Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/02      Seite 3
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Offener Brief

an Oberbürgermeister zur Vertragskündigung

Sehr geehrter Herr Schütz,

vielen Dank für das nette Weihnachtsgeschenk! Auch über den formvollendeten Stil haben wir uns sehr gefreut. Es drückt doch eine gewisse Achtung unserer Arbeit aus, so frohe Botschaften wie die eigene Kündigung zuerst der Zeitung entnehmen zu dürfen, bevor man persönlich informiert wird. Auf diese Weise kommt die Nachricht zudem noch freundlich garniert mit dem erfrischenden Kommentar der NWZ daher: Schade, daß wir Euren Laden nicht sofort schließen können! Verständlich, daß Sie die Presse eher über unsere Kündigung informieren müssen als uns selbst.

Auch sehr erfreut über die Nachricht werden mehr als 10.000 Arbeitslose und mehr als 10.000 Sozialhilfebezieher in Oldenburg reagieren. Auf "Komfort", wie Sie, Herr Schütz, die gekündigten Einrichtungen bezeichnet haben, zu verzichten, ist schließlich eine ihrer leichtesten Übungen. Den Komfort, sich bei existenziellen Problemen kompetent in der ALSO beraten zu lassen, nehmen Jahr für Jahr 5000 bis 6000 Menschen in Anspruch - der pure Luxus.

Die ALSO wird im nächsten Jahr 20 Jahre alt. 20 Jahre Massenarbeitslosigkeit. Zur Jahreswende werden wir wohl wieder über 4 Millionen offiziell gemeldete Erwerbslose in Deutschland haben - wie vor vier Jahren, als Ihre Partei gewählt worden ist mit dem Versprechen, die Arbeitslosigkeit spürbar zu senken. Das haben Sie so wenig geschafft wie Ihre Vorgänger. Aber verwechseln Sie da nicht etwas, Herr Schütz, wenn Sie nun statt der Arbeitslosigkeit die Selbsthilfeeinrichtungen der Arbeitslosen bekämpfen wollen?

Abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen und Sozialhilfebeziehern hat die Kohl-Regierung 16 Jahre lang eingebleut, für die Rettung des "Standorts" auf "Komfort" zu verzichten. Sie haben offensichtlich eine neue Regierung gewählt, damit es genau so weiter geht. Nur, unter Kohl ist der Haushalt der Stadt Oldenburg nicht zusammengebrochen. Und Oberbürgermeister Poeschel hat ihn wacker verteidigt.

Und die ALSO durfte wenigstens die Opfer dieses Fortschritts versorgen. Unter der neuen Bundesregierung und mit Ihnen, Herr Schütz, soll es ans Eingemachte gehen. Nun muß schon die soziale Infrastruktur der Stadt aufgekündigt werden, um den Haushalt zu retten.

Aber eine der nachgefragten Qualitäten der ALSO ist, kritisch nachzurechnen. Die jetzt gekündigten Einrichtungen (Kulturetage, AWO, Diakonisches Werk, Kirchengemeinde Osternburg, ALSO, DONNA, Kunstschule Klex und Werkschule) bekommen insgesamt 2,8 Mio. DM Zuschüsse von der Stadt.

Das Defizit der Stadt beläuft sich im nächsten Jahr auf 57 Mio. DM, das strukturelle auf 200 Mio. DM. Sie wollen keinen "sozialen Kahlschlag", sondern die Zuschüsse "nur" reduzieren. Selbst wenn Sie, Herr Schütz, diese und noch weitere Einrichtungen komplett schließen und 3 Mio. DM einsparen - wir können nicht glauben, daß Sie wirklich glauben, das wäre eine ernstzunehmende Lösung des Haushaltsproblems.

Wahrscheinlich wissen Sie nicht, daß alle betroffenen Einrichtungen mindestens noch einmal so viel Geld, wie die Stadt zuschießt, von Dritten für ihre Einrichtungen nach Oldenburg holen.

Die ALSO ist gerade mit einem neuen Beratungs- und Betreuungskonzept für eine Modellförderung aus ESF- und Landesmitteln anerkannt worden. Wir erhalten durch unsere Eigeninitiative die soziale Infrastruktur für Oldenburg, ohne daß es die Stadt einen Cent zusätzlich kostet. Aber diese Gelder sind an die städtische Förderung der ALSO gebunden und fallen weg, wie die zusätzlichen Mittel bei allen anderen Einrichtungen auch, wenn die städtischen Zuschüsse wegfallen.

Sie sparen 3 Mio. DM, Herr Schütz, wenn Sie unsere Einrichtungen schließen - und verschenken mehr als 3 Mio. DM, die jährlich nach Oldenburg fließen. Und gleichzeitig zerstören Sie die für die Menschen notwendige und über Jahre bewährte soziale Infrastruktur der Stadt Oldenburg.

Wenn es keine wirkliche Möglichkeit gibt, den städtischen Haushalt aus eigener Anstrengung zu sanieren - warum sollen wieder die Schwächsten unter einer hilflosen Demonstration scheinbarer Handlungsfähigkeit leiden?

Warum erheben Sie nicht stattdessen eine kommunale zweckgebundene Solidaritätssteuer von 1 Prozent auf Netto-Einkommen über 10.000 DM im Monat. Wenn es nur 5.000 solcher Einkommensbezieher in Oldenburg gibt, nimmt die Stadt pro Jahr 6 Mio. DM mehr ein. Wir könnten das soziale Netz ausbauen.

Sehr geehrter Herr Schütz, wir sind gespannt auf die Verhandlungen, die Sie uns angekündigt haben, und gehen mit der Hoffnung ins neue Jahr, daß Sie und die Sozialdemokratische Fraktion sich auf Ihre soziale Verantwortung besinnen und im sozialen Bereich keine weiteren Kürzungen vornehmen.

Wir wünschen Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr ohne Sozialkürzungen!

Für die ALSO

Michael Bättig

 

 
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