Oldenburger STACHEL Nr. 236 / Ausgabe 8/02      Seite 5
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Warum nicht zusammen?

Ein ehrlich gemeinter Appell an alle Bürgerinnen und Bürger - aber besonders an die Beschäftigten der Stadt Oldenburg

Eines der stärkeren Argumente des Oberbürgermeisters Schütz zur aktuellen Haushaltspolitik lautet: Alle müssen sparen. Es könne nicht sein, daß innerhalb der Verwaltung laufend Personal abgebaut werde, aber die unabhängigen sozialen Einrichtungen in vollem Umfange weiter gefördert würden.

Immer mehr zu tun -
von immer weniger Händen

In der Tat bekommen wir in verschiedenen Bereichen des städtischen Zusammenlebens zu spüren, wie dünn die Personaldecke bei den Beschäftigten der Stadt inzwischen geworden ist - und wie dünn dadurch mitunter auch die Haut. Städtische Grünflächen und die Zahl der Spielplätze nehmen zu. Das ist gut so. Aber gleichzeitig wird das Personal reduziert, um sie zu pflegen. Schulgebäude und Turnhallen verrotten, aber Geld und Personal zur Pflege und Wartung werden abgebaut. Wollen wir allen Ernstes wieder einen Arbeitsdienst in Deutschland einrichten? Sollen anstelle des abgebauten Personals Sozialhilfeberechtigte gezwungen werden, in Arbeitskolonnen für 1,10 Euro die Stunde städtische Pflichtaufgaben zu verrichten?

Während Fallzahlen und soziale Probleme wachsen, wird die belastende Arbeit z.B. im Sozial- oder Jugendamt auf immer weniger Schultern verteilt. Die einzelnen MitarbeiterInnen sind überlastet, können den eigenen Ansprüchen kaum noch genügen und unterliegen zudem einem ständig wachsenden Spardruck. Die Spannungen - auch untereinander - wachsen entsprechend mit, die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Die Arbeit, die mit dem Idealismus einst begonnen wurde, Menschen in Notlagen zu helfen und damit zu einem solidarischen Zusammenleben in der Gemeinschaft beizutragen, droht zum Scheitern verurteilt zu sein und dadurch zur täglichen Plage zu werden.

Statt Neid: die gleichen Ziele

Wie leicht fällt da, zugegebenermaßen, der unbedachte Blick zur Seite: Wir müssen bluten, ständig werden unsere Arbeitsbedingungen verschlechtert; wieso kriegen die - im kulturellen, sozialen, Sport- oder sonstwo Bereich - keine Kürzungen? Oder: Wenn die bei uns so reinholzen, dann sollen sie doch auch bei den anderen weghauen!

Die Berührungsängste sind groß. Es gibt nur zufällige, keine regelmäßigen Gelegenheiten zum Erfahrungs- und Meinungsaustausch. Zu Vorurteilen kommen sicherlich noch unterschiedliche politische Einschätzungen zur aktuellen Lage. Aber vom Verwaltungsangestellten über die städtische Sozialarbeiterin im Jugendamt, den Sportwart, die Sozialberaterin im unabhängigen Verein bis zum Müllmann beim Abfallentsorgungsbetrieb: Tatsächlich arbeiten doch alle Menschen genau für das, was einmal als Lebensqualität bezeichnet wurde. Wir arbeiten für ein gutes Leben miteinander in einer städtischen Gemeinschaft.

Und so verraten alle unbedachten und neidischen Reaktionen eine ungemeine Hilflosigkeit, eine gegenseitige Verdrängung der Tatsache, daß man einfach nicht weiß, wie man sich selbst gegen diesen zunehmenden Druck wehren kann. Egal welche Parteien die Mehrheit im Stadtrat haben, alle würden doch diesen rigorosen Sparkurs durchziehen müssen. Spätestens am Nein der Bezirksregierung würden doch alle Alternativen zum Sparen scheitern.

Appell für
solidarisches Zusammenleben

Am 1. August dieses Jahres hat der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel in der Frankfurter Rundschau einen flammenden Appell für den Erhalt des solidarischen Zusammenlebens in unseren Städten veröffentlicht. Gerade weil wir in Oldenburg eine sozialdemokratische Mehrheit im Stadtrat haben, weil wir einen sozialdemokratischen Oberbürgermeister haben, weil wir eine sozialdemokratische Bezirksregierung haben, weil wir eine sozialdemokratische Landesregierung haben und weil wir noch eine sozialdemokratische Bundesregierung haben, ist dieser Appell so bemerkenswert, daß er hier ausführlich zitiert sein soll. Er könnte kaum schöner formuliert werden. Er wurde zusammen mit einer Analyse der finanziellen Verarmung der Kommunen publiziert unter der Überschrift "So wird die Amerikanisierung unserer Gesellschaft programmiert":

"Denn im Kern geht es nicht um eine vordergründige Finanzdebatte, sondern um viel mehr. Nach der Familie und dem Arbeitsplatz sind Städte und Gemeinden die wohl wichtigste soziale Integrationsinstanz in unserer Gesellschaft. Ob Sport und Kultur, Kindergärten und Schulen, Wohnungs- und Siedlungsstruktur, Beratung und Hilfe für Behinderte, Alte, Jugendliche, Obdachlose, Drogensüchtige, ausländische Mitbürger, Straßenbau und Lärmschutz, Personennahverkehr und Wirtschaftsförderung, Denkmalpflege und Umweltschutz: Für all dies sorgen mittelbar bzw. unmittelbar unsere Kommunen.

Städte, Gemeinden und Landkreise sind damit der Garant für ein attraktives, lebendiges und solidarisches Zusammenleben der Menschen vor Ort. Diese soziale Integrationsleistung ist mit dem Art. 28 des Grundgesetzes als kommunale Selbstverwaltung entstanden, und diese gehört zu den echten Erfolgsgeschichten der Bundesrepublik Deutschland. Dabei ist es nicht der Erfolg der hauptamtlichen Regierungen und Parlamente in Bund und Ländern, sondern der Erfolg der ehrenamtlichen Rats- und Kreistagsmitglieder und ihrer Bürgermeister und Landräte. Dies macht übrigens den Kern der von vielen apostrophierten Zivilgesellschaft aus.

Gerade in einer Zeit, in der sich alles unglaublich schnell zu ändern scheint und in der Schlagworte wie Globalisierung und Digitalisierung eher Ängste als Hoffnungen wecken, schaffen unsere Kommunen damit auch Räume von Sicherheit und Wärme. Die öffentlichen Angebote und Einrichtungen führen Menschen in unserem Land zusammen und schaffen soliden Grund unter den Füßen. Dabei entsteht auch Heimat oder mindestens ein Gefühl davon. Und das ist weit mehr als der von Volkswirten abstrakt formulierte Wirtschaftsstandort. Nein, unsere Städte, Gemeinden und Landkreise sind Lebensstandorte, sie stärken die Kohäsionskräfte in einer Zeit, in der die Zentrifugalkräfte uns immer mehr auseinander treiben.

Und all dies, was vor Ort für die Menschen getan wird, gehört rechtlich zu den so genannten "freiwilligen Leistungen" der kommunalen Selbstverwaltung. Für das Leben in den Städten, Gemeinden und Landkreisen sind es aber eigentlich soziale und politische Pflichtaufgaben. Sie müssen indes aus dem eigenen Finanzaufkommen der Kommunen finanziert werden und sind deshalb in der aktuellen dramatischen Finanzkrise in Gefahr. Denn diese "freiwilligen Leistungen", diese elementaren sozialen Integrationsleistungen unserer Kommunen, sind nicht marktfähig. Wer sie privatisieren will, entscheidet sich letztlich für die Streichung, denn auch dort, wo private oder freie Träger kommunale Angebote und Aufgaben übernehmen, bedürfen sie immer erheblicher Zuschüsse durch die öffentliche Hand.

Letztlich geht es um die Frage, ob wir in Deutschland "privatisierte" Städte, Gemeinden und Landkreise wollen, wie z. B. in den USA oder in großen Teilen in Großbritanniens, die nur noch die absolut überlebensnotwendigen "Herz-Kreislauf-Funktionen" wie Stromversorgung, Wasser- und Abwasserversorgung bereit stellen, oder ob auch die hochdifferenzierten feinen Verästelungen der kommunalen Versorgung, sozusagen das "vegetative Nervensystem", also das soziale und kulturelle Zusammenleben wieder funktionieren soll. Es geht um die Entscheidung: Wollen wir vielfältige vitale oder verarmte privatisierte Kommunen?

Nicht nur Sozialdemokraten ist die Antwort klar: Man weiß, daß nur sehr wohlhabende Menschen auch bequem in armen Städten leben können. Es geht also um eine hoch politische Debatte. Es geht um den Erhalt von Städten, Gemeinden und Landkreisen als Orte sozialen Lebens und Lernens. Es geht um Lebenschancen und um Antworten auf die Frage, was uns in unserer Gesellschaft zusammenführt, zusammenhält und unser solidarisches Zusammenleben auch in Zukunft sichert."

Die Umsetzung

Betrachtet man nach diesem Plädoyer die aktuelle sozialdemokratische Politik, dann fragt man sich einmal mehr: Kann man überhaupt noch einen Politiker ernst nehmen?

Aber wir sollten uns und unsere Arbeit ernst nehmen. Wir sollten uns nicht auseinander dividieren lassen. Die Unterscheidung zwischen sogenannten Kernaufgaben, präventiver Arbeit und freiwilligen Leistungen ist angesichts der Personalentwicklung und Arbeitsbelastung im öffentlichen Dienst trügerisch. Alle, für die eine weitere Amerikanisierung der Städte eine Horrorvorstellung ist, sollten an einem Strang ziehen. Erst wenn die Verarmung der Kommunen zum öffentlichen Skandal in ganz Deutschland gemacht wird, gibt es eine Chance auf eine bessere Finanzausstattung für die Städte. Wir produzieren in unserem Land heute mehr als doppelt so viel Reichtum wie noch vor dreißig Jahren - er muß nur vernünftig verteilt werden!

Die sozialdemokratische Fraktion im Stadtrat wird weiter vor der Bezirksregierung kuschen und jede Sparauflage brav nach unten durchreichen, die sozialdemokratische Bezirksregierung wird weiter vor dem Land kuschen und alternative Haushaltsansätze verbieten, die sozialdemokratische Landesregierung wird weiter Sparhaushalte verabschieden - solange wir uns nicht dagegen wehren. Nur wir, die Menschen die in den Kommunen an der Basis arbeiten, haben eine Chance, diesen perfiden Mechanismus zu unterbrechen. Sozialdemokraten wollen am 22. September bundesweit und nächstes Jahr landesweit wieder gewählt werden.

Wenn die Stadt sich weigert, die Zwangsauflagen der Bezirksregierung umzusetzen: Was könnte denn ein Kommissar der Bezirksregierung noch Schlimmeres anrichten? Was, wenn die Menschen in allen gebeutelten Städten auf die Straße gehen und sich gegen Sparhaushalte wehren? Vielleicht schaffen wir es gemeinsam, in Oldenburg eine Initialzündung auszulösen.

Wir appellieren an alle Oldenburger Bürgerinnen und Bürger, die Proteste und Aktionen gegen den Sozialabbau aktiv zu unterstützen. Wir appellieren besonders an die Beschäftigten der Stadt Oldenburg, sich öffentlich gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen zu wehren und mit uns gemeinsam zu demonstrieren. Und wir appellieren an alle SozialdemokratInnen in Oldenburg, denen das Wort "sozialdemokratisch" inhaltlich noch etwas anderes bedeutet als Macht und Machterhalt.

Beteiligen Sie sich, beteiligt Euch aktiv an der Demonstration für ein soziales Oldenburg am 7. September!

Michael Bättig

Anm. d. Red: es gibt viele weitere Gelegenheiten, in den kommenden Wochen zum Thema aktiv zu werden. Weitere Informationen gibt es in diesem Heft.

 

 
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