Oldenburger STACHEL Ausgabe 11/01      Seite 2
 
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Strahlenphobie bei AKW Philippsburg?

Warum auch sollte das Notkühlsystem funktionieren, dachten sich die leitenden Mitarbeiter im AKW. Ja, Warum auch?

Der Umweltminister zeigte (!) sich lernwillig. Nicht nur bei der Energie Baden-Württemberg (EnBW) und beim Gutachter Tüv, gestand Ulrich Müller (CDU), sei nach der Sicherheitspanne im Kernkraftwerk Philippsburg einiges schief gelaufen, sondern auch im eigenen Haus: "Es muß uns zu denken geben, wie wir reagiert haben." (1)

Als Konsequenz, versprach Müller bei einer eilends einberufenen Pressekonferenz, "wollen wir uns selber auf den Prüfstand stellen lassen". Ein "externes Expertenteam" solle die für die Atomaufsicht zuständige Fachabteilung unter Leitung von Dietmar Keil durchleuchten. Organisation, Abläufe, Denkweisen, aber auch etwaige Versäumnisse des Ministers - all das sollten drei bis fünf unabhängige Gutachter gründlich untersuchen. Einen Vorsitzenden für die Gruppe habe man bereits gefunden: Serge Prêtre, den früheren Chef der staatlichen Atomaufsicht in der Schweiz. (1)

Serge Prêtre: In der Schweiz stießen seine Erkenntnisse allerdings auf ein geteiltes Echo. Nach dem Super-GAU 1986 in Tschernobyl polarisierte Prêtre die Öffentlichkeit mit gewagten Thesen. Die Aufregung um die Nuklearkatastrophe, analysierte er etwa 1992 im Fachblatt "Atomwirtschaft", sei hauptsächlich ein Problem der rechten, gefühlslastigen Hälfte des menschlichen Gehirns. "Viele scheinbar logisch und rational denkende Menschen wurden durch die symbolischen, unbewußten Gehalte der rechten Hirnhälfte überflutet - und dies löste Panik aus. (...) Und diese panische Angst war ansteckend." Seine Diagnose: Es handele sich um eine "psychische Epidemie" namens "Strahlenphobie", in einem Zusammenhang zu sehen mit "Religionskriegen, Inquisition, Hexenjagden, Rassismus, Nazismus und allen übrigen nationalistischen Wahnvorstellungen".

Vier Jahre später geißelte Prêtre erneut die angeblich völlig überzogenen Reaktionen auf Tschernobyl. Radioaktivität in Lebensmitteln? Da sei weitaus mehr tolerierbar als Lebensmittelhandel und -kontrolleure mit ihrem "Prinzip der Reinheit" dulden wollten. Das "Rennen in Richtung null Fremdstoffe" koste die Gesellschaft nämlich "gesamthaft viel Geld, denn gute Lebensmittel werden unnötigerweise vernichtet". Evakuationen und Umsiedlungen wie in der Ukraine? Das könne "das Richtige oder das Falsche" sein, je nach Sichtweise. Man müsse auch den "Sozialschaden" bedenken, wenn sich eine Gesellschaft über lange Zeit vom Ausnahmezustand nicht erholen könne. Was Wunder, daß Prêtre für Schweizer Kernkraftgegner ein rotes Tuch ist. (1)

Bleibt vielleicht noch anzumerken, daß dieser Herr natürlich (!) in allen möglichen Zusammenhängen steckt und deshalb von vielen als befangen bezeichnet wird. Aber das betrifft ja nur seine zukünftige Rolle. Wer genauere Informationen haben möchte, sollte die wesentliche Quelle dieser Zeilen noch einmal nachlesen (s.u.).

Aus der Vorstandsetage des Konzerns EnBW wurde übrigens mitgeteilt, man wolle sich nicht so allein fühlen: In den anderen atomaren Anlagen wurde ebenso gepfuscht wie in Phillipsburg. Das sei nur noch nicht ans Licht gekommen. (DLF) Während Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland BUND sowie Greenpeace diese Auffassung bestätigten, sahen sich die anderen AKW-Betreiber düpiert. Aber das ist eine neue Geschichte.

Gerold Korbus

mit langen Zitaten aus Stuttgarter Zeitung, 02.11.01, (1)

 

 
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