diese Sichtweise ignoriert allerdings die fundamentale Bedeutung des Rechtes von Richard N., sich frei bewegen zu können. Denn weiterhin wäre er einem enormen psychischen und physischen Druck unterworfen, da er auch künftig dem "Wohlwollen" der Ausländerbehörde und den willkürlichen und diskriminierenden Polizeikontrollen ausgeliefert wäre; weiterhin würde ständig seine Privatsphäre verletzt und jede Bewegung überwacht, weil er, um eine Genehmigung zu erhalten, Ziel und Zweck seiner "Reisen" angeben muß; weiterhin müsste Richard N. jeden Schritt über die Landkreisgrenzen hinaus weit im Voraus planen. - Eine "großzügigere" Genehmigungspraxis ändert also nichts an der prinziellen Ungerechtigkeit der Residenzpflicht. Das einzige was wirklich helfen würde, ist deren vollständige Abschaffung.

Für die Rechte der Flüchtlinge

Deshalb hat sich Richard N. der Kampagne der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen in Deutschland? zur Abschaffung der Residenzpflicht angeschlossen, die zu weiteren Aktionen zivilen Ungehorsams aufgerufen hat. Denn der Kampf für die Abschaffung der Residenzpflicht ist ein Kampf für die menschliche Freiheit im Exil.

Initiative für offene Grenzen

Zur Unterstützung von Richard in seinem Verfahren hat sich eine Unterstützergruppe gebildet. Für Mitarbeit und dringend benötigte Spenden: Tel.: 04 41-24 81 75 und Konto Nr. 11 22 70 55 01 Marc Gyampoh Stichwort "Richard" bei der OLB Blz.: 280 200 50

 

 
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