Oldenburger STACHEL Nr. 235 / Ausgabe 6/02      Seite 7
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Leserbrief

Komplexität reduzieren?

Versuch einer Antwort auf den Beitrag von Klaus Dede in STACHEL Nr. 234

Kritik am Parteienstaat mag zwar berechtigt sein, aber wenn sich die Analyse darauf beschränkt, den Parteien Cliquenwirtschaft und dem Staat Oligarchie vorzuwerfen, so wird meiner Ansicht nach zu Unrecht und den Regeln des Diskurses widersprechend die vorhandene Komplexität der Situation einer modernen Demokratie reduziert, was zur Folge hat, daß sich Klaus Dede mit seiner Kritik in die Nähe zu rechtsextremen Positionen begibt. Hier ist Vorsicht angebracht. Schon einmal war das Staatsvolk Deutschlands der Parteien überdrüssig, und dies endete, wie bekannt, im hitlerschen Nationalsozialismus, wenn auch aus anderen Gründen. War es damals die Zerstrittenheit der Parteien von Weimar, so soll es heute deren Einigkeit sein, die man ihnen vorwirft? Das kann nicht gut sein. Mir scheint es wichtig zu begreifen, daß der heutige Staat Deutschland in seinen vorhandenen Strukturen auch eine Konsequenz aus dem Scheitern der Weimarer Republik ist und daß wir in dieser Hinsicht viel zu verlieren haben, wenn wir diese Strukturen grundlegend attackieren. Mangels Alternativen stellt die repräsentative Demokratie westlicher Prägung immer noch den besten Schutz vor staatlicher Willkür dar. Vielleicht kann man diesen utopielosen Zustand bedauern, sich nach Veränderung sehnen, aber angesichts der Kompliziertheit der Situation sollte man sich doch davor hüten, allzu einfache Antworten zu geben und allzu einseitige Schuldzuweisungen zu betreiben. Auch ich habe mehr Fragen als Antworten, aber ich mag es nicht hören, wenn man von den "arroganten Parteibonzen" spricht, selbst wenn dies aus persönlicher Betroffenheit geschieht, denn exakt genau so klingt es aus den Mündern der gesamteuropäischen Rechtspopulisten.

Jörg Albers-Bruns, OL, 11.5.2002

 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum