Oldenburger STACHEL Ausgabe 10/01      Seite 12
 
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Gorleben-Castor im November

Anfang Novermber ist ein Castor-Transport nach Gorleben geplant. Nach dem Tranport im März diesen Jahres (nach 3 Jahren Transportstopp, wegen des Castor-Skandals von '98 der ersten unter Rot-Grüner Bundesregierung) wurde von Betreibern, Politik und Polizei ein Castor-Fahrplan (mit 12er- und 18er-Packs) für die nächsten 15 Jahre erarbeitet, der die bisherige Strategie des Widerstandes, über die Kosten und die Personalintensität der Polizeieinsätze politischen Druck auszuüben, ein Stück weit aushebelt. Der neue Castor-Fahrplan ist polizeitechnisch und finanziell händelbar und es besteht die Gefahr, daß der Protest beim jährlichen Castor-Großereignis den Status eines Folklore-Ereignisses bekommt.

Das ist das Besondere am Castor-Transport in diesem Herbst: Es steht die Prüfung bevor, ob es eine schleichende Gewöhnung an die Atommüll-Lieferungen gibt, indem die Transporte nur noch kritisch begleitet werden, oder ob alle diejenigen, die aus guten Gründen nicht wollen, daß Gorleben zum Lager für die strahlenden Hinterlassenschaften des Atomzeitalters wird, gemeinsam versuchen, dies zu verhindern.

Zivilcourage ist lernbar und ansteckend. Beim letzten Transport gab es sehr erfolgreiche Aktionen, vor allem auf der Schiene zwischen Lüneburg und Dannenberg. Doch für die vielen tausend Menschen, die einfach einen Platz suchten, wo sie sich vor dem Castor auf die Straße setzen konnten, fehlte ein Platz. So standen Tausende am Abend vor der Ankunft des Castor-Zuges in Dannenberg und kamen nicht auf die Strecke.

Deshalb wird es diesmal ein Konzept geben, daß die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Fähigkeiten potentieller QuerstellerInnen miteinander verbindet. Schiene und Straße werden in gleichem Maße zu Orten des Widerstandes.

Manche wollen den Castor sogar schon auf den Hauptstrecken der Bahn weit vor dem Wendland aufhalten. Andere planen wieder große und auch kleine pfiffige Aktionen entlang dem Castor-Gleis von Lüneburg bis nach Dannenberg. Mit der "Schneckenplage" soll erreicht werden, daß sich die Polizei in den entscheidenden Tagen nur noch im Schritttempo durch den Landkreis Lüchow Dannenberg bewegen kann, weil eine Vielzahl von VerkehrsteilnehmerInnen angesichts grüner Einsatzfahrzeuge dem Reiz der Langsamkeit erliegen. An bisher noch unbekanntem Ort ist eine Aktion geplant, bei der sich möglichst viele Menschen mit einem Metallrohr an den Schienen anketten wollen. Und unter dem Titel "WiderSetzen" bereitet sich ein breites Bündnis, u.a. aus Aktiven von »X-tausendmal quer« und der »BI-Umweltschutz Lüchow Dannenberg« auf eine große Sitzblockade im Raum Dannenberg vor.

Die Stärke des Widerstandes in dem fast 25 Jahren Streit um Gorleben war es, daß sich viele Menschen nie damit abgefunden haben, was da passiert. Die kollektive Weigerung, sich an den Gedanken zu gewöhnen, Gorleben würde zur Atommüllkippe der Nation, ist Ursache für den kaum faßbar langen Atem des wendländischen Widerstandes. Jetzt wurde der Castor-Fahrplan für die nächsten 15 Jahre aufgestellt. Jetzt entscheidet sich, ob die Dinge ihren Gang gehen, oder ob eine Umkehr noch möglich ist. Jetzt zeigt sich, ob es genügend Menschen gibt, die nicht klein beigeben, sondern die Herausforderung annehmen. Nicht mit dem Mut der Verzweifelten, sondern mit der Ruhe und Klarheit derjenigen, die wissen, worauf es jetzt ankommt und daß es sich lohnen kann, wenn sich viele gemeinsam wehren.

Die Legitimation für aktiven Widerstand ist in diesem Herbst klar und deutlich. Die Quintessenz aus einem viertel Jahrhundert Streit um Gorleben. Es ist alles versucht worden. Es wurde appelliert, argumentiert, demonstriert, wurden in Kreis, Land und Bund Regierungswechsel gewählt, Gerichte angerufen, wissenschaftliche Gutachten bestellt. Bundesregierung, Landesregierung, Energiewirtschaft, Polizei und Justiz wissen, daß weder das Zwischenlager noch ein zukünftiges Endlager in Gorleben ein geeigneter und sicherer Platz sind, um hochgiftigen Atommüll zu lagern, aber sie tun es trotzdem. Die Aktionen und Blockaden gegen die Castor-Transporte, sind kein Unrecht. Es sind wohlüberlegte Gewissensentscheidungen. Und wenn tausende Menschen auf Schiene oder Straße wollen und sich auf den Weg machen, kann die Polizei sie kaum daran hindern; selbst wenn sie ihnen Schmerzen zufügt oder versucht, sie alle einzusperren.

Die Frage, die sich jeder/jedem stellt, die/der mit dem Weiterbetrieb der AKWs nicht einverstanden ist, lautet: "Was ist es Dir wert, das Atommüll-Lager Gorleben zu verhindern? Was bist Du bereit einzusetzen, wenn Du wirklich mal ernsthaft darüber nachdenkst?" Viele haben sicher wenig Zeit, sind voll ausgelastet von Beruf, Familie und sonstigen Verpflichtungen. Aber jede und jeder kennt das aus dem eigenen Leben: Es gibt Situationen, da steht aller Alltag für einige Tage zurück, weil etwas wichtiges, etwas sehr einschneidendes passiert, ob positiv oder auch negativ: Eine neue Liebe, eine schwere Krankheit, eine wichtige Prüfung. Vielleicht ist der Castor-Transport im Herbst, die Frage, was aus Gorleben wird, so ein entscheidendes Ereignis.

Und übrigens: Falls sie auch nach dem nächsten Castor noch nicht aufgeben, dann tun wir das auch nicht. Frei nach Dale Smith: "Protestieren heißt, sich gegen etwas aussprechen. Man nimmt an einer Demonstration teil, hört die Reden an und geht nach Hause, um sich im Fernsehen zu sehen. Widerstand leisten heißt, nicht nur zu sagen: ,Ich will nicht`. Es heißt, ich werde mich bemühen, daß viele andere auch nicht wollen. Und ich werde nicht nur nicht dulden, was die scheinbar Mächtigen tun, sondern ich werde immer wieder den Versuch unternehmen, sie daran zu hindern, das zu tun, was sie wollen."

JoSt/BeSch

Kontaktmöglichkeit für Oldenburg gibt es über den Stachel: Tel.: 04 41/3 80 05 97, für diejenigen, die mit zu den Anti-Castor-Aktionen nach Gorleben fahren wollen. Weitere Infos unter www.widersetzen.de oder www.x1000malquer.de

 

 
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